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Jakob Ponte. Helmut H. Schulz
Читать онлайн.Название Jakob Ponte
Год выпуска 0
isbn 9783847668800
Автор произведения Helmut H. Schulz
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Diese von mir erfundene Geschichte sollte noch ein Nachspiel haben; sie schlug gewissermaßen auf mich zurück, weil Großmutter nicht den Mund halten konnte. Es war also dem Zufall und meiner Einbildungskraft zu verdanken, das Mama zu einigen Erkenntnissen über mich gelangte. Da sie immer alles Nebensächliche aufbauschte, eine Reaktion auf die Ödnis in ihrem Leben, geriet meine Erfindung um die Plätterin in einen größeren Zusammenhang, als ihr eigentlich zukam.
Der Krieg, so meinte Mama, habe verhinderte, dass sich ihr Geliebter zurückmeldete. Nun aber waren alle Fristen für die Rückkehr meines angeblichen Vaters überschritten, und Mama legte sich eine reserviertere Haltung gegenüber ihrem Verflossenen zu. Sie war reif, an mir die negativen Züge des Mannes zu entdecken, den sie plötzlich verabscheute. Dazu hatte meine Fabel über die Plätterin einiges beigetragen, die leider nicht in unseren vier Wänden verwahrt blieb, sondern öffentlich wurde. Einleitend behauptete Mama, dass ich meinem Vater immer ähnlicher werde. Der aufkommenden Hysterie in ihrer Stimme hätte ich das Weitere entnehmen müssen, aber ich war an jenem Tage vielleicht nicht bei der Sache, deshalb traf mich der Schlag unvorbereitet. »Er lügt schon wie sein Vater!« Hatte der gelogen? Sicherlich, das setzte ihn in meinen Augen nicht herab. Ich selbst log nicht nur oft, sondern fast immer, hatte also ein vernünftiges Verhältnis zur Lüge, zumal alle, die ich kannte, eifervoll schwindelten, hingegen Wahrheitsliebe heuchelten. Lügen und Leben gehörten zusammen. Da war es meiner Ansicht nach besser, sich der Lüge wie einer Waffe zu bedienen, auch wenn dies als unmoralisch galt, wovon ich zu dieser Zeit kaum eine Ahnung hatte. Meine Beziehung zur Lüge war noch ganz ursprünglich. Jedenfalls versuchte ich gar nicht erst, Mama zu widersprechen, sondern fragte nur bescheiden, wann ich denn gelogen haben sollte. Da kam es heraus. Die Plätterin drohte uns wegen übler Nachrede mit juristischen Schritten, behauptete, dass der Bengel, also ich, ein jüdischer Bastard sei. Was eine gerichtliche Verfolgung bedeutete, verstand ich zwar nicht, wohl aber, dass ich vielleicht den Anlass zu einer weiterreichenden Verwicklung gegeben hatte. Sie alle wären bestürzt über meine Schlechtigkeit, hieß es! Es sei allen unbegreiflich, weshalb ich überhaupt gelogen hatte. Es habe absolut keinen Grund gegeben, die arme Plättfrau eines Verhältnisses mit einem Zuchthäusler zu bezichtigen, mit dem sie Schwarzmarktgeschäfte mache! Wovon allerdings nie die Rede gewesen war.
»Sie ist immer gut zu dir gewesen! Rede, du Lümmel!« Wie sollte ich Mama erklären, was ich selbst nicht begriff. Offenbar hatten noch andere Leute Gefallen an dieser Geschichte gefunden und sie weiter ausgeschmückt. Menschenjagd und Verleumdung verschaffen uns hohe Genüsse, wie ich zu ahnen begann. Um diese Zeit etwa mag sich das Syndrom der Denunziation bei mir eingepflanzt haben und ich zähle somit zu den Nutznießern dieser Abscheulichkeit! Die praktische Lehre war, dass man mit solch kleinen Erfindungen etwas in Bewegung bringen konnte, was sonst in Ruhe verblieb, auf sich aufmerksam machte, und darin besteht wohl die Hauptursache für die allgemeine Lust an der Verleumdung.
