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bis er ins wilde Leben entlassen wird? Wo setzt sich sein Abenteuer fort? Welches Schicksal wird ihm zuteilwerden?

      Er hatte sich schon bei seinen Geschwistern erkundigt, was die Lebenserwartung betrifft. Natürlich konnte ihm niemand genaues sagen, denn – so hieß es, hängt es von seinem gesamten Zustand ab und der ergibt sich aus dem Benehmen der Besitzer, in dessen Hände er gelangt. Manche von Sams Kollegen werden jedenfalls nur 360 Tage alt, während andere 2.000 Tage und mehr erleben dürfen. Es soll sogar welche geben, die in Sparbüchsen auf Nimmerwiedersehen verschwinden und dann wahrscheinlich uralt werden, aber die erleben dann jahrelang nichts. „Das ist wie im Altersheim, wo man nur auf seinen Tod wartet“, sagte der fette Fünfer, der neben ihm lag.

      Sam hat noch keine einzige Falte, glänzt noch und kann sich überhaupt nicht vorstellen, wie man so verkommen enden kann, wie dieser schmierige Fünfer. Sam ist ziemlich froh, dass er nicht im selben Fach liegt wie dieser Sandler. Sam riecht auch noch ganz frisch nach Wachs, weil er damit beschichtet wurde, genauso wie alle anderen Neugeborenen. Ältere Geldscheine riechen leider überhaupt nicht mehr nach Wachs, sondern irgendwie anders, was Sam aber noch nicht zuordnen kann.

      In den langen Nächten in denen er im Tresor auf den nächsten Tag wartet, erfährt er, dass die meisten seiner Kollegen deshalb so komisch riechen, weil mit ihnen Drogen wie Kokain und Ecstasy konsumiert werden. Sam ist gar nicht wild darauf herauszufinden, wie sich solche Drogen anfühlen. Er hat mehr den Wunsch nach einem grundsoliden Leben, jedenfalls wie er sich das so vorstellt.

      Im Laufe der nächsten Tage gelangt er im Stapel immer weiter nach oben und so hofft er, bald an der Reihe zu sein.

      „Er benimmt sich wie ein Pudel in einem Tierheim, der darauf wartet, ein Frauchen oder Herrchen zu bekommen“, sagte ein betagter 50er. Sam hat das Gefühl, dass er seine kostbare Lebenszeit verprasst, während er im Pult des Kassiers nur herumliegt. Sam möchte etwas erleben, möchte wertgeschätzt werden, will unter die Leute kommen und seinen Spaß haben. Manchmal zittert er vor lauter Aufregung und dabei gelingt es ihm, ein Stückchen aus dem Stapel herauszuragen, aber das nützt nichts, denn der Kassier nimmt die Scheine immer von oben nach unten.

      Die Reserve

      Sam liegt fast ganz oben, als eine ältere Dame am Schalter steht und sich ihre Rente auszahlen lässt. Sie möchte alles in kleinen Scheinen. Damit sie niemand beim Restgeld betrügen kann, zahlt sie immer mit passenden Scheinen.

      Sam kommt nun zu Elisa, einer ehemaligen Klavierlehrerin, mit zittrigen, aber zärtlichen, weichen Händen. Sie hat gepflegte Fingernägel und das gefällt Sam. Elisa trägt Sam und seine Kollegen nach Hause. Es ist ein gelbes Haus mit weißen Streifen und es wirkt sehr einladend, wenn auch schon ein bisschen in die Jahre gekommen. Am Nachmittag verteilt sie die Geldscheine auf verschiedene Kuverts, welche Elisa sorgsam beschriftet. Auf einem steht Miete, auf einem anderen Strom und auf Sams Kuvert steht Reserve. Dann versteckt sie die Kuverts in ihrer Küchenvitrine.

      Ein paar Tage später, es muss wohl Sams erstes Wochenende im neuen Heim gewesen sein, bekommt Elisa Besuch von ihrer Tochter Julia. Sie unterhalten sich über ihre Gesundheit, Erinnerungen an alte Zeiten und lachen auch ein wenig. Julia wird aber wieder sehr schnell ernst und sagt dann: „Erich hat eine Freundin“. Sam weiß nicht, dass Erich Julias Mann ist, aber er erkennt, dass Julia traurig ist. „Er möchte sich scheiden lassen“, fährt Julia fort „und nicht mal unser Sohn Sascha interessiert ihn mehr. Er will einfach alles teilen und dann ab durch die Mitte!“

      Sam schaudert es bei dem Gedanken in zwei Hälften geteilt zu werden, aber zum Glück ist dies nicht sein Schicksal, denn er ist ja bei Elisa und die wird so etwas niemals tun. Ein Mensch mit Kultur im Herzen weiß, was man tut und was nicht – versucht sich Sam in seiner Panik einzureden. So ganz verdrängen kann er es aber nicht, denn er hatte in seinem kurzen Leben schon von den perversen Menschen gehört, die Scheine in zwei Hälften zerreißen. „Die erste Hälfte bekommst du jetzt und die zweite Hälfte, wenn du geliefert hast“, so hatten es ihm seine Kollegen erzählt, die mit einem Klebeband am Bauch herumliefen.

