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aus meinem Geiste zu verjagen, lebten sie bereits völlig losgelöst von jedem erzählerischen Beistand auf eigene Faust weiter, Gestalten eines Romanes, die wie durch ein Wunder aus den Seiten des Buches herausgetreten waren. Sie suchten sich bestimmte Augenblicke meines Tagesablaufs aus, um in der Einsamkeit meines Arbeitszimmers wieder vor mir aufzutauchen, kamen, bald der eine, bald der andere, auch zwei auf einmal, um mich in Versuchung zu führen, mir diese oder jene Szene vorzuschlagen, die darzustellen oder zu beschreiben wäre, über die Wirkungen zu sprechen, die man da herausholen könnte, über das neuartige Interesse, das eine bestimmte, ungewöhnliche Situation erwecken könnte, und so weiter.

      Für einen Augenblick ließ ich mich erweichen. Und jedesmal genügte mein Eingehen, das bisschen Mich-überrumpeln-lassen, dass sie daraus neues Leben gewannen, einen Zuwachs an Evidenz und daher auch an überzeugender Wirkung auf mich. Und so wurde es mir allmählich immer schwerer, mich wieder von ihnen zu befreien, wie es ihnen immer leichter wurde, mich wieder in Versuchung zu führen. Schließlich war daraus eine richtige Obsession geworden - bis mir plötzlich klar wurde, wie ich davon loskommen könnte.

      Warum eigentlich - sagte ich mir - schildere ich nicht diesen ganz neuen Fall eines Autors, der sich weigert, einige seiner Gestalten, die in seiner Phantasie lebendig geboren wurden, leben zu lassen, und den Fall dieser Personen, die, da ihnen nun einmal Leben eingeflößt ist, sich nicht damit abfinden, von der Welt der Kunst ausgeschlossen zu bleiben? Sie haben sich bereits von mir gelöst; sie leben auf eigene Faust; sie haben Stimme und Bewegung erlangt; sie sind also schon von selbst, in diesem Kampf, den sie mit mir um ihr Leben haben führen müssen, Bühnenfiguren geworden, Figuren, die sich allein bewegen und reden können; sie betrachten sich bereits selbst als solche und haben gelernt, sich gegen mich zu wehren, sie werden sich auch gegen andere zu wehren wissen. Lassen wir sie also dahin gehen, wohin Bühnenfiguren zu gehen pflegen, wenn sie lebendig werden wollen: auf eine Bühne. Und wir werden sehen, was dabei herauskommt.

      So habe ich's gemacht. Und es ist natürlich herausgekommen, was herauskommen musste: ein Gemisch von Tragischem und Komischem, von Phantastischem und Realistischem, in einer wirklich neuen und höchst verwickelten humoristischen Situation. Ein Drama, das von sich aus, mit Hilfe seiner atmenden, sprechenden, sich bewegenden Gestalten, die es in sich selber tragen und erleiden, um jeden Preis die Möglichkeit finden will, aufgeführt zu werden; und die Komödie des vergeblichen Versuches dieser improvisierten szenischen Verwirklichung. Zunächst die Überraschung dieser armen Schauspieler einer Truppe, die am Tage auf einer leeren Bühne, ohne Kulissen und Dekorationen, gerade ein Stück probieren; Überraschung und Ungläubigkeit, als sie vor sich diese sechs Bühnenfiguren auftauchen sehen, die sich als Personen auf der Suche nach einem Autor vorstellen; dann, gleich darauf, bei der plötzlichen Ohnmacht der schwarzverschleierten Mutter, ihr instinktives Interesse an dem Drama, das sie bei ihr und den anderen Mitgliedern dieser merkwürdigen Familie erahnen, einem dunklen, vieldeutigen Drama, das so unvermutet über die leere und auf seinen Empfang nicht vorbereitete Bühne hereinstürzt; und allmählich das wachsende Interesse am Hervorbrechen der widerstreitenden Leidenschaften, bald beim Vater, bald bei der Stieftochter, dann beim Sohn und schließlich bei jener armen Mutter. Leidenschaften, die, wie gesagt, mit einer tragischen, zerstörerischen Wut sich gegenseitig zu überwältigen versuchen.

      Und da ist auch der zunächst vermisste höhere Sinn in diesen sechs Personen, die ihn jetzt, nachdem sie von sich aus auf die Bühne gegangen sind, in sich selbst finden können, in der Erregung des verzweifelten Kampfes, den jeder gegen jeden führt und alle gegen den Direktor und die Schauspieler, die sie nicht verstehen.

      Ohne es zu wollen, ohne es zu wissen, drückt jeder von ihnen im Aufruhr des Gemütes, um sich gegen die Anschuldigungen des anderen zu verteidigen, als sein tiefes Leid und seinen Kummer das aus, was so viele Jahre meinen Geist gequält hat: die Täuschung über die Möglichkeit des gegenseitigen Verstehens, die durch die leere Abstraktion der Worte unweigerlich hervorgerufen wird, die vielfältige Persönlichkeit eines jeden, entsprechend all den Möglichkeiten des Seins, die sich in jedem einzelnen von uns finden; und schließlich der tragische, immanente Konflikt zwischen dem Leben, das sich unaufhörlich bewegt und verwandelt und der Form, die es unwandelbar fixiert.

