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Mitmenschen zu kümmern?

      »Der letzte Mieter ist schon vor Monaten ausgezogen. Der Eigentümer hat gewechselt und lässt hier Luxusapartments entstehen. Die Dame wohnt ganz sicher nicht mehr hier, dafür kann ich garantieren.«

      Lilly nickte dem Arbeiter höflich zu. »Danke für die Auskunft. Dann muss ich mir wohl etwas anderes überlegen.«

      »Hundert Yards die Straße hinunter ist ein Postamt, dort gibt es Telefonbücher. Vielleicht werden Sie dort fündig.«

      Lilly bedankte sich abermals, bevor der Arbeiter durch eine Tür im Bauzaun verschwand.

      Das Postamt war leicht zu finden, es befand sich tatsächlich in unmittelbarer Nähe. Was Lilly zunächst wie ein vielversprechender Ansatz erschien, ließ sie letztlich jedoch enttäuscht zurück. In den Telefonbüchern (von denen es unzählige gab, für jeden Stadtteil mehrere) gab es zig Lenwoods, alle abzutelefonieren war unmöglich. Lilly ärgerte sich über sich selbst. Weshalb hatte sie im Vorfeld nicht besser recherchiert? Sie hatte sich blind auf die Adresse im Notizbuch verlassen, jetzt bekam sie die Konsequenzen dieser Dummheit zu spüren.

      Frustriert und demotiviert trat sie auf die Straße zurück, der schwere Koffer zog an ihrem Schultergelenk. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, sich sofort ein Ticket zurück nach Middletown zu kaufen, doch dann fiel ihr wieder ihre Cousine ein. Alexis würde wissen wollen, weshalb aus dem Kurzurlaub mit Lillys Freunden nichts geworden war. Außerdem hatte sie morgen einen Vorstellungstermin im Moonbeam, zumindest den wollte sie noch wahrnehmen, ehe sie das Projekt New York ad acta legte. Sie rechnete ohnehin mit einer Ernüchterung.

      Lilly strich sich eine störrische Strähne aus der Stirn, atmete einmal tief ein (schlechte Idee, sie saugte Abgase in ihre Lunge und bekam einen Hustenanfall), ehe sie sich in östlicher Richtung zurück zur U-Bahnstation in Bewegung setzte. Irgendwo in dieser gottverdammten Stadt würde sie schon ein billiges Hotel finden - davon gab es hier angeblich tausende.

       ***

       Dort hinten war es also. Aus einer Distanz von fünfzig Yards sah es gar nicht mal so schlecht aus, auch die Gegend schien längst nicht die schlimmste zu sein, die New York zu bieten hatte. Lilly klemmte sich zum wiederholten Mal eine Strähne zurück in den Knoten, den sie sich am Hinterkopf gebunden hatte. Eine Festtagsfrisur sah anders aus, aber für einen Vorstellungstermin musste es reichen. Sie hatte nicht das Geld, um zuvor noch einmal einen Friseur sein Glück bei ihrer wilden Haarpracht versuchen zu lassen. Und außerdem bewarb sie sich schließlich nicht um einen Job in der Wallstreet. Nein, dies war das Moonbeam, ein durchschnittliches amerikanisches Diner, nicht nur geografisch ziemlich weit entfernt vom Zentrum von Macht und Geld.

      Lilly sah in ihren Taschenspiegel. Gegen die Augenringe ließ sich leider nichts unternehmen, auch nicht gegen ihre tausend Sommersprossen. Sie sah aus, als hätte sie die ganze Nacht nicht geschlafen - und das entsprach sogar der Wahrheit. Nach einem Hotel hatte sie nicht lange suchen müssen, nur drei Häuserblocks vom ehemaligen Wohnsitz ihrer Tante entfernt war ihr das beleuchtete Schild an der Hauswand eines nicht allzu imposanten Gebäudes aufgefallen (es hatte nur sechs Stockwerke, für Middletowner Verhältnisse ein riesiger Klotz, in New York eher eine Hundehütte). Es wurde als 'Bright Stars Hotel' beworben, wobei das 'a' bedenklich schief an der Wand hing. Lilly bezweifelte zwar, dass irgendein New Yorker unter der Glocke aus Dunst und künstlichem Licht jemals hell erleuchtete Sterne gesehen hatte, aber vielleicht war der Betreiber nicht von hier. Oder ein Träumer. Oder ein hoffnungsloser Optimist. Wie auch immer. Von außen hatte das Hotel zumindest nicht den Eindruck vermittelt, als sei es ein Tummelplatz für Ratten, die Fenster schienen einigermaßen sauber zu sein. Alexis hatte immer gesagt, dass man anhand des Zustandes der Fenster eine Menge über die allgemeine Sauberkeit erfuhr. Tatsächlich hatte sich das winzige Hotel mit den gerade einmal zwanzig Zimmern als eine würdige Unterkunft erwiesen. Es gab frische Handtücher und saubere Bettwäsche. Das Mobiliar war jedoch alt und ziemlich abgenutzt und auch das Badezimmer hatte schon bessere Zeiten erlebt. Alexis hätte vermutlich die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen, aber Lilly war weder verwöhnt noch wählerisch. Ihr Geldbeutel teilte ihre Meinung.

