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Das war die dänische Minderheit. Diese wollte, offenbar ermutigt durch das Beispiel der Polen, die ihre Grenze nach Westen bis zur Oder verschoben hatten, ebenfalls gerne die dänische Grenze nach Süden bis zur Eider verschieben. Danach sollten alle Flüchtlinge ausgewiesen werden.

      Die fast täglich neu hinzu Kommenden waren dafür natürlich hinderlich, sodass ihnen Ablehnung und Feindseligkeit entgegenschlug. Eben waren sie noch in ihrer Heimat verfolgt worden, weil sie deutsche waren und jetzt wurden sie hier deswegen erneut infrage gestellt. Sie saßen also wieder zwischen Baum und Borke.

      Die Neuankömmlinge entstammten verschiedenen Flüchtlingswellen. Mit Schiffen oder auf dem Landweg waren die Ersten, meist unter dem Beschuss der heranrückenden Front, noch vor Kriegsende angekommen. Die Nächsten kamen direkt aus dem unmittelbaren Frontgeschehen und dann jene die man den so genannten „wilden“ und zum Schluss, die man den „regulären“ Vertreibungen zurechnete.

      Sie alle mussten noch die Erlebnisse von Kampfhandlung, Plünderung und Exzessen verarbeiten, bevor sie in Schleswig-Holstein eintrafen. Was immer man hier mit Worten erklären wolle, es würde nicht reichen.

      Hinzu kamen noch die Soldaten, die in Schleswig-Holstein in Gefangenschaft geraten waren und die nicht wieder in ihre mittlerweile von Russen und Polen besetzte Heimat zurück konnten.

      Die ersten der Flüchtlinge konnten noch die schon vorhandenen Baracken der Wehrmacht und des Reichsarbeitsdienstes benutzen. Die später kamen wurden dann in Schulen, Säle von Gaststätten oder auch zwangsweise in Privaträume von Einheimischen untergebracht.

      Viele waren traumatisiert und mussten jetzt versuchen unter Umständen weiterzuleben, die für sich alleine schon schwer waren. Das sie nicht willkommen waren wussten sie und dies bedrückte sie noch zusätzlich. Das war der Boden, das Substrat, auf dem sich dann alles Weitere entwickelte.

      Hier wird von den Menschen und ganz besonders von den Kindern erzählt, die im Juli 1946 mit ihren Müttern, als Flüchtlinge nach Süderbrarup in Schleswig-Holstein kamen.

      Kinder haben es manchmal etwas leichter, weil vieles von den Alltagssorgen bei den Erwachsenen verbleibt. Aber durch ihre gemeinsamen Erlebnisse hatten sie alle schon ein Stück ihrer Kindheit verloren und waren dadurch viel zu früh, zu kleinen Erwachsenen geworden.

      Es werden hier nur beispielhaft, die Erlebnisse von Klaus erzählt, der mit seiner Mutti seit dem Einmarsch der Russen in Pommern, eine Überlebensgemeinschaft gebildet hatte.

      Sie hatten beide alles überlebt, wenn auch mit vielen Narben und Schrammen. Er kam als neunjähriger nach Süderbrarup und ging als sechszehnjähriger ins Rheinland. Über diese Zeit wird hier erzählt, aus der Froschperspektive des heranwachsenden Flüchtlingsjungen.

      Wegen der bedrückenden Wohnverhältnisse in den Lagern und zugewiesenen Zimmern konnten die Kinder der Flüchtlinge meistens nur draußen spielen. Aber auch da lagen sie ständig auf der Lauer um etwas zu ergattern, dass ihnen und ihren Müttern das Überleben erleichtern würde. Ob bei der Kohle oder den Briketts nachgeholfen wurde, damit sie von den Zügen fallen oder wenn Zuckerrüben oder Kartoffeln auf dem Bauernhof vom Wagen stibitzt, wurden, wobei der stets wachsame Hofhund geschickt abzulenken war, stets vermischte sich ihr Überlebensdrang mit Abenteuerlust und ganz normalen kindlichen Verhaltensweisen. In diesem Zwischenraum von Spielen, Neugier, Vergnügen, Abenteuer und Not spielte sich ihr Leben ab.

      Schon nach kurzer Zeit fanden sich wieder ganz automatisch gleichaltrige Kinder, meist Jungs, zusammen. Während sie früher den lästigen HJ-Streifen ausweichen mussten, die jedes Untätige herumlungern, wie sie es nannten, unterbinden wollten, konnten sie sich jetzt ungehemmt bewegen. Diese Selbstständigkeit waren sie gewöhnt, da sie doch schon nach Kriegsende oft entscheidend mit fürs Überleben der Familie gesorgt hatten, denn ihre Mütter konnten sich aus berechtigter Furcht vor schlimmsten Belästigungen kaum an die Öffentlichkeit trauen.

      Dieses „zusammen cliquen“ der Flüchtlingskinder, wie Mutti es nannte, erfolgte zunächst nur, um zu erkunden, wo es etwas gab, das den täglichen Speiseplan ergänzen konnte. Später suchte man sich zusammen auch anderweitig zu beschäftigen, um nicht vor Langeweile, wie Georg Koppitsch es nannte, zu versauern. Denn es gab am Ort nichts, was man auch nur im entferntesten als ein Angebot zur Freizeitgestaltung, wie man es heute nennen würde, ansehen konnte. Sodass alle auf sich und ihrer eigenen Fantasien angewiesen waren. Da dies ein allgemeines Problem war, zog die Clique der Flüchtlingskinder natürlich auch einheimische Kinder an.

      Die Wiederaufnahme des Schulbesuchs, zusammen mit den einheimischen Kindern, sorgte dann für etwas Normalität. So erlebten sie, nach all dem Schrecken doch noch eine Kinder- und Jugendzeit in dem noch dörflichen Charakter des Ortes, der alles was sie durchgemacht hatten, in eine unwirkliche Ferne rückte.

      Für sie waren die Feste, wie Kindergilde mit Kuchenessen und Tanz oder der Weihnachtsbasar im alten Anglerhof mit Varieté, jetzt ein wichtiger Mittelpunkt des Jahres geworden. Das Baden in Bächen, moorigen Gewässern und in der Schlei, war das schiere Sommervergnügen.

      Es gab noch die mit allen Sinnen wahrzunehmenden Naturwunder. Die zu jeder Tageszeit anders duftenden Wiesen. Das unverwechselbare Geräusch der Himmelsziegen in der Dämmerung, das Glocken Geläute der über einen niedrig Hinweg streifenden Wildenten, das Kiebitzgeschrei in den Feuchtgebieten, die blühenden Knabenkrautwiesen und das toben auf den nach einem Sommergewitter überfluteten Wegen und Straßen.

      So könnte man nach Art einer „ Sentimental Journey „ noch viele unwiederbringliche Momente aufzählen. Auch davon wurden alle, die hier ankamen geprägt, das nahmen sie mit, wohin sie auch später gingen.

      Die Ankunft

      Der Zug hatte schon längere Zeit seine Geschwindigkeit spürbar verringert und hielt schließlich mit quietschenden Bremsen an. Seit sie in Bad Segeberg eingestiegen waren, wo sie aus Stettin kommend, eine Nacht in dem englischen Lager übernachten durften, hatte es nur kurze abrupte Halts auf offener Strecke gegeben. Jetzt spürten alle, dies war die Endstation. Sie waren am Ziel.

      Auf einem sichtbar werdenden Stationsschild konnte man trotz der abgeblätterten Farbe, den Namen Süderbrarup entziffern. Wie aber die Sprechübungen der Mitreisenden es bezeugten, bereitete der Name pommerschen Zungen einige Probleme.

      Es war nur ein kleiner Bahnhof mit einem grünen Sperrenhäuschen, durch dessen schmalen Durchlass sich nun die Flüchtlinge mit ihren Rucksäcken und Bündeln quetschten. Vor dem aus gelben Ziegeln bestehenden Gebäude verlief eine ungepflasterte aber saubere Straße. Überhaupt wirkte hier alles sauberer, als alles was die ankommenden seit Langem gewohnt waren. Oma sagte auf seine staunenden Blicke hin, so sah es bei uns in Friedenszeiten auch aus, so als wollte sie ihn ermahnen nicht zu vergessen, dass es zuhause auch schön gewesen war.

      Der Bahnhofsvorplatz war ungepflastert aber mit einer losen wie glatt gewalzten Steinschicht belegt. Ein Blick auf diese Steine ließ Klaus stutzen und er hob einige auf und besah sie gründlich. Sie wirkten wie zersplittert, mit Farbnuancen auf den glasigen Bruchflächen von Grünlich bis Gelblich. Zuerst dachte er, es wäre Horn oder Bernstein, aber er verwarf es bald.

      Es waren die dort sehr häufig vorkommenden Flintsteine, die ihm aufgefallen waren, aber Mutti bedrängte ihn mit der Spielerei aufzuhören, wie sie es nannte, da sich jetzt alle in Bewegung gesetzt hatten, weil sie offenbar ihrer neuen Bleibe zugeführt werden sollten.

      Die familieninterne Marschordnung ging üblicherweise so, dass Klaus zwischen Mutti und Oma ging und außen die beiden Tanten, denn häufig war von der Miliz eine Fünferreihe vorgeschrieben worden, da diese von ihnen leichter zu kontrollieren war.

      Aber eine Miliz gab es hier nicht. Deshalb hielt er diese Regelung für mehr als unnötig. Jetzt brauchte Mutti nicht mehr

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