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in die Küche lief und Nadja benachrichtigte. Sie schrie auf, und schon rannten auch ihre flinken Füße über den Holzfußboden – in seine Richtung. Nico sprach aufgeregt in sein Telefon.

      Cal schloss die Augen.

      Nico wünschte fast, es wäre nicht seine Aufgabe als Zweitältester, Matt zu suchen. Seine Mutter Nadja hatte ihm diesen Auftrag gegeben, kurz bevor der Krankenwagen eingetroffen war, den er angefordert hatte. Der Junge schloss für einen Moment die Augen. Er machte sich ernsthafte Sorgen um seinen Vater, auch deswegen, weil er augenscheinlich im Zimmer gewesen war, als dieser eine Herzattacke erlitten hatte, und sich noch immer an nichts erinnern konnte. Caleb hatte unnatürlich blass ausgesehen, als sie ihn in den Krankenwagen verladen hatten. Er war schon nicht mehr bei Bewusstsein gewesen.

      Beinahe gewaltsam riss Nico sich von diesem Gedanken los und wandte sich den momentan im Vordergrund stehenden Problemen zu. Er musste Matt finden. Er sah sich um. Die Gegend hier gefiel ihm immer weniger, vor allem, da er das unangenehme Gefühl entwickelt hatte, von allen Seiten angestarrt zu werden. Es waren kaum Leute auf der Straße, die ihm auch nur heilwegs das Gefühl von Anstand vermittelten. Und doch hatten ihm Matts Freunde den Weg in dieses Viertel gewiesen, mit dem Ratschlag, er solle vorsichtig sein, wenn er seinen Bruder tatsächlich finden wollte.

      Die Tür war so rostig, dass ein Teil des Metalls abblätterte, als er sie öffnete. Vorsichtig spähte er ins Halbdunkel der Lagerhalle, konnte aber nichts entdecken. Er ging einen Schritt weit hinein.

      „Matt?“

      Die Männer, die er draußen gefragt hatte, hatten ihm den Weg hierher gewiesen. Angeblich war sein Bruder hier. Er konnte es nicht so recht glauben, schließlich waren sie sich ja einig gewesen, unauffällig zu bleiben.

      „Matt?“

      Im Halbdunkel war der Lichtschimmer, der aus einer der hinteren Ecken kam, nur schwer wahrzunehmen. Nicolai sah ihn nicht. Hinter ihm krachte es, als die Tür ins Schloss fiel. Er fuhr zusammen. Dann hörte er Schritte und drehte sich um.

      Ein Mann kam auf ihn zu.

      „Hallo. Ähm..tut mir leid, dass ich hier einfach so reingekommen bin. Man sagte mir, mein Bruder wäre hier..“

      Der Mann sagte nichts, sondern starrte ihn einfach nur an, während er immer näher kam. Als er dann doch sprach, meinte Nico, etwas unnatürlich Weißes in seinem Mund wahrzunehmen.

      „Dein Bruder also.“

      Eine Gänsehaut überzog seine bloßen Arme. Er war sich relativ sicher, dass der Mann es nicht sehen konnte, aber auf dessen Gesicht blitzte plötzlich ein schmales Lächeln auf.

      „Jaaa, könnte sein, dass ich mich hier verirrt habe….“

      Der Mann ging nicht mehr auf seine Worte ein und war plötzlich verschwunden. Nico wollte sich schon wundern, offensichtlich hatte er sich das Ganze nur eingebildet, als er neben ihm wieder auftauchte. Er wurde zur Seite gerissen und an einen harten Männerkörper gepresst. Eine Hand presste sich auf Mund und Nase des Jungen. Nicos Körper begann vor Panik zu zittern.

      Dann fuhr sein Angreifer mit den Reißzähnen ganz leicht am Hals des Jungen entlang. Nico zuckte zusammen, als der andere Arm ihm den Brustkorb zusammenpresste.

      Auf ein energiegeladenes „Du kommst mit.“ hin schwanden ihm die Sinne.

      „Hast du Geschwister, Sullivan?“

      Der Vampir richtete beiläufig das Wort an ihn, während der Stoff verpackt wurde. Sullivan war der Name, unter dem sie in ihrer amerikanischen Wahlheimat bekannt waren. Matt konnte sich als ältester Sohn nur noch dunkel an Weißrussland erinnern, die Haupteindrücke waren die wohltuende Kälte und die Feindseligkeit der Menschen.