      Während er sich seine Gedanken über verklebte Bäuche macht, klingelt es erneut an Elisas Tür. Sascha, ein ziemlich ungepflegter Jugendlicher, dessen Jeans sogar mehrere Löcher und Fransen haben, betritt die Wohnung. Er hatte noch etwas zu erledigen und kommt daher erst jetzt nach. Auch er begrüßt Elisa und gibt ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, denn er will ja noch etwas von seiner Oma – später. Elisa sieht ihren Enkel ziemlich mitleidig an, er hat so viele Löcher mit irgendeinem Silberschmuck im Gesicht. Auch die Zunge hat solch eine Verzierung, was Elisa gar nicht gefällt.

      Elisa richtet eine Jause für sie her und dann sitzen die drei eine Weile beisammen und plauschen. Niemand spricht plötzlich mehr von der Scheidung, vielmehr reden sie nur mehr über belanglose Dinge wie das Wetter, das Fernsehprogramm und Kochrezepte. Als Julia dann gehen muss, bleibt Sascha noch ein Weilchen, weil er der Oma angeblich etwas helfen muss. Als die beiden endlich allein sind, rückt Sascha mit seinem Wunsch heraus. Er möchte sich Sneakers kaufen und hat dafür zu wenig Geld. Oma hat natürlich keine Ahnung, was die ‚Nickers’ sein sollen und so frägt sie nach. Sascha schwärmt von den ersehnten Sportschuhen, bis Oma ihn endlich versteht. Dass die Schuhe von Louis Vuitton sind, erzählt er natürlich nicht, denn davon versteht Oma sowieso nichts.

      Schließlich erkundigt sich Oma nach dem Preis und erfährt, dass diese knapp 600,- kosten und Oma trifft fast der Schlag. Zur Beruhigung schiebt Sascha nach, dass er sich ohnehin schon etwas zusammengespart hat, so um die 35,- und seinen Papa wird er auch noch um einen Zuschuss bitten.

      Oma ist sprachloser als ein Geldschein. Sie hat sich ihr Leben lang das Geld mit mehr oder minder begabten Schülern schwer verdient und niemals hatte sie für Schuhe mehr als 80,- ausgegeben. Am liebsten hätte sie dem Enkel jetzt ordentlich die Meinung gesagt, aber dann fiel ihr ein, dass sie wohl etwas behutsamer sein muss, weil seine Eltern vor der Scheidung stehen. Nach einer kurzen Überlegung sagt sie ihm, dass sie etwas beisteuern wird, wenn er auf seinen Gesichtsschmuck verzichtet und sich wieder ordentlich kleidet. Sascha denkt keine Sekunde ernsthaft daran, sein topmodisches, cooles Outfit abzulegen. Schließlich hat er sich damit eine Menge an neuen Freunden verschafft, aber das wird Oma nicht verstehen, also sagt er zunächst gar nichts. „Ich werde es mir überlegen“ sagt Sascha nach einer Weile.

      Oma weiß natürlich auch, dass junge Menschen ihre Irrtümer beharrlich verteidigen, aber sie weiß auch, wie sich Sascha sein Leben damit unnötig erschwert. Da er jedoch keine Zusage macht, versucht sie noch etwas anderes. „Bei mir müssen die Wände neu gemalt werden und da kannst du dir etwas verdienen.“ Bevor er noch etwas sagt, geht sie zur Küchenvitrine und nimmt sich das Kuvert ‚Reserve‘ zur Hand. Sam ist ganz erschrocken und er versteckt sich so gut er kann. Oma nimmt den schmierigen 5er, der auch in diesem Kuvert gelandet ist und steckt Sascha den Geldschein zu. Sascha nimmt den Schein in seine Hand und knüllt ihn zusammen, steckt ihn danach in seine Hosentasche. „Ich gebe dir nächste Woche Bescheid wegen des Ausmalens“ antwortet er.

      Dass Sascha eigentlich keine Sneakers kaufen will, sondern sich sein nächstes Tattoo, eine fette große Spinne auf seiner Wange, finanzieren möchte, sagt er Oma natürlich nicht, aber er weiß ja nun, wo Oma ihr Geld versteckt hat und seine Mama hat einen Schlüssel zu Omas Wohnung für Notfälle. Mit diesen Gedanken verließ er Omas Wohnung und er hatte keine Ahnung, dass Sam all seine Gedanken empfangen konnte.

      Während Oma sich einen Tee zur Beruhigung aufgoss, dachte sie daran, wie diese Familie auseinanderfällt und dass sie sehr froh ist, dass dies ihr Charlie nicht mehr erleben muss.

      Sam kicherte kurz vor sich hin, als er daran dachte, wo der schmierige 5er gelandet ist. Dass es gar nicht anders geschehen kann, weiß Sam noch nicht. Was ihn aber im Moment beunruhigt, sind Saschas unredliche Gedanken, wie er seine Oma beklauen will.

      In den langen Stunden der kommenden Nacht berät er sich mit den anderen Geldscheinen, wie sie Elisa helfen könnten. Nachdem der schmierige 5er nicht mehr dabei ist, sind sich alle sehr schnell einig, dass man etwas tun muss, aber was?

      Am nächsten Morgen nimmt Elisa das Kuvert ‚Miete‘ heraus und geht damit zur Bank, um

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