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den Titel: „Como dizer tudo em inglês nos negocios“ (Wie sagt man das alles auf Business Englisch). Da er annahm, dass einige Sätze in dem Buch im realen Leben vermutlich selten bis nie zur Anwendung kamen (im realen Leben machte kaum jemand grammatikalisch korrekte Sätze und die meisten Sätze blieben zumeist unvollständig), fragte er regelmässig Muttersprachler, ob dieses oder jenes auch so gesagt werde. Das hing natürlich davon ab, wen er fragte – seine Quelle war ein Manager Anfang dreissig. „Eu vou me certificar que as mudanças apropriadas sejam feitas“ (Ich werde dazu sehen, dass die geeigneten Massnahmen vorgenommen werden) oder „Eu vou dar o meu melhor para fazer as mudanças necessárias“ (Ich werde mein Bestes tun, um die notwendigen Verbesserungen einzuleiten) würden selten gebraucht, lernte Harry. Was der Manager hingegen bei der Arbeit täglich zu hören bekam, war „Você está perguntando para a pessoa errada“ (Da fragen Sie den Falschen).

      Im Vorjahr hatte das Schulsekretariat vergessen, ihn darüber zu informieren, dass Mitte Februar die Zeit von Sommerzeit auf Winterzeit umgestellt wird und so war er vor der geschlossenen Schultüre gestanden und hatte sich gewundert. Nicht etwa darüber, dass ihm offenbar seit Jahren entgangen war, dass in Brasilien die Zeit umgestellt wurde, sondern darüber, dass die Schultüre geschlossen war. Dieses Jahr würde er sich informieren. Wann genau dieses Jahr die Uhr umgestellt werde? Die Tage würden variieren, es sei meistens so um den zwanzigsten herum, sagte die Chefsekretärin. Dieses Jahr sei es aussergewöhnlich heiss, fügte sie hinzu. Ob das denn einen Einfluss habe? Nein, das nicht, sagte sie.

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      Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien. Niklas Luhmann hat das geschrieben. Und dass wir, obwohl wir diesen Massenmedien nicht wirklich trauen, trotzdem unser Weltbild auf ihnen aufbauen. Von Journalisten, die älter waren als er selber, hatte Harry sich in früheren Jahren bereitwillig informieren lassen. Dass er jedoch jemanden ernst nehmen sollte, der mit ihm zusammen die Schulbank gedrückt hatte, einfach weil der jetzt in Talkshows auftrat (ein Zeichen für stromlinienförmige Angepasstheit), schien ihm absurd.

      Es sind die Werte, auf die unser System – in der Praxis, nicht in der Theorie – aufbaut (Gier und Selbstvermarktung), die immer mal wieder denkbar schlecht Geeignete, seien es Rücksichtslose, seien es Rückgratlose, in Führungspositionen hieven. Das sind Ausnahmen? Eher die Regel. Es gehört zu Donald Trumps (womöglich ungewollten) Verdiensten, der Welt in einem noch