      Vor allem zwei dieser sechs Personen, der Vater und die Stieftochter, sprechen von diesem schrecklichen, unwiderruflichen Festgelegtsein ihrer Form, in der beide für immer unabänderlich das Wesentliche ihres Seins ausgedrückt sehen, das für den einen Strafe, für die andere Rache bedeutet, und sie verteidigen sie gegen das affektierte Getue, die unbewusste Oberflächlichkeit der Schauspieler und versuchen, sie dem primitiven Direktor aufzudrängen, der sie ändern und den sogenannten Bedürfnissen des Theaters anpassen möchte.

      Dem Anschein nach sind nicht alle sechs Personen auf der gleichen Ebene der Gestaltung, aber nicht, weil es unter ihnen Figuren ersten und zweiten Grades, das heißt "Protagonisten" und "Statisten" gäbe - das wäre dann bloß die elementare perspektivische Struktur, wie sie für jedes Drama und jede Erzählung notwendig ist - oder weil etwa nicht alle ihrem Zweck entsprechend vollständig ausgeführt wären. Alle sechs befinden sich im gleichen Zustand der künstlerischen Verwirklichung und alle sechs auf der gleichen Ebene der Realität, nämlich der phantastischen des Stückes. Aber der Vater, die, Stieftochter und auch der Sohn sind als Geist dargestellt, die Mutter als Natur. Der Junge, der nur zuschaut und schließlich eine Geste auszuführen hat, und das kleine, völlig passive Mädchen sind bloß "Anwesende". Diese Tatsache schafft zwischen ihnen eine ganz neue Perspektive. Ich hatte unbewusst den Eindruck, dass ich einige künstlerisch stärker ausgeführt erscheinen lassen müsste, andere weniger, andere nur flüchtig skizziert als Elemente eines Geschehens, das erzählt oder aufgeführt wird: Die Lebendigsten, die wirklich vollkommen Durchgeführten, der Vater und die Stieftochter, treten natürlich mehr nach vorn und führen und schleppen das beinahe tote Gewicht der anderen mit sich: zum einen den Sohn, der sich sperrt, zum anderen die Mutter, wie ein resignierendes Opfer zwischen diesen zwei kleinen Kreaturen, die kaum Konsistenz haben, es sei denn in ihrer Erscheinung, und die an die Hand genommen werden müssen.

      Und wirklich! Jeder einzelne musste in dem Stadium der Erschaffung erscheinen, das er in dem Augenblick in der Phantasie des Autors erreicht hatte, als dieser sie von sich fortjagen wollte.

      Wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann erscheint es mir wie ein Wunder, dass ich diese Notwendigkeit intuitiv erfasst und unbewusst die Lösung in einer neuen Perspektive gefunden und auf welche Art ich die erreicht habe, Tatsache ist, dass das Stück wirklich in einer spontanen Erleuchtung der Phantasie konzipiert wurde, als wunderbarerweise alle Elemente des Geistes in einem göttlichen Einklang übereinstimmten und tätig waren. Keinem kühl berechnenden menschlichen Gehirn, und wenn es sich noch so sehr bemüht hätte, wäre es je gelungen, alle Notwendigkeiten der Form dieses Stückes ganz zu erkennen und zu befriedigen. Deshalb dürfen die Gründe, die ich nun anführen werde, um seine Bedeutung zu erklären nicht als vorgefasste Absichten verstanden werden, mit denen ich an das Werk heranging und die ich jetzt verteidigen wollte, sondern nur als Entdeckungen die ich selbst später, bei ruhiger Überlegung, habe machen können.

      Ich habe sechs Personen, die einen Autor suchen, darstellen wollen. Es gelingt nicht das Drama aufzuführen, eben weil der Autor fehlt, den sie suchen; und statt dessen wird das Drama dieses vergeblichen Versuchs aufgeführt, mit allem, was es an Tragischem enthält, weil diese sechs Personen abgewiesen worden sind.

      Aber kann man eine Person darstellen, wenn man sie abweist? Es ist doch klar, dass man sie um sie darzustellen im Gegenteil in die Phantasie aufnehmen und ihr daher auch Ausdruck verleihen muss. Und so habe ich diese sechs Personen wirklich aufgenommen und gestaltet. Ich habe sie jedoch als Abgewiesene aufgenommen und gestaltet: auf der Suche nach einem anderen Autor.

      Man muss nun verstehen, was ich bei ihnen abgewiesen habe; offensichtlich nicht sie selbst, wohl aber ihr Drama, das sie ohne Zweifel am meisten interessiert. Aber mich interessierte es aus den bereits genannten Gründen überhaupt nicht.

      Und was ist für eine Bühnengestalt das eigene Drama?

      Jedes Phantasiegebilde, jedes Geschöpf der Kunst muss sein Drama haben, um zu existieren, das heißt ein Drama, dessen handelnde Person es ist und durch das es zur handelnden Person wird. Das Drama ist der Seinsgrund der Person; es ist ihre Lebensfunktion, die sie braucht,

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