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Denn sie, die kapital- und besitzlosen Menschen, schaffen Werte, die Kapital vermehren. Insofern ist Kapitalismus ein sehr einfaches System: es muss dafür sorgen, dass die Kapitalinvestoren ihr Kapital einsetzen und vermehren.

      Gleichzeitig ist dafür zu sorgen, dass kapitallose Menschen ohne nennenswertes Kapital bleiben. Minimaler monatlicher Verdienst, der viele Menschen nicht zu Kapital kommen lässt, ist leicht zu berechnen – und er wird in jeder Hinsicht und Dimension des Lebens ganz genau und gezielt kalkuliert. Sehr gut ist diese Berechnung 2010 durch die Bundesregierung aufgestellt und vielerorts diskutiert worden, was einem Menschen zum Überleben zugestanden wird.

      Ministerin von der Leyen bezieht sich auf diese statistischen Werte, um Hartz-IV-Bezüge festzulegen. Analog ist dieses Berechnungssystem auch für die arbeitende Bevölkerung zu denken. Das geniale kapitalistische Wirtschaftssystem ist für jeden Menschen frei kommunizierbar und die passende Politik demokratisch dazu wählbar. Mythen vom Tellerwäscher zum Millionär tauchen hier und da immer wieder auf, um die Laune und die Hoffnung der arbeitenden und nun zusätzlich der arbeitslosen Bevölkerung zu bewahren, um weiterhin eine hohe Identifikation mit diesem Wirtschaftssystem zu bezeugen. Neue Ideen bewegen sich innerhalb desselben.

      Glücksvorstellungen werden über Lotterien und Schnäppchen unterhalten. Um aber auch noch das Gegenteil zu belegen, das Geld nicht alles ist, werden alle Jahre wieder Menschen, die in der Lotterie viel Geld gewonnen haben in Funk und Fernsehen interviewt. Sie teilen mit, sie hätten nun kein Geld mehr, seien um eine Erfahrung reicher, und nun bescheiden, zusätzlich völlig anderen Sinnes geworden. Reiche wie arme Menschen haben diesbezüglich ihre Erfahrungen gemacht, wenn auch auf völlig anderem Boden und in anderer Hinsicht. Irgendwann dämmert es in ihnen, das Geld nicht alles ist.

      Insofern habe ich persönlich nichts gegen die Idee „Kapitalismus“, wenn so viele Menschen diesem System zu stimmen. Dennoch sollte über dieses System bis in seine Wurzeln hinein gesprochen werden.

      Weiter ist zu konstatieren, dass die Wurzel des Kapitalismus der Mensch ist, der sich mit ihm identifiziert. Denn es ist egal, wie das Wirtschaftssystem heißt – entscheidend ist, wer darin tätig ist, was er tut und wie er als Mensch dadurch geformt wird.

      Der Kapitalismus kann nichts für die Charaktere, die ihn lebendig werden lassen und in der Art und Weise, wie wir ihn seit einigen Jahren von seiner kältesten Seite kennenlernen, am Leben erhalten. Der „Kapitalismus“ ist kein lebendiges Wesen. Er ist ein lukratives, profitables Denkgebäude, welches in das Leben, in Menschen, implantiert worden ist. Letztendlich ist es der Mensch, der entscheidet, ihn in Fluss zu halten – oder nicht. Das Denken des Kapitalismus durchwirkt alle Menschen und alles Lebendige, wie Marx sagte, und nach meinen beruflichen Erfahrungen wirkt Kapitalismus bis in Seele, Zelle und Blutdruck und natürlich prägen sie die psychischen Abwehrleistungen. Insofern ist die Art und Weise, wie Menschen ihr Leben im Austausch mit der Natur leben und bestreiten, sodass beide, Mensch und Natur, Bestand haben und sich wesenstreu entwickeln können, existenziell und reflexiv prägend. Jede Form des Austausches zwischen Mensch und Natur ist prägend – insofern ist gleichfalls jede andere Wirtschaftsform ebenso prägend wie der Kapitalismus.

      Der Mensch im Kapitalismus denkt und lebt demgemäß kapitalistisch – jeder hält Ausschau nach seinen eigenen Vorteilen, nach seinen eigenen Profiten und Vorteilen. Damit entfremdet er sich von seiner eigenen (menschlichen) Natur – das kapitalistische Leben, Denken und Handeln wird zur zweiten Natur, zur entfremdeten Natur des Menschen. Mittels des kapitalistischen Denkens erscheint die Welt gänzlich anders, als sie ist, wie ich bereits in einem vorangegangenen Kapitel mitteilte. Der Spruch „Geld verdirbt den Charakter“ verdeutlicht die Einflussnahme des universalen Tauschwertes – dennoch bleibt der Mensch als Verantwortungsträger für Entscheidungen übrig. Dieses Faktum ist in kapitalistischen Ländern nicht anders als in sozialistischen Systemen. Menschliche Gier, die sich mit der Unersättlichkeit kapitalistischer Ziele des Gewinnstrebens, alles und jedes Fitzelchen Leben zu Geld zu machen, paaren sich auch in anderen wirtschaftlichen Formen und politischen Staatssystemen zu Ungunsten des menschlichen Wesens. Ich lebe in einem kapitalistischen Land und beschäftige mich demgemäß mit dieser wirtschaftlichen Form und verweise aber nochmals darauf, dass es Menschen sind, die ihn am Leben erhalten. Die Wurzel ist der Mensch. Wenn Christoph Keese also eigentlich meinte, die Wurzel des Kapitalismus sei der Mensch und der sei gut, teile ich seine Meinung. Wenn er weiter meinte, der Mensch solle gerettet werden, gelangt man zum Thema der Bücher zur Heillosen Kultur. Aber natürlich meinte Keese, Menschen sollten weiterhin etwas Fremdes, nämlich Kapitalismus, zwischen sich stellen und einander beurteilen und jeweils zum eigenen Vorteil nutzen. Der Aufruf Keeses „Rettet den Kapitalismus“ zielt nicht nur auf Treue und Schwur, sondern überspringt Bekenntnis wie Einwilligung und fordert Identifikation mit Kapitalismus und Verzicht auf dasjenige, was den primären Kern des Kapitalismus ausmacht: Gewinn. Der Verzicht wird aber von denjenigen erwartet, die ihn ermöglichen, nicht von denjenigen, die ihn einstreichen.