      In der Nacht hatte sie kaum eine Stunde am Stück geschlafen. Obwohl sie das Fenster geschlossen hatte, war der Lärm der Straße einfach nicht zu ignorieren gewesen. Ständiges Sirenengeheul, Autohupen und knatternde Motoren. Ob man sich jemals daran gewöhnte?

      Lilly seufzte, strich ihre Bluse glatt, die im Koffer ein wenig gelitten hatte, und ging auf das Lokal zu. Sie rechnete ohnehin damit, in drei Tagen wieder im Zug zurück nach Middletown zu sitzen und ihren Ausflug in die Großstadt als Erfahrung zu verbuchen. Aber zuvor würde sie diesen Termin hinter sich bringen, das gebot ihr Anstand und ihr Pflichtgefühl.

      Von außen war das Moonbeam ein unscheinbares Lokal. 'Bar & Restaurant' klebte als rote schwungvolle Schrift über die komplette Breite der Glasfront. In der Mitte das Logo: ein Halbmond mit Sonnenbrille. Neben der Tür prangte eine Speisekarte. Lilly hatte sie sich natürlich zuvor schon im Internet angesehen. Der übliche Standard, Drinks und ein paar warme Snacks. Nichts, das sie nicht aus ihrer Zeit im Middletown Hotel kannte. Lediglich die Preise waren gesalzen, aber das schien in New York nicht ungewöhnlich zu sein, ungeachtet der Qualität.

      Über der Tür bimmelten kleine Glöckchen, als Lilly das Lokal betrat. Es war leer, niemand saß in den Sitzbänken oder auf den Barhockern. Es war elf Uhr am Vormittag, das Moonbeam hatte gerade erst geöffnet. Einige Details erkannte Lilly von der Webseite wieder: Der große Flachbildfernseher oder die riesige amerikanische Flagge, die sich an der Decke spannte. Das Interieur bestand aus dunklem glänzenden Holz, neben den Tischen und den gepolsterten Bänken gab es einen Billardtisch und eine Dartanlage. Ansonsten nichts, das es in jedem anderen Lokal nicht auch gegeben hätte. Jede Menge Flaschen und Gläser türmten sich in den Regalen hinter dem Tresen, daneben eine Tür und eine Durchreiche, vermutlich zur Küche. Hinter dem Billardtisch war eine weitere Tür, auf der ein Blatt Papier handschriftlich darauf hinwies, das der dahinter liegende Raum nur vom Personal betreten werden durfte.

      Die Tür öffnete sich und ein großer schlanker Mann trat heraus. Er lächelte freundlich, aber aufgesetzt. Eben so, wie man lächelt, wenn man Kunden bedienen muss, auf die man eigentlich keine Lust hat.

      »Möchten Sie etwas trinken? Unsere Küche hat noch nicht geöffnet, warme Speisen gibt es erst in etwa einer Stunde.«

      »Ich... ähm ...komme wegen des Vorstellungstermins.«

      Für die Dauer eines Augenblicks arbeitete es im Hirn des Mannes, das sah man ihm deutlich an. Er hatte ein schmales Gesicht, durch das sich einige Falten zogen, die Schläfen seines ansonsten dunklen Haars waren bereits ergraut. Lilly schätzte ihn in den Vierzigern.

      »Miss Bates? Das hatte ich ja beinahe vergessen.« Er sah auf die Uhr und stieß einen kleinen Seufzer aus, als passte es ihm überhaupt nicht, sich mit Lilly beschäftigen zu müssen. Er war ihr schon jetzt unsympathisch. Das konnte ja heiter werden.

      Er trat auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen, Lilly griff danach. Sein Händedruck war ziemlich fest, beinahe schon schmerzhaft. »Kommen Sie mit in mein Büro. Mason müsste jeden Augenblick hier sein, er kann sich um die Bar kümmern. Ist ohnehin selten, dass so früh schon Gäste hier sind. Ich bin übrigens Gabriel Black, mir gehört der Schuppen.« Natürlich wusste Lilly das, immerhin hatten sie miteinander telefoniert. Dass er es extra erwähnte, machte ihn nicht sympathischer.

      Lilly nickte freundlich und lächelte verkniffen. »Lillian Bates, sehr erfreut.«

      »Und Sie sind von Middletown hergekommen, um sich bei uns um einen Job zu bewerben?« Mr. Black zog skeptisch die Augenbrauen hoch, als könne er nicht fassen, dass jemand freiwillig bei ihm arbeiten wollte.

      Nein, ich bin hergekommen, weil ich gerne zu Dekorationszwecken in ihrem Lokal herumstehe, dachte Lilly.

      »Ist das so ungewöhnlich?«, fragte sie stattdessen.

      Er machte eine beschwichtigende Geste und lächelte nun wieder. »Nein, natürlich nicht. Aber gerade in der Gastronomie gibt es doch viele Jobs, erst recht jetzt im Sommer, wenn die Touristen in Scharen kommen. Die meisten, die sich in den Bars und Restaurants der Stadt vorstellen,

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