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Jakob Ponte. Helmut H. Schulz
Читать онлайн.Название Jakob Ponte
Год выпуска 0
isbn 9783847668800
Автор произведения Helmut H. Schulz
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Mein Wahlvater tadelte Großvaters Handlungsweise nicht. Er lobte: »Das haben Sie gut gemacht, Joseph, menschlich gesprochen. Und wie geht es ihr?«
»Ihr Haus steht zwar noch inmitten von Ruinen, sie selbst ist dienstverpflichtet, von ihrem Mann hat sie gar nichts gehört; er war zuletzt als Dolmetscher in Griechenland.«
»Was dieser Kerl bei den Griechen macht, möchte ich wissen«, bemerkte Großmutter trocken, um überhaupt etwas Negatives beizubringen. Der Alte erzählte weiter, dass sie ein Kind, eine Tochter hätten, irgendwohin kinderlandverschickt, die jammervolle Briefe nach Hause schreibe. »Ach, was! Wie alt ist denn die Kleine?« fragte Hochwürden interessiert.
»So um zwölf«, meinte Großvater. »Ich habe Briefe von ihr gelesen. Also, wir sind schließlich die Großeltern und keine Unmenschen.«
»Doch«, sagte Großmutter mit Nachdruck, »ich schon. Ich will gar nicht anders sein, als ein Unmensch. Überhaupt, mein Alter, habe ich Verschiedenes mit dir zu besprechen; hier wird sich manches ändern.« Die Besprechung zog sich ein wenig in die Länge, es kamen Dinge zur Sprache, die mich nichts angingen und bald darauf wurde Großmutter Hausbesitzerin, Ladeninhaberin und meine Base zu uns geholt. Sie kam ins Haus, allerdings in der Hauptsache, weil wir ein Dienstmädchen brauchten. Es gab längst keine mehr, nicht einmal mehr beim Arbeitsamt; alle waren dienstverpflichtet. Großmutter schaffte es jedoch, sich eine solche Kraft zuteilen zu lassen. Helene Buder, so ihr Familienname, wurde als Hilfe erlaubt, was man seinerzeit als ein Pflichtjahr bezeichnete und der Erziehung wie dem Glück junger nationalsozialistischer Mädchen diente. Ehe ich auf den Eintritt Helenes als einem wichtigen Einschnitt in mein Leben näher eingehe, ist von einer Gefahr zu berichten, die eine drohende Gestalt annehmen konnte, und die jedenfalls alle bezüglich meiner Zukunft gehegten Pläne zunichtemachen würde, falls sich kein Wunder ereignete.
Hierzu ist weiter auszuholen; meine Familie bekannte sich nach Herkommen zum edlen Volksstamm der Thüringer. Thüringen war unsere Heimat in einem großen deutschen Vaterland. Historiker nennen dieses Vaterland Reich und den Staat die Reichsidee; ganz früher waren wir sozusagen Römer im Heiligen Römischen Reich. Nach ungenannt vielen Wenden lebten wir zu meiner Zeit, weil das Römerreich längst untergegangen war und das zweite Reich nach dem Ersten Weltkrieg beendet werden musste, im Dritten Reich Adolf Hitlers. Indessen können wir noch von Glück sagen; denn die Franzosen haben sogar fünf Republiken hinter sich gelassen, zu meiner Zeit waren sie erst in der Vierten Republik. Überdies aber lebten wir auch in Gauen; einst hatten die Thüringer dem Reich die wilden Ungarn ferngehalten, Kraft der Heiligen Lanze Kaiser Ottos des Ersten. Mein Lehrer Fabian in Sachen Geschichte zeigte mir die Abbildung dieser Reliquie, die in einem Wiener Museum ausgestellt wurde; ich sah zwar nur ein Stück rostigen Eisens, war aber immerhin stark bewegt bei dem Gedanken, dass wir vermittels dieses Dinges ein Reich geworden waren. Durch unser thüringisches Land zog sich eine Kette von Burgen, die ich nach und nach mit Großvater oder meinem lieben Vater Hochwürden besucht hatte, in der Mehrzahl arge Ruinen und Trümmer einstiger Größe. Auch ohne lange Erklärungen sah ich, von einem höheren Punkt hinabgeblickt, dass sie alle an der großen Straße lagen, um den Handel zu schützen oder um die Kaufleute ihrer Habe zu berauben.
Thüringer waren hart, zäh, aber auch mildtätig, wenigstens manchmal, vor allem waren sie Christen. An die Wartburg habe ich besondere Erinnerungen bewahrt. Nicht nur dass der Landgraf dort Liederfestivals abzuhalten pflegte, auf denen sich die Minnesänger des Reiches mit der Harfe, statt mit dem Degen bekämpfen; auf ihr hatte auch der Ketzer Luther mit dem Teufel gerungen. Man zeigte mir bei einem Besuch den dunklen Fleck an der Wand seines Zimmers, das von dem Tintenfass herrührte, welches er als Junker Jörg, Satan entgegen geschleudert, und ich überlegte, ob Tintenflecke vierhundert Jahre lang sichtbar bleiben. Mein Vater, der es von Amts wegen nicht mit Luther hielt, meinte, man werde die Tinte gelegentlich erneuern, wenn sie verblasse. Er besaß aber genügend geschichtliches Verständnis, um mir die Gründe für die Reformation als einen Konflikt der Deutschen mit der römischen Kurie zu deuten; gleichwohl galt ihm Doktor Luther als ein Ketzer, dem er als Philologe denn doch manches nachsah. Dies alles und unsere Dickschädel hatte die Rebellion der Deutschen gegen das Papsttum begünstigt, mit großen Folgen für die Thüringer nach sich gezogen und nicht nur für sie. Meine Familie war freilich standhaft im alten Glauben geblieben. Aus der Hand meines geistlichen Lehrers bekam ich die Reime des Dichters Walther von der Vogelweide, las sie in Klausur und machte ihn dank der Verse „Ich saß auf einem Steine und legte Bein auf Beine“ zu meinem Lieblingssänger.
Nein, wir konnten wohl stolz darauf sein, unseren Ursprung auf die Thüringer und einen eisenharten Landgrafen zurückzuführen, ich zumal war nicht wenig stolz auf meine Vergangenheit wie auf die Sagen über meine Landsleute und wäre nicht auf den Gedanken gekommen, ihnen nicht zuzugehören. Ob er in Rom gewesen sei, fragte ich meinen Vater Hochwürden anlässlich des Wartburgbesuches, was nahelag, weil sich unser Tannhäuser vermittels einer Pilgerreise in Rom dem Papst vorstellen ließ und so weiter. Fabian bejahte es und fügte traurig hinzu: »Sogar mehrmals. Als junger Geistlicher gedachte ich eines Tages Kardinal zu werden. Im Kriege, ich war achtzehn Jahre alt, konnte ich zwar noch mit einem Studium beginnen, kam dann jedoch zur Sanität ... Ah, Rom! Eines Tages werden wir gemeinsam in die Heilige Stadt pilgern, Jakob, denn ich habe große Dinge mit dir vor!« Dazu äußerte ich mich nicht.
Seht, auch er hatte über mich beschlossen, ohne mich zu fragen. Da es in solchen Fällen besser war, wie ich aus den Erfahrungen der hinter mir liegenden Kindheit wusste, den Erwachsenen ihren Willen zu lassen und einfach die Zeit abzuwarten, ging ich darüber hinweg und wendete mich der Aussicht ins Tal zu. Es war Winter, der Berg war vom Schnee wie eingezuckert. Die Wintersonne ließ die Früchte der Eberesche rot aufleuchten, die noch nicht das Opfer der Fröste geworden waren. An den Laubbäumen hing verwelktes gelbes oder braunes Laub, und eine Masse kleiner bunter Sänger, Standvögel oder Wintergäste, bevölkerte die Ebereschen. Ich glaube, es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine Landschaft als schön empfand, und das herbe winterliche Bild in mich aufnahm. Freilich war es dem Tannhäuser nicht gut ergangen, aber in meinem Herzen blühte Sympathie für diesen Schlaukopf.
»Jedenfalls«, erklärte mein Vater im belehrenden Ton, »sind Christen, wenn sie Germanen sind, gleichwohl zu Kämpfen solcher Art bereit, wie sie Tannhäuser bestanden hat, und ermangeln der romanischen oder welschen Oberflächlichkeit.« Dies, um zum Wesentlichen zu kommen, war nicht so dahingesagt, denn seit einiger Zeit gab es an meiner Volksschule ein Lehrfach Lebenskunde, in welchem unsere menschlichen Eigenschaften auf das Ahnenerbe zugeführt wurden. Zwar war es recht angenehm zu hören, dass wir nach einem ehernen Lebensgesetz besser waren als andere, aber die wahren gesellschaftlichen und sittlichen Verhältnisse in Germanien ließen sich für uns Jungnazis kaum versüßen. Unsere struppigen Vorväter saßen in rohe Tierfelle eingehüllt, am Feuer und rösteten erlegtes Wild oder nagten an Knochen, den Speer neben sich, so auf einem der Rollbilder, wie sie im Unterricht verwendet wurden. Ihre Weiber sahen kaum besser aus, aber es mag eine Urkraft in diesem Volk gesteckt haben, die sie den Römern überlegen machte. Gleichviel, als wir an diesem Wintertag auf dem Wartburgberg standen, fühlte ich mich der germanischen Rasse deshalb tief zugehörig, weil die Natur ringsum am ehesten an das ursprüngliche Dasein der Voreltern erinnern mochte.
Ich hatte Verdacht geschöpft; gerade weil die Frage meiner Herkunft stets unbeantwortet blieb, war in mir der Verdacht entstanden, mit mir könne etwas nicht in Ordnung sein. Doktor Wilhelmi, der Rassebeauftragter in Müllhaeusen und Herr in Puffenrode, schien entschlossen, meine diesbezügliche Akte ein für alle Mal offen zu halten. Mamas Tagebuch enthielt die Notiz, dass wegen des Krieges gründliche rassische Nachforschungen über mich nicht möglich seien und auf den Frieden vertagt werden müssten, mit einem Ausrufzeichen. Hier nun, auf der Wartburg mit für jeden sichtbaren Zeichen des Deutschtums, beschloss ich, die