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über unvorstellbar viel Geld, das sie in Kapital umwandeln können, und andere an Hunger sterben oder aus Druck, das Geld zum Leben verdienen zu müssen! Noch scheint er so zu verstehen, dass arme Menschen dafür sorgen sollten, nicht in Abhängigkeit und Armut ihr Leben zu fristen. Also, eine Revolution wollte Sen nicht ausrufen. Der Schluss von Sen, „Hätte’ste Geld gehabt, sprich, wärst du wirtschaftlich unabhängig gewesen, wäre dir das nicht passiert!“ ist gleichfalls nicht zu ziehen. Denn selbst Geld schützt Menschen heutzutage nicht vor Kapitalverbrechen, Krieg, Unfällen im Verkehr, sozialen Unruhen oder sonstigem. Sen gab den Menschen Mikrokredite, damit sie sich wirtschaftlich frei schwimmen können – sie blieben dennoch in Abhängigkeiten stecken. Es ging in der obigen Aussage nicht im Kern um Freiheit und Unabhängigkeit, die es zu erlangen gilt. Es ging darum, den Menschen etwas in ihrer Not zu geben, damit sie ruhig und nicht sozial unruhig bleiben. Mit Beschäftigung sind sie ruhig. Die Aussage des Satzes ist darüber hinaus so zu verstehen, als sei der arme Mann mit dem Tod gestraft worden, weil er wirtschaftlich unfrei war, d.h., weil er trotz der Unruhen zur Arbeit gegangen ist! D.h., die Schuld an seinem wirtschaftlichen Zustand wird ihm selbst zugerechnet: Er hat sich den Tod selbst zuzuschreiben. Hier fehlt politische Verantwortungsübernahme. Menschen und ihr Wohl sind nicht wichtig! Im obigen Beispiel gehen Täter frei aus, werden als solche gar nicht erst benannt: Es sind eben Unruhen in der Stadt – vermutlich aufgrund sozialer Konflikte! Die Opfer sind selber schuld, wenn sie sich auf den Weg zur Arbeit machen! Das muss man mal den Deutschen lehren, zuhause zu bleiben, wenn sie krank sind – denn sie schleppen sich mit Tabletten gespickt in die Betriebe, um Arbeit nicht zu verlieren.

      Christoph Keese schließt nun etwas völlig anderes aus dem obigen Satz:

      „Bei Kapitalismus geht es im Kern nicht um Geld, sondern um Freiheit. Erst wenn die Hauptursachen von Unfreiheit verschwinden – Armut, Despotismus, sozialer Notstand, Intoleranz –, entwickelt sich die Menschheit weiter. “ (Keese, 2004, S. 114). Ich glaube, ich kann für einen Großteil der Bevölkerung sprechen, wenn ich sage:

      „Wir haben nichts gegen Freiheit. Und wir wissen, dass man sich mit Geld Freiheiten erkaufen kann – das war schon immer so. Bitte sorgen Sie dafür, dass wir diese Voraussetzungen bekommen, Herr Keese. Weiter wüsste ich gern, was denn die Hauptursachen für Unfreiheit, Despotismus, sozialer Notstand, Armut und Intoleranz sind!“

      Denn bei Kapitalismus geht es im Kern um Abhängigkeitsverhältnisse, in denen diejenigen stecken, die besitzlos sind – Besitzende hatten schon immer Freiheiten. Deshalb ist der Kern des Kapitalismus auch nicht mit Freiheit gleichzusetzen. Oder soll es in Deutschland nur darum gehen, dass man Oben die Freiheit hat, mit Unten machen zu können, was man will? Oder soll, auf unsere demokratische Grundordnung bezogen, das Sprichwort „Sie wissen doch, die Kinder von Schustern gehen immer barfuss“ greifen? Sollen wir also in einer Demokratie ohne Demokratie leben und „Demokratie für Oben“ verwirklichen, damit Oben weiterhin gut schlafen werden kann? Frei nach dem Motto: Machen wir Geschäfte mit dem „Guten“ (Vgl. Marcus Rohwetter, 20.12.2006, S. 21) und erweitern es auf: Machen wir uns schön gut in der Öffentlichkeit, aber Hauptsache, wir müssen uns nicht ändern – spenden wir ein wenig Geld, dann bleibt alles wie es ist.

      Wie man sieht, legt das kapitalistische Wirtschaftssystem auch Inhalte und Definitionen der demokratischen Grundordnung fest: Geld bedeutet Freiheit. Damit ist Freiheit in Deutschland in direkte Beziehung zu Kapital gesetzt, die Menschen mittels Besitzverhältnisse in Freie und Unfreie, Unabhängige und Abhängige spaltet und existenziell festbindet.

      Wo ist da die Freiheit? Zum Beispiel die Freiheit, den Beruf ausüben zu können, den Menschen erlernt haben? Diese Freiheit gibt es nicht, weil diese Freiheit davon abhängt, ob „der Markt“, sprich das Kapital, diesen Berufsstand braucht. Aber es kam besser in Deutschland: Man wollte den Menschen die Freiheit erhalten, ggf. tätig werden zu können, statt zu Hause Däumchen zu drehen. 1-Euro-Jobs waren die Antwort auf die Frage, „was sollen wir arbeiten?“ Aber selbst der 1-Euro-Jober besitzt nicht die Freiheit, zu entscheiden, ob Menschen tätig werden wollen oder nicht. Die Jobs werden eingesetzt, um zu prüfen, ob Arbeitsmotivation bei Menschen vorhanden ist. Wenn nicht, gibt es keine Angebote für weitergehende Arbeitsmaßnahmen. Diese Freiheit ist also auch zu streichen. Dann folgt die Freiheit, die eigene Kraft und Lebenszeit irgendwo, wo sie gebraucht wird, einzusetzen, weil Menschen Geld brauchen, um in diesem System leben zu können. Also müssen sie abwägen, auf welche Freiheit sie verzichten. Am Ende verzichten die so aus dem freien Markt Ausgekehrten auf jeglichen Job, weil die Stundenlöhne dermaßen gesunken sind, dass es sich in unserem Sozialsystem nicht lohnt, arbeiten zu gehen.{1} Wollen sich Hartz-IV-Empfänger dennoch Geld hinzuverdienen, um ihre Familien nicht völlig absacken zu lassen, wird ihnen das Hinzuverdiente angerechnet und abgezogen. Gehen sie schwarzarbeiten, bekommen sie moralisch die rote Karte. Was, so lässt sich fragen, können Menschen tun, um aus dieser Situation heraus zu arbeiten? Menschen werden gleich dem Vorbild von Oben (ob in der Realität oder in Filmen) immer trickreicher versuchen, Vorteile zu ihren Gunsten auszuspähen. Sie fangen nicht selten in mies bezahlten oder durch Verkaufserfolg definierten Jobs an, andere Menschen über den Tisch zu ziehen und verzichten ihrerseits auf Moral und Ethik. Warum auch nicht – so tief wie sie im Leben bereits gefallen sind, lassen sich auch noch Reste von Anstand und Würde ruckzug ausmerzen. Hauptsache, auch bei ihnen, ebenso wie Oben, stimmt die Kasse, wenn auch in völlig anderen Dimensionen. Vorbilder von Menschen in führenden Positionen gibt es für diesen Verfall genügend. Zusätzlich gibt es noch genügend Menschen, die noch nicht mit allen Wassern gewaschen wurden und die kann man sich ja mal für gewisse Geschäftsabschlüsse zur Brust nehmen. Wen juckt in solchen Existenzkämpfen schon Moral und Ethik, wenn es um das tägliche Leben geht? In Kairo sind bereits acht Menschen beim Kampf um das tägliche, durch den Staat subventionierte Brot ums Leben gekommen. Existenzielle Not bringt zum Vorschein, womit man sich nicht gern beschäftigen möchte. Bei hungrigen und armen Menschen kommt Gleichgültigkeit, lieber das eigene Leben (Manager das fremde Leben) einzusetzen und möglicherweise in Kämpfen zu sterben, aber erst an dem Punkt zum Vorschein, wo sie drohen, zu verhungern: Jahre später, 2011 im Februar, ist das alte System gestürzt. Bei Managern ist dieser Grad an Gleichgültigkeit und moralisch-ethischer Verfehlung Menschen gegenüber Voraussetzung, um einen solchen Posten überhaupt zu bekommen. Sie gehen mit ihrem Blick und ihrer Haltung ebenso an Menschen vorbei, wie hungrige Menschen, die Brot sehen und haben wollen, ohne zu schauen, wer sonst noch links und rechts steht und das gleiche will, wie sie selbst.

      Trotz oder besser wegen der vielen „Gutschreibungen“ von Kapitalismus und Kapitalisten, Geldbesitzern und ihren freiwilligen, selbst gezimmerten Lobbyisten – werfen Sie doch mal einen Blick in die Promiwelt – sei hier nochmals klargestellt: Der Kern des Kapitalismus ist nicht Freiheit, sondern Profit und bedeutet für besitzlose Menschen lebenslange existenzielle Abhängigkeit. Insofern ist nicht zu philosophieren, was Kapitalismus ist: er ist ablesbar in Stadtvierteln, an Menschen und an ihren medizinischen Werten und dem, was sie an Bildung bekommen und was sie seelisch zu erleben haben und psychisch abzuwehren. Denn Geld in den Händen von Kapitalisten schafft kapitalistische Voraussetzungen, um kapitalistische Freiheiten zu bekommen und zu erhalten – unter dieser Voraussetzung kann man sich Freiheiten gönnen und sich politische Freiheiten einer öffentlichen Meinung einräumen – ohne direkt Angst haben zu müssen, man könnte reglementiert werden. Weder beinhaltet der Kern des Kapitalismus allgemein und für alle Menschen Freiheit, noch kann Freiheit als futuristisches Emblem für eine hehre Zukunft, in der alle Menschen Freiheit genießen, dem Kapitalismus aufgedrückt werden. Niemand ist frei im Kapitalismus. Freiheit hieße, Menschen könnten unter Berücksichtigung und im Sinne ihres menschlichen Wesens leben, ihre Fähigkeit erschöpfend, und dabei gesund bleibend, ausbilden. Kommunikation stünde im Dienst des Selbsterhaltes und nicht im Dienste fremder Interessen. Es würde zu weit führen, den Keese’schen Gedanken philosophisch auszuleuchten und in sozialpolitisch aussagekräftige Rahmen zu setzen. Christoph Keese bezeichnet mit „Freiheit“, was vielmehr mit Unabhängigkeit, also dem von Sen verwendeten Begriff für diesen wirtschaftlichen Umstand, zu bezeichnen ist. Sen differenziert politische Systeme und Wirtschaftssysteme im Sinne von Entwicklungsmöglichkeiten, größere Freiheiten für viele Menschen

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