      Chronischen Falschdarstellungen hinsichtlich des Kerns und Wesens des Kapitalismus und den daraus erwachsenden Grundlagen für Entscheidungen und deren Auswüchsen in der (Lebens-)Praxis sind demgemäß mit Klärung und Gegendarstellung zu begegnen. Wenn man eine historische Perspektive wählt und sich fragt, wie konnte der Kapitalismus überhaupt entstehen, so könnte man aus einer psychohistorischen Perspektive sagen: Der Mensch hat einen Trieb zur Verbesserung seiner Lebensgrundlagen, und er vergleicht aus diesem Blickwinkel seine Ergebnisse mit den Ergebnissen der anderen. Man könnte von frühen Wettbewerbsstrukturen diesbezüglich sprechen. Dieses Verhalten, zu schauen, wie ein anderer Mensch etwas tut, spricht für Intelligenz, Lernfähigkeit und Kreativität. Von Vorbildern ist zu lernen. Kinder tun dies und Erwachsene gleichfalls. Dagegen kann überhaupt nichts eingewandt werden, denn das sichert Bestand und Fortschritt der Kultur.

      Damit wäre man bei einer sprudelnden Quelle im Menschen angelangt, dem Spieltrieb. Man nennt diesen Menschen auch Homo Ludens, das spielende und Wettbewerb suchende menschliche Wesen auf der Basis fest einzuhaltender Grundregeln.

      Der psychohistorische Kern des Homo Ludens ist mit dem Spiel und somit auch mit Freude und Kreativität im Wettbewerb assoziiert, wie es der niederländische Philosoph Huizinger in seinem gleichnamigen Buch „Homo Ludens“ (1956) beschreibt. Freiheit, Gleichheit und allgemein verbindliche Regeln sind eine wesentliche Voraussetzung für das Spiel.

      Dieses Element im Prozess „Entwicklung und Verbesserung“ erlangt im Kapitalismus jedoch eine gänzlich andere Ausprägung als im Homo Ludens Huizingers: Kapitalistische Macher halten sich nicht an die Regeln. Sie tricksen sich gegenseitig aus, müssen sich stets − trotz zu eisigem Misstrauen gefrorenen Gefühlen − höflich begegnen. Sie präsentieren sich folglich in einer kontaktlosen Formvollendetheit. Jeder Schritt ist auf Eis zu setzen. Es besteht immer die Gefahr des Ausrutschens. Letztlich vertraut ein Betreiber des Kapitalismus niemandem mehr. Um persönliche Enttäuschungen zu vermeiden, wird alles gekauft; denn dann „war’s ja nur ein Geschäft.“ Inzwischen dürften viele Menschen erfahren haben, dass ein Geschäft nicht nur ein Geschäft ist. In Geschäften konzentriert sich Leben, dass erblühen kann oder aber elendig zugrunde geht.

      Im Kapitalismus wird der ursprüngliche und einheitliche Kern von Tun, Vergleich, Kreativität, Fortschritt und Einhaltung von für alle Beteiligten gleichen Regeln in seine Einzelteile zerlegt: Wettbewerb ja, aber mit ungleichen Voraussetzungen und unter Umgehung von einheitlichen Regeln. Zeitgleich werden Handlungen oder Arbeitsgänge restlos in Einzelteile zerlegt, die an diesem gesamten Vorgang teilhaben und zu Geld gemacht. Dienstleitungen für Produkte von Firmen müssen Menschen selbst bezahlen, Service gibt es nicht bzw. ist ebenso selbst zu bezahlen wie für Plastikeinkaufstüten, mit denen Kunden dann kostenlos für Firmen Reklame laufen, in dem sie sie benutzen. Ziel ist nicht mehr Lebens- und Kulturerhalt, sondern Maximierung von Geld.

      Das Ziel, das menschlichem Tun zugrunde lag, wurde verändert. Aus Aneignung von Natur zum Zwecke des Lebens wurde Geldbeschaffung um jeden Preis unter Aufgabe des Natur-, Tier- oder Selbsterhaltes zum Zwecke des Überleben.

      Aus der Steinzeit ist der Glaube als Relikt übrig geblieben, es dennoch gegen alle Unbill von Natur und Leben es schaffen zu können,

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