ТОП просматриваемых книг сайта:
Jakob Ponte. Helmut H. Schulz
Читать онлайн.Название Jakob Ponte
Год выпуска 0
isbn 9783847668800
Автор произведения Helmut H. Schulz
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Es müsse dem Fachmediziner an der Früherkennung von Schizophrenen im Allgemeinen wie im Besonderen gelegen sein; das präschizophrene Kind sei zwei Arten Botschaften ausgesetzt, die ihm seine Bezugsperson ständig zukommen lasse. So ziehe sich die Mutter beispielsweise bei Annäherung des Kindes von diesem zurück, empfinde andererseits jedoch ihr Verhalten als Zwiespalt und versuche, dieses durch verbale Zuwendung zu kompensieren; ihr liebevolles Verhalten kommentiere ihr feindseliges. Das Kind müsse, um mit seiner Bezugsperson zu überleben, die Täuschungsmanöver der Mutter unterstützen, in dem es eigene Botschaften falsch, also reziprok, charakterisiere. Gehe das Kind auf die Simulation der Mutter ein und nähere sich ihr liebevoll, so löse dieses Verhalten Angst oder Hilflosigkeit in der Mutter aus; sie ist in eine Bezugsfalle gegangen. Dies alles führe, je länger, je mehr, zu einer Pseudogemeinschaft, die aus Angst vor Disharmonien den Konflikt scheue. Um die Scheingemeinschaft zwischen Mutter und Kind aufrechtzuerhalten, entwickeln sich eine ganze Reihe schwer zu durchschauender Mechanismen, um die Situation dennoch beherrschbar zu machen. So werde der Konflikt durch das Wahrnehmungsverhalten der Personen aufgeweicht, womit natürlich keineswegs die stets vorhandene Gefahr von Divergenzen ausgeschaltet werden könne. Es komme zum sogenannten Rubber Fance ...
Man beachte, dass sich bereits die technischen Begriffe amerikanischer Gelehrsamkeit konspirativ einzubürgern begonnen hatten, wahrscheinlich durch die internationale Fachpresse, die dem Autor natürlich zugänglich war. Dass Herr Wilhelmi einige Jahre später, nach seiner Rehabilitierung vor einem Gericht, die Tätigkeit als Psychologe und als Psychotherapeut in der Landesnervenheilanstalt aufnehmen konnte, daran durfte ich also immerhin vorbereitend mitwirken.
Aber weiter: Mutter und Kind schließen sich gegen die Außenwelt innerhalb eines selbstgenügenden Sozialsystems ab, ein Verhalten, das die Wirkung der als chaotisch, als entleert empfundenen Welt aufzuheben suche. In der selbst geschaffenen Pseudogemeinschaft werde in Rollenstrukturen existiert: Ein wertbesetztes sinnvolles Gefühl für die eigene Identität könne dabei nicht erlangt werden. Diese potenzielle Schizophrenie zeige ein beträchtliches Geschick, die familiäre Komplettarität zu erfüllen. Es entstünden Mythen, Legenden, formalisierte Mechanismen. Die scheinbare Widerspruchsfreiheit der Familie lebe in einer subkulturellen Welt dieser Mythen und Legenden, es würden zwanglose Lebensweisen entwickelt, die nach Ritualisierung strebten ...
Nach dieser Beschreibung, wie sie noch einmal in den Publikationen des Institutes für Sozialwissenschaft auftauchte, als Replik ist es kaum noch möglich, auf diesem Erdball eine Familie zu finden, die nicht unter die Schizophrenen einzuordnen ist, was in der Tat die Sozialgeschichte bestätigt hat. Idioten landauf, landab, unten wie oben, durch falsche Erziehung produziert. So der hier in Betracht kommende Teil des Aufsatzes, der teuflisch klug war. Dass sich unser Hausarzt in einem Schlussrevers nationalsozialistisch äußerte, als er auf die durch Rassemischung latente Schizophrenie hinwies und seinen Kollegen empfahl, wohl zu unterscheiden zwischen einem therapierbaren Krankheitsbild und dem ererbten unheilbaren, sei immerhin vermerkt. Auf Mama muss dieser Artikel eines angehenden Seelenklempners einen erschütternden Eindruck gemacht haben. In den Tagen, als sie sich bei uns in Müllhaeusen aufhielt, beschäftigte sie sich eingehend damit, und wir waren ihr ausgeliefert. Ich entsinne mich, dass sie den Artikel studierte, laut daraus vorlas und mir, der ich nichts davon hören wollte, Fragen stellte, die ich nicht beantworten konnte. Sie spickte ihre Zitate mit Fragen: »Ist es so gewesen, Jakob? Sag deiner armen Mama die Wahrheit! Leben wir in einer subkulturellen widerspruchsfreien Welt von Mythen und Legenden? Sprich! Lass mich nicht im Unklaren!«
»Nein, Mama«, sagte ich, Mitgefühl oder überhaupt Gefühl vortäuschend, »das tun wir gewiss nicht. Wir haben uns sehr lieb«, ich verhielt mich also in der Tat verbal kommentierend, um im Ton dieser Pseudowissenschaft zu bleiben, sprach aus, was ich nicht dachte oder fühlte und bis heute für Kauderwelsch halte.
»Dann sag mir doch, ob du, als ein präschizophrenes Kind, in Wahrheit zweier sich widersprechender Botschaften ausgesetzt bist. Nein, ich darf mich nicht vor dir zurückgezogen haben, wo du mich gesucht hast.« Großmutter, die uns zuhörte, lachte sie aus, und schickte sie an den Kochtopf, um Pflaumenbrei zu rühren ...
Genug. Viel später, als ich mehr von der Situation verstand, in der wir uns damals alle befunden haben, wurde mir klar, wie weit sich der Arzt Wilhelmi vom Pfad der Tugend entfernt hatte, vielleicht wirklich in der Annahme, bei mir die Spuren früher Schizophrenie auf der Spur zu sein, und sich in die Fußstapfen der Psychoanalyse begab. Am Ende dieses Weges stand das Seelenexperiment, dessen Opfer ich beinahe geworden wäre, hätte ich mich in sein Krankenkollektiv eingliedern lassen, wo sie alle den Aufstand gegen sich selbst proben mussten. Aber gemach, dahin kommen wir erst noch. Mir war sicher durchaus klar, dass Mama scheinbar hart mit sich ins Gericht ging, nur wusste sie im Grunde nicht, weshalb und wofür sie sich selbst strafen sollte. Der eigentliche Fall war nicht ich, sondern sie, die mich nicht wirklich liebte, zur Mutterschaft wohl überhaupt unfähig, aber konventionell auf diese Rolle festgelegt war, und andererseits durch meinen Anblick ständig an die Enttäuschung, an einen Fehltritt mit seinen Folgen erinnert wurde. Dass die Dinge anders lagen, werde ich zu gegebener Zeit wahrheitsgemäß aufdecken. Kurz gesagt, wir waren tatsächlich alle in die von ihm beschriebene Bezugsfalle geraten; darin wenigstens hatte Doktor Wilhelmi recht. Anzuschließen ist hier nur noch, welche Spätfolgen dies zeitigte, wie der Leser noch sehen wird, falls er Geduld und guten Glauben an die Wahrheit von autobiografisch gefärbten Büchern aufbringt.
Leicht könnte der Verdacht beim Leser entstehen, ich benutzte meine Leiden gleichsam als spielerisches Moment, wie es literarisch üblich ist. Dem ist nicht so, ich bleibe immer bei der Wahrheit in der Überzeugung, dass sie zu einem solch edlen Charakter wie dem meinen gehört. Wir denken in Bildern, und die Welt ist in hohem Maße unsere Welt, weil wir sie in unseren Bildern besitzen. Woher diese Bilder kommen, ist eine andere Frage. So haben sich manche optische Eindrücke bei mir sozusagen auf Bildtelegramme reduziert. Ich sehe die Baracke des Führerhauptquartiers Wolfsschanze, als sei ich dort gewesen, sehe sie einfach deshalb, weil dieses Bild tausendfach reproduziert wurde. Bei dem Wort Führerlage fällt mir ein, wie der Tisch aussah, der den Führer schützte, oder die Vorsehung, als die Stauffenbergbombe hochging und als nach menschlichem Ermessen kein einziger Mann überlebt haben konnte. Wer denkt nicht gleich mir an die Filmbilder, als der Führer seinem Gast, dem gerade von Otto Skorzeny befreiten Duce, die zerstörte Baracke zeigte! Will sagen, was wäre in unserem Kopf, hätten wir nicht diesen Schatz an falschen, an gefälschten, nicht einmal vorsätzlich gefälschten Bildern! Zum Exempel: Ich hörte am 22. Juli von der Affäre, ohne einen Anfall, ja ohne einen Eindruck davon gehabt zu haben. Verwundert fragte mich Hochwürden, ob ich denn nichts vorhergesehen habe, wie gewöhnlich, und es überfiel mich heiß die Entdeckung, dass meine von allen gefürchteten Fähigkeiten in diesem Falle versagt hatten, oder dass sie überhaupt einmal abhanden gehen könnten. Großmutter stichelte verdrossen: »Es wundert mich, lieber Neffe, dass Sie noch nicht organisiert sind; etwa in der Vereinigung nationalsozialistischer Propheten, da Sie ja an die Hellseherei von diesem Bengel glauben!«
»Ach, verehrte Großtante, Sie mit Ihren Sticheleien; es lohnt sich schon über den Fall Ihres Enkels, als eines ungewöhnlichen Kindes nachzudenken.« Da sei sie aber gespannt, entgegnete Großmutter.
Ich folge seinem Tagebuch bei der Wiedergabe dessen, was er damals geäußert haben will, und ich habe auch Ursache, dieser Epistel zu vertrauen. Sie, also Großmutter, hätte gar nichts zu erwarten gehabt, denke sie sich das Attentat als gelungen, den Führer und ein paar Generale beseitigt; an ein Militärregime der Antihitlerkoalition mit einer Junta als Handlanger könne ihr persönlich kaum gelegen sein, auch an keinen Bürgerkrieg, und das Argument der späten Historiker, es wären Menschenleben gerettet worden, sei eben nur stichhaltig, wenn man ein paar Hunderttausend Russen und Asiaten nicht zu den Menschen rechne, sondern zu den Untermenschen, denn der Krieg sollte ja, soweit ihr bekannt, im Osten weitergeführt werden! Mit welcher Umständlichkeit, mit wie vielen Skrupeln und Dilettantismus der Aufstand dieser Generalstabsoffiziere in Szene gesetzt worden sei, dieses stundenlange Warten und Telefonieren, dieses Sich-nicht-einig-werden-können, das blieb ihr wie auch mir damals natürlich nicht verborgen. Und überhaupt ist die hier nachzutragende Volksmeinung als unstatthaft zurückzuweisen, die der Aktion skeptisch