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Habicht.«

      »Warum sollte ich?«, erwiderte Etter gereizt.

      »Weil du der Beste bist und weil die Habichts wissen wollen, wo ihre Tochter ist.« Sutter hoffte, dass seine Worte nun dort angekommen waren, wo er sie hinschicken wollte.

      Etter blieb nachdenklich stehen und sagte kein Wort. Er war froh, kurz anzuhalten. Sein Gehtempo war definitiv zu schnell gewesen. Er atmete stark und sein Herz raste.

      Sutter fuhr fort: »Du weißt, dass ich mich nicht um den Fall kümmern darf. Die Mordkommission wird erst eingeschaltet, wenn eine Leiche ins Spiel kommt.«

      »Ich bin noch nicht so weit«, entgegnete Etter schnell. »Schau mich doch an. Ich habe genügend eigene Probleme. Ich kann mich nicht um die von anderen kümmern.«

      Stille.

      Sutter musste es auf eine andere Weise versuchen. »Peter, bitte denk mal ein Jahr zurück. Warum hast du täglich über fünfzehn Stunden gearbeitet? Wieso hast du all die Verbrecher gejagt und zur Strecke gebracht?« Sutter schaute Etter in die Augen und gab sogleich auch die Antwort: »Weil es dein Leben ist!«

      Etters Augen füllten sich langsam mit Tränen. Seine Nerven waren solchen Standpauken nicht gewachsen. »Mein Kind war mein Leben«, kam es zitterig über seine Lippen.

      »Ein dreizehnjähriges Mädchen ist vielleicht noch am Leben und braucht dringend deine Hilfe.« Sutter staunte selber über seine Wortwahl, die er im Nachhinein als völlig verfehlt einschätzte. Er hätte sich nicht gewundert, wenn Etter sich umgedreht hätte, um ihm eine Ohrfeige zu verpassen.

      Zu Sutters Überraschung reagierte Etter kaum darauf. Sie starrten sich nur an, ohne ein Wort zu sagen. Sutter, der nicht mehr damit rechnete, dass der erstarrte Etter in den nächsten zwei Wochen noch etwas sagen würde, drehte sich um und wollte gehen.

      »Aber nur als freier Mitarbeiter«, kam es über Etters Lippen. »Ich muss nichts, ich darf alles und bekomme alle nötigen Informationen!«

      Sutter begann zu strahlen. Am liebsten hätte er seinen ehemaligen Chef umarmt, aber er hatte sich im Griff. Ihre Zusammenarbeit war schon seit jeher so etwas wie gegenseitiges Verheimlichen von persönlichen Empfindungen. Keiner gönnte dem anderen einen guten Einfall oder einen Geistesblitz. Man freute sich aber schon darüber, allerdings erst zu Hause, wenn es der andere nicht sehen konnte.

      Sutter nahm sich also zusammen und sagte ganz ruhig und gefasst: »Okay. Um zwölf im Spiegelhof. Pausenraum. Ich bringe was zu essen mit und du bekommst alles, was wir bisher an Fakten haben.«

      Sutter verabschiedete sich mit einem knappen Nicken und marschierte zügig zum Ausgang des Friedhofes. Sein breites Grinsen im Gesicht konnte Etter sogar an Sutters Hinterkopf ablesen.

      Etter blieb noch eine ganze Weile auf dem Friedhofsweg stehen. Nur langsam beruhigte sich sein pochendes Herz. Was hatte er da eben gemacht? Hatte er tatsächlich Sutter seine Mitarbeit zugesagt? Nein. Er würde sich nicht so leicht überreden lassen. Sein Beruf war schuld an Katrins Tod. Nie mehr würde er in den alten Trott verfallen. Nie mehr!

      »Zehn nach zwölf! Alter Scheißkerl, immer noch dieselben Methoden.«

      Sutter saß an einem kleinen Tisch im noch kleineren Pausenraum und wartete auf Etter. Es war ihr Stammplatz. Sie saßen immer an diesem Tischchen. Es war der einzige Zweiertisch. Die Gefahr, dass sich jemand dazu setzen würde war gleich null.

      Sutter blickte auf seine Armbanduhr, schüttelte den Kopf und konnte ein Schmunzeln nicht verbergen. Etter kam gerne später. Seine Gesprächspartner zappeln zu lassen machte ihm Spaß. Wenn jemand etwas von ihm wollte, dann musste dieser auch bereit sein, etwas dafür zu tun: warten. So wurde Etters Kommen spektakulärer als das Eintreffen von Außerirdischen. Sutter freute sich darüber. Es war ein gutes Zeichen dafür, dass sein Vorgänger vielleicht schon bald sein Nachfolger würde.

      Sutter löschte diesen Gedanken sofort wieder aus seinem Hirn, denn er wollte sich nicht zu früh auf etwas freuen, was vielleicht nie eintreffen würde.

