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fiel meinem Bruder Joachim am nächsten Tag der „Essener Anzeiger“ in die Hand. Unter den Todesanzeigen fand er eine von der Familie E. und A. Heuer. Sie waren Mitbewohner unseres Hauses. Weil die Traueranschrift mit Waldbröl angegeben war, wurden wir unruhig. Die Eltern hatten sich noch nicht gemeldet. Was war passiert?

      Abends als wir im Bett lagen, kam die Heimleiterin und fragte, ob wir Verwandte in Berlin hätten. Eine Tante hätte angerufen und lasse uns schön grüßen. Joachim fing tüchtig zu weinen an. Am nächsten Morgen kam die Heimleiterin und holte uns und andere Kinder zu einem Spaziergang ab. Wir wollten ins Museum oder ins Salzbergwerk. Es regnete tüchtig und sie nahm uns mit ins Büro angeblich um uns mit einem Regenumhang zu versorgen. Hinter uns schloss sie die Tür ab und teilte uns barsch mit, dass unsere Eltern bei einem Bombenangriff umgekommen seien. Um elf Uhr käme unser Onkel aus Berlin, um uns zu holen. Mit den anderen Kindern durften wir nicht mehr zusammenkommen. Es waren viele Kinder aus Essen darunter.

      Die Eltern waren nach unserem Abschied direkt in ihre Wohnung zurückgefahren. Um 0.10 Uhr – so steht es zumindest in ihrer Sterbeurkunde – fielen eine Luftmine und Sprengbomben, die das Haus völlig vernichteten. Unsere Eltern konnten nur noch tot geborgen werden.

      Am nächsten Morgen holte uns der Onkel in Reichenhall ab. Der Zug von München nach Berlin fuhr jedoch erst abends spät. Um uns abzulenken zeigte uns der Onkel in München die Feldherrnhalle und vieles andere mehr. Dann ging es nach Berlin. Die Züge waren überfüllt, es gab keinen Sitzplatz für uns und wir mussten auf den Koffern im Gang sitzen. Auf der Fahrt nach Berlin-Mahlow fuhren wir an einem offenen Güterwagen vorbei, in dem zwei Särge standen. Diese waren mit „Mann“ und „Frau“ gekennzeichnet und wir wussten, dass darin unsere Eltern lagen. Denn sie wurden auf ausdrücklichen Wunsch von Oma Adele nach Berlin übergeführt. Unsere Eltern wurden wenige Tage später in einem Doppelgrab auf dem Friedhof von Berlin-Blankenfeld beigesetzt.

      Wochen im Kinderheim

      Wer sollte uns, Zwillinge, gleich zwei so schnell aufnehmen? Wir mussten erst einmal in ein Kinderheim. Nach Bad Reichenhall konnten wir nicht zurück. In Achatswies (Fischbachau) fand man schließlich Platz für uns. Wir blieben gerade wenige Wochen in dem einstigen Jagdschloss. Von hieraus wurde viel unternommen. Wir fuhren zum Wendelstein, wir kletterten auf die Brecherspitze, besuchten den Schliersee und den Tegernsee. Für Kinder unseres Alters waren das tolle Erlebnisse, die ein ganz klein wenig halfen, über den schlimmen Verlust hinwegzukommen.

      Ungewisse Tage in Berlin

      Als wir wieder zurück nach Berlin geschickt wurden, hatte man einen Vormund für uns bestellt. Es handelte sich um einen Bankdirektor namens Walter Stiffel, einen Hauptmann der Gebirgsjäger in Italien. Unser Vormund und dessen Frau – meine Patentante Herta Pfeifenschneider – holten uns am Bahnhof ab. Die Begrüßung war nicht sehr herzlich. Joachim und ich spürten mehr als einmal, dass wir nicht willkommen waren. Auch daran, dass man für uns bereits ein Internat suchte.

      Kurz darauf starb Großvater Conell nach langer und schwerer Krankheit. An der Beisetzung unserer Eltern hatte er schon nicht teilnehmen können. Zwei Monate später wurde die Wohnung unserer Großeltern völlig zerstört. Die Bewohner des Hauses überlebten im Luftschutzkeller. Bei den Großeltern lebte auch unsere Tante, die Schwester unserer Mutter. Sie kümmerte sich sehr um die alten Herrschaften. Es war gut, dass Opa diesen Angriff nicht mehr erlebte, er wäre sicher nicht mehr in den Keller gekommen. Was aus Lüding-hausen – wir waren ja einige Monate da – an Kleidungsstücken und Erinnerungen gerettet und bei den Großeltern deponiert war, war nun auch vernichtet. Oma, Erika und die Tante kamen vorübergehend in ein Notquartier und wurden dann nach Löwenberg/ Schlesien evakuiert. Oma Conell hat die Flucht nicht überlebt. Sie starb in Löwenberg. Unsere Tante und auch unser Drilling Erika kamen später wieder zurück, jedoch nicht nach Berlin, sondern landeten in Gronau (Leine), unweit von Hildesheim.

      Die letzten Kriegstage in der Heimschule

      Zuerst ging es für Joachim und mich nach Templin in der Ueckermark. Es war ein altsprachliches Gymnasium und kam deshalb bei näherem Hinsehen gar nicht für uns in Frage.

      Dann kamen wir nach Waldsieversdorf nahe der Stadt Buckow (heute Landkreis Märkisch-Oderland) in die Märkische Schweiz, einem Naherholungsgebiet von Berlin. Dort mussten wir zunächst eine Aufnahmeprüfung in den Fächern Deutsch, Mathe, Sprachen und Sport ablegen, bevor wir bleiben konnten. Für uns Jungen war natürlich der Sport besonders interessant. Der Ausspruch unseres Schulleiters “Ohne Laufkippe kein genügend“ wird noch heute bei jedem Schülertreffen zum Besten gegeben. Wenige Jahre zuvor war aus dem einstigen Pädagogium (Privatschule) eine öffentliche Heim- und Oberschule unter Inspektion des SS-Grup-penführers Heißmann geworden. Der Leiter war damals Oberschulrat Professor Dr. Pflug (Foto unten).

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