      Dass er hier mit den Vampiren zusammen arbeiten musste und sogar Drogen zu verkaufte, um seiner Familie ein kleines Zubrot zu verdienen, war aus Sicht eines jeden redlichen Menschen und Schattengeschöpfes undenkbar. Matt war froh, dass seine Eltern nicht wussten, was er hier tat. Außerdem gab er sein Bestes, um die Vampire nichts über sich erfahren zu lassen. Bei der ersten Begegnung allerdings hatten sie schon mitbekommen, dass er auch zu den Schattenwesen zählte, sie hatten seinen dryadischen Anteil riechen können. Deswegen war der Eisdryade sofort auf der Hut, als ihn einer von ihnen auf dieses Thema ansprach. Vampire waren zumeist von Grund auf verdorbene Wesen, nicht wenige von ihnen lebten ihren Blutrausch aus…

      „Ja. Warum?“

      Sein Geschäftspartner schlenderte der Wand entgegen. Matt erkannte im Dunkel die Umrisse zweier Gestalten.

      „Gehört der hier zu dir?“

      „Nico?“ Er eilte zu seinem Bruder. Der wirkte nicht so, als sei er bei Bewusstsein. Matt bemerkte die Bisswunde am Hals und verengte die Augen.

      „Ja. Ja, er gehört zu mir. Was ist passiert?“

      „Er ist hier rumgeschlichen und hat dich gesucht. Wie kommt dein gottverdammter Bruder hierher?“

      „Ich habe nicht die geringste Ahnung. Nico, kannst du mich hören?“

      Sein Bruder gab ein Stöhnen von sich. Dann nickte er schwach. Als er sprechen wollte, unterbrach der Vampir ihn.

      „Dein leiblicher Bruder?“

      „Ja.“

      Nico schlug die Augen auf und fixierte zuerst den Vampir, dann Matt. Matt konnte die Angst in den Augen seines Bruders sehen. Es musste ihn eine gehörige Portion an Überwindung kosten, dass er jetzt überhaupt sprach. Aus dem Augenwinkel beobachtete er zugleich den Vampir, der seinem Bruder offensichtlich die Bisswunde zugefügt hatte. Es war nicht zu erkennen, was er dachte. Sicher war allerdings, dass er Nico hier raus bringen musste. Die Vampire würden andernfalls sonst was mit ihm anstellen.

      „Dad musste ins Krankenhaus. Er hatte einen Herzinfarkt.“

      Matt sah ihn alarmiert an. Ein Eisdryade mit Herzinfarkt? An der Geschichte war eindeutig etwas faul. Aber sein Bruder wusste noch nichts vom Familiengeheimnis. Ab dem achtzehnten Lebensjahr würde auch Nico beginnen, sich zu wandeln. Bis er mit einundzwanzig ein vollständiger Eisdryade war. Aber solange die Wandlung andauerte, war er noch kein Schattenwandler.

      Er drehte sich wieder um.

      „Lasst ihn in Ruhe.“

      „Immer mit der Ruhe. Der Kleine ist noch ein Mensch, nicht wahr? Unsere Gesetze gelten für ihn nicht. Genau wie unsere Geschäftsbedingungen.“ Er lächelte verschlagen. „Im Gegensatz zu dir können wir ihn mitnehmen. Ich habe gehört, Eisdryadenblut wäre eine Spezialität.“

      „Nein!“

      Es war zu spät. Mitten im Raum lösten sich die Vampire plötzlich auf.

      Teleportation.

      Matt fuhr herum. Nichts als eine Rauchwolke kündete von der Anwesenheit seines Bruders. Sie hatten ihn mitgenommen. Er schlug mit der Faust gegen die Wand. Nicos Geburtstag war schon in zwei Tagen! Wenn er ihnen bis dahin nicht entwischte, war es nach den Gesetzen der Mythenwelt legitim, seinen Bruder festzuhalten!

      San Francisco, Vereinigte Staaten von Amerika, 2011

      Ein Vampir beugte sich über ihn. Nicos Körper war so kraftlos wie der einer Puppe, unfähig, sich dem Geschehen zu widersetzen. Tränen brannten in seinen Augen. "Bitte..", flüsterte er, unwissend, um was er eigentlich noch bat. Die vergangenen Stunden waren die schlimmsten seines Lebens gewesen: sein Vater hatte einen Herzinfarkt erlitten und er selbst war von irgendwelchen Wesen entführt worden, die sein Blut tranken. Einer von ihnen hatte gedroht, sich ihn sexuell gefügig zu machen. Er zweifelte nicht daran, dass auch diese Drohung in die Tat umgesetzt werden würde, wenn er auch nur eine falsche Bewegung machte. Dabei hatte er sich in den letzten Stunden so weit erniedrigt, sie um seine Freiheit anzubetteln und darum zu flehen. Die Vampire - die Vermutung lag nahe, nicht wahr? - hatten sich prächtig über seine Bemühungen amüsiert. Er konnte nur hoffen, dass seine Familie irgendwie von diesem Unglück verschont

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