      Der Pausenraum war voll. Neben dem Zweiertisch an dem Sutter saß gab es noch einen Vierer- und zwei Sechsertische. Überall saßen uniformierte Polizisten, die ihren Proviant, den sie meistens im COOP an der Schifflände holten, vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatten. Die meisten waren mit Essen beschäftigt, dennoch herrschte ein hoher Geräuschpegel. Das Mittagessen war für viele die einzige Möglichkeit sich mit anderen Kollegen auszutauschen.

      Und auf einmal erschien er – die Tür zum Pausenraum öffnete sich und Etter betrat die Szene. Er blieb am Eingang kurz stehen, als würde er Sutter suchen, dabei wusste Etter genau wo Sutter saß und selbst ein Blinder hätte ihn in diesem kleinen Raum gefunden. Das kurze Innehalten hatte jedoch den gewünschten Effekt: die Gespräche verstummten. Nach und nach blickten unzählige Augenpaare in Richtung Tür, wo Etter stand. Wogen der Bewunderung und des Respekts schlugen ihm entgegen. Wären die Kollegen ehrfurchtsvoll und applaudieren von ihren Stühlen aufgestanden, es hätte Sutter nicht überrascht.

      Etter hatte seinen Auftritt und bestimmt tat es ihm gut. Die Kollegen widmeten sich wieder ihren Gesprächspartnern am Tisch und bissen in ihre Sandwiches.

      Etter näherte sich Sutters Platz.

      »Du bist schon da?«, scherzte Sutter.

      »Ich kann auch gleich wieder gehen«, giftete Etter zurück.

      Er war tatsächlich noch nicht ganz der Alte. Sutter musste sich zusammennehmen. »Komm, setzt dich. Was willst du trinken?«

      »Bist du neuerdings Kellner?«

      Etter setzte sich an den kleinen Tisch, ohne seinen Mantel aufzuknöpfen. Offensichtlich wollte er nicht lange bleiben. Sutter spürte, dass er auf den Punkt kommen musste, denn sonst könnte es passieren, dass Etter gleich wieder aufstand und ging.

      Sutter versuchte nun möglichst korrekt zu bleiben: »Hier in der Mappe findest du alles, was wir bisher wissen. Es ist nicht viel, aber immerhin könnten einige Hinweise dabei sein. Ich zähle auf deinen Spürsinn. Das Einzige, was wir bisher gefunden haben, ist das Fahrrad des Mädchens. Es lag auf einem Weg im Kannenfeldpark. Es war schon etwas zugeschneit.«

      »Wo ist das Fahrrad jetzt?«, wollte Etter wissen, ohne einen Blick in die Aktenmappe zu werfen, die ihm Sutter rüber schob.

      »Es müsste eigentlich bei uns in der Garage stehen, bis es den Eltern wieder ausgehändigt wird.«

      Etter sagte nichts. Er schaute wortlos in Sutters Augen. Es schien, dass Etter noch mehr wissen wollte und Sutter wurde unsicher. Verlegen suchte er nach Gesprächsstoff.

      »Wie geht’s dir?«, füllte Sutter die peinliche Pause.

      »Nicht nur Kellner, sondern auch noch Arzt?« Etter starrte ununterbrochen in Sutters Gesicht.

      Es hatte keinen Sinn. Etter war wirklich schwer einzuschätzen. Darum löste Sutter den Blickkontakt und kam wieder aufs Thema: »Die Untersuchungen am Fahrrad sind beendet. Wenn du willst, kannst du es dir nachher ansehen.«

      »Was ich kann, wann ich es möchte und ob ich es will entscheide ich!«, fauchte Etter.

      Sutter schluckte. Am besten wäre es, einfach nichts mehr zu sagen. Als er noch eng mit Etter zusammengearbeitet hatte, konnte er mit solchen Situationen besser umgehen. Eigentlich hatte sich Etter im vergangenen Jahr nicht verändert. Er war noch immer der missgelaunte, zynische und verletzende Mensch wie früher. Das Einzige, was sich verändert hatte, war Sutters Umgang mit Etters Launen. Er war aus der Übung gekommen; vor einem Jahr war er noch Meister darin.

      Viele Kollegen konnten nicht begreifen, dass Sutter mit einem Menschen wie Etter zusammenarbeiten konnte. Eigentlich war es nicht besonders schwer. Die Kunst bestand lediglich darin, Blitzableiter zu spielen und sich jeden Tag sagen zu lassen, dass man die größte Null im Universum sei. Und wenn man das überstanden hatte, gab’s auch oft ganz normale Tage. Etter lachte manchmal sogar – wenn Sutter stolperte, hinfiel oder mit offenem Hosenschlitz in die Chefetage marschierte. Das war Etter durchaus einen Lacher wert.

      Sutter

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