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Torte und zudem mit dem Verantwortungsumfang, den man ihr in kürzester Zeit aufgebürdet hatte, heillos überfordert. Jetzt, wo das Arbeitsaufkommen für sie mit den Kündigungen nochmals erheblich zugenommen hatte, war ihr die Kontrolle vollständig entglitten.

      „Nachdem ich jetzt über 10 Jahre in dieser Drecksklitsche gearbeitet habe, hat der Wunderlich nicht mal den Anstand, mir selbst zu sagen, dass ich gefeuert bin“, fuhr Simon fort.

      „Die dämliche Kuh meinte doch allen Ernstes zu mir, ich könne ruhig wütend auf sie sein, das würde sie schon aushalten. Das musst Du Dir mal geben!“

      „Und“, fragte ich, das leicht erregbare Naturell des Kollegen kennend, „warst Du wütend?“

      Wie ich Simons Antwort zweifelsfrei entnehmen konnte, waren nicht alle Kollegen im Kündigungsgespräch so pflegeleicht wie ich gewesen.

      „Ich habe dem Walross gesagt, dass es eine absolute Unverschämtheit ist, mir von einer dämlichen (welchem Zweck der Piepton, den Sie gerade hören, erfüllt, können sie sich denken), die gerade mal lange genug dabei ist, um den Weg zur Toilette ohne fremde Hilfe zu finden, sagen lassen zu müssen, dass ich gekündigt bin. Dann meinte die verblödete (Piepton), sie könne mich besänftigen, indem sie mir erzählt, dass das nichts mit meiner persönlichen Leistung zu tun habe! Die dumme Punze (huch, hier kam der Piepton zu spät) könnte in 100 Jahren nicht kapieren, was ich mache, geschweige denn, ob ich darin gut bin oder nicht! Ich habe den beiden dann erklärt, dass sie sich die Kündigung in ihre fetten Ä…“

      An dieser Stelle möchte ich Simons Rekapitulation der Unterhaltung unterbrechen. Wie seiner Zusammenfassung jedoch eindeutig zu entnehmen war, ist er dann im Verlauf des Gesprächs tatsächlich noch wütend geworden.

      Als ich ein paar Wochen später meine Unterlagen bei Charlotte abholte, waren wir im Personalbüro allein. Sie machte auf mich einen extrem gehetzten Eindruck. Als sie mir die Papiere, die sie nach längerem Suchen in dem heillosen Chaos ihres Büros auf wundersame Weise schließlich doch noch fand, überreichte, zitterten ihre Hände.

      „Ich weiß, die Kündigung ist schlimm, aber bist Du nicht auch froh, aus diesem Laden hier raus zu kommen?“

      Unter normalen Umständen wäre mir das wahrscheinlich säuerlich aufgestoßen, aber ich konnte trotz ihres Ringens um Beherrschung sehen, wie stark sie die Situation belastete, so dass sie mir in dem Moment tatsächlich leid tat. Also beließ ich es dabei und antwortete:

      „Das ist der einzig positive Aspekt, dass ich aus diesem Irrenhaus entkomme.“

      Von Ex-Kollegen, mit denen ich noch lockeren Kontakt pflegte, sollte ich später erfahren, dass sie wegen Burnouts drei Monate danach ausgeschieden war.

      Nachdem Simon seine lebhafte Schilderung (deren vollständige Wiedergabe sich wegen der Anzahl der notwendigen Pieptöne stark in Richtung Tinnitus entwickelt hätte) beendet hatte, wandten wir uns Georg zu.

      Georg war ein junger Kollege und ein eher ruhiger Typ. Er hatte vor etwas mehr als einem Jahr in derselben Gruppe wie ich angefangen und war von mir eingearbeitet worden. Er hatte eine rasche Auffassungsgabe gezeigt und sich schnell in die Aufgaben eingefunden.

      „Wie war’s bei Dir?“, frage Simon.

      „Mit mir hat auch Charlotte gesprochen“, antwortete Georg, „aber ich glaube nur deshalb, weil ich mein Gespräch vor Dir hatte.“

      „Kann ich mir gut vorstellen“, sagte ich, „mit mir hat später nämlich das Walross gesprochen.“ Simon empfand das offensichtlich als kleinen Triumph und grunzte zufrieden.

      Georgs Unterhaltung mit HR (Human Resources, wie die Personalabteilung offiziell hieß) war offenbar weit weniger temperamentvoll verlaufen als Simons. Und das, obwohl es ihn von uns dreien am härtesten traf, da er eine kleine Tochter von zwei Jahren hatte und gerade eine Woche zuvor erfahren hatte, dass seine Frau wieder schwanger war.