Dann begann Mama damit, ihren Lebenstraum abermals umzukehren. Demnach hatte es keinen besseren Mann gegeben als den Argentinier. Vor Jahr und Tag also hatte er den Laden betreten, um etwas zu kaufen. Eine Kette. Neugierig wartete ich ab, bis Mama ihre Beichte schloss; schön, er sei vielleicht ein Lügner gewesen, trotzdem habe sie sich einen Rest Gefühl für ihn bewahrt! Und schließlich die von ihm gekaufte Ware in sein Hotel gebracht, basta! Da hustete Großmutter und fragte, ob sie glaube, ihr Kind würde diesem Unsinn etwas Nützliches entnehmen können. Sie schlug vor, mir ein paar zu langen und die Sache mit einer Entschuldigung bei der Plättfrau als erledigt zu betrachten. Während sie sich stritten, erwachte in meiner Brust ein Gefühl der Überlegenheit. Es wäre leicht gewesen, ihnen zu erklären, welche Rolle Lügen und Heuchelei in ihrem Leben spielten, hätte ich nur schon Worte dafür gehabt. Ich schwieg, um dieses Gerede nicht ins Uferlose gehen zu lassen, ließ es sogar zu, dass Mama mich an sich zog. Sie brauchte mich mehr als ich sie. Sie selber sorgte für meine Rehabilitierung. Auf dem Umweg über ihren Sohn fand sie zu dem Mann ihrer Träume zurück, der vielleicht gar nicht existiert hatte, und der auch tatsächlich ein Scheinbild in mehrfacher Hinsicht war, wie sich später herausstellen sollte. Sie wollte immer wieder neu betrogen werden, und ich stand ihr so fern, dass sie mich für einen Mann nahm, für einen umworbenen geschlechtlichen Gegenpol, obschon ich noch ein Knirps gewesen bin. »Oder war es die Fantasie, Jakob? Hast du es geträumt? Das gibt es nämlich. Man nennt es Einbildungskraft.«
Erleichtert, von ihren Vorstellungen befreit, nahm sie mich wieder auf. Die alte Frau stieß einen Seufzer aus und sagte, sie glaube gar nicht, dass ich gelogen hätte, sonst würde sich die Plätterin nicht so energisch verteidigen. »Also, merk es dir, und halte den Mund; du siehst ja, was herauskommt, wenn man schwindelt; die Menschen, alle Menschen, sind nun einmal schlecht«, sprach Großmutter. Mama weinte ausgiebig über sich, wie es hübschen, weichherzigen und leichtsinnigen Frauen mit schwachem Verstande gegeben ist.
Solche Feuchtigkeit lernte ich zu ertragen; meine späteren Erfolge bei Frauen verdanke ich meinem frühen Verständnis für die weibliche Psyche, das ich mir in früher Kindheit anerzogen habe ... »Jedenfalls habe ich Hochwürden Onkel Fabian gebeten, sich deiner anzunehmen«, schloss Mama erhaben.
Nicht ohne Erwartung sah ich seinem nächsten Besuch entgegen. Nach Mamas Entdeckung, dass ich die Lügenhaftigkeit meines Vaters geerbt hatte, war also beschlossen worden, meine Erziehung in die Hände eines stärkeren Mannes zu legen, als in die Uhrmacherhände Großvaters. Nach Meinung der Frauen würde er auf Dauer an meinen Listen scheitern und eher meinen Untugenden erliegen, als mich auf den Pfad der Tugend führen. Bislang hatte der Geistliche nur Anteil an meinen seelischen und körperlichen Leiden genommen; meine Verfassung fesselte ihn menschlich und von Amts wegen bald aber dermaßen, dass alle Voraussetzungen für ein Erziehungswerk an einem Knaben wie mir gegeben schienen. Er stand in einem entfernten Verwandtschaftsverhältnis zu uns, über sechs Ecken, wie Großmutter sich ausdrückte; er war ihr Großneffe, wiewohl es einen solchen Verwandtschaftsgrad offiziell nicht gibt. Mir sind die Verhältnisse in ihrer weitverzweigten Familie nie völlig klar geworden. Sie selbst blieb wie alle anderen Mitglieder des Hauses bei einem respektvollen distanzierenden Sie, wenn sie mit ihm sprach, wenigstens im Allgemeinen. Hatte sie sich über ihn geärgert, redete sie ihn mit dem verwandtschaftlichen Du an.
Dass ein Priester und Diakon in der Familie unser Ansehen in der Stadt mehrte, sei am Rande gesagt, wie auch festzustellen ist, dass Hochwürden das Amt eines Diakon nicht wirklich ausübte, sich also nicht mit dem aktiven Pflegedienst abgab, wohl aber andere zu solchen Diensten anleitete, das will ich wenigstens hoffen. Wie überhaupt hier schon bemerkt werden kann, dass er jede praktische Tätigkeit aus Bequemlichkeit vermied. Im Übrigen waren wir gerade um einen Hausgenossen ärmer geworden; unser Dienstmädchen, jenes vernünftige Wesen, das in Küche und Haus lautlos gewirkt hatte, und der ich Handreichungen bei meinem ersten Warmbad in dieser Welt verdankte, war gerade dienstverpflichtet worden, wie alle kinder- und ehelosen Frauen. Daraus ergaben sich Schwierigkeiten für uns; denn Großmutter und Mama wurden im Geschäft gebraucht; gebraucht ist hier vielleicht eine Übertreibung; ein neues Mädchen war jedenfalls nicht zu beschaffen. Wenn ich unseres Dienstmädchens ungerechterweise bisher nicht gedacht habe, so allein deshalb, weil ihr Wirken in eine Zeit meiner Kindheit fällt, wo nicht alle Eindrücke gleich stark sind. Andererseits musste ich sie als vernünftig bezeichnen, weil ihr in meiner Erinnerung alles leicht und ohne Lärm von der Hand ging. Gern will ich aber zugeben, dass weder Mama noch Großmutter überhaupt Anteil am Geschick eines solchen Wesens genommen haben; es ist nicht unmöglich, dass unser Küchentrampel, ein Wort Großmutters, ihre Dienstverpflichtung