      Nachdem auch ich kurz von meinen Erlebnissen berichtet hatte, fragte ich:

      „Was habt ihr jetzt vor?“

      Keiner von uns hatte bisher Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit gesammelt.

      „Wir müssen uns erstmal kurzfristig beim Arbeitsamt melden, hat der Wunderlich gesagt“, antwortete Simon.

      „Auf jeden Fall muss ich schleunigst was Neues finden“, sagte Georg bedrückt.

      „Meine Frau weiß noch gar nichts davon“, fuhr er betreten fort.

      „Na dann viel Glück“, sagte Simon in seiner feinfühligen Art, „meine war richtig begeistert, als ich ihr von meinem aktuellen Karrierestatus erzählt habe.“

      Um die Stimmung nicht vollends abstürzen zu lassen, erzählte ich den beiden von meinem Plan, zunächst einen kleinen Urlaub einzulegen. Simon sah mich prüfend an und fragte:

      „Meinst Du das ernst? Hältst Du das für eine gute Idee, wenn Du beim Bewerbungsgespräch erklären musst, warum Du erstmal ein kleines Päuschen eingelegt hast?“

      „Wir haben drei Monate Kündigungsfrist und mir steht noch Resturlaub zu, das wird also überhaupt nicht auffallen“, entgegnete ich trotzig. „Außerdem bin ich nicht in der Stimmung, sofort mit der Bettelei um einen neuen Job anzufangen.“

      „In der aktuellen Situation sind die Aussichten eh beschissen“, fuhr ich in Gedanken fort.

      „Und wo soll’s hingehen?“, fragte Georg.

      „So detailliert habe ich den Plan noch nicht ausgearbeitet“, antwortete ich, „aber mir schwebt eine kontemplative Umgebung vor, in der ich über meine nächsten Schritte in Ruhe und Abgeschiedenheit meditieren kann.“ Georg, der meine Art von Humor noch nicht so lange kannte, sah mich irritiert an, während Simon sofort losbrüllte:

      „Ballermann, geile Idee, bin dabei!“

      Im weiteren Verlauf des Abends gewann die Urlaubsplanung, unterstützt von etlichen Sauergespritzten(*), weiter an Konturen, wobei Simon und ich die Hauptarbeit leisteten.

      (*: Apfelwein, auch Äppler, Äppelwoi, eine regionale Spezialität, zu der man als Zugereister nur mit viel Geduld und Durchhaltevermögen Zugang findet, da das Zeug so herb ist, dass es einem die Falten aus dem Sack zieht. Wenn man sich aber daran gewöhnt hat, ist es jedoch, insbesondere im Sommer, eine erfrischende Alternative zum Bierchen. Mit Mineralwasser wird es zum Sauergespritzten, mit Cola zum „Puff“ (Achtung: Todsünde!) und mit Limonade zum Süßgespritzen. Die Bestellung von letzterem outet einen jedoch faktisch als Offenbacher, was man in einigen Ecken von Frankfurt besser vermeidet.)

      Georg konnte der Idee nicht viel abgewinnen und verabschiedete sich bald.

      Simon und ich hatten jedoch richtig Fahrt aufgenommen und verspürten noch gar keine Neigung, den Heimweg anzutreten.

      „Weißt Du was?“, nuschelte Simon, „um die Planung in der richtigen Atmosphäre fortzusetzen, sollten wir die Location wechseln.“

      „Ok, was schwebt Dir vor?“

      „Wir fahren ins ‚Oberbayern‘“, schlug er in einem Ton vor, der keinen Widerspruch duldete.

      „Brillant“, antwortete ich und so kam es, dass die Weichen für einen unvergesslichen Abend (an dessen Details sich keiner von uns später erinnern würde) gestellt wurden.

      Das Oberbayern

      Man sollte meinen, dass an einem Montagabend nur eine überschaubare Anzahl an Bekloppten das Bedürfnis hat, sich, Zitat: „Mallorca Feeling, Après Ski, Karneval, Oktoberfest-Stimmung und unverkennbarem Party-Spaß-Happening“ auszusetzen. Weit gefehlt.

      Als sich gegen 22:30 zwei weitere Bekloppte im ‚Oberbayern‘ einfanden, war die Stimmung prächtig. Kaum hatten wir den Laden betreten, verschwand Simon mit den Worten:

      „Ich hole uns mal schnell was zu trinken“ in Richtung Theke. Als er kurze Zeit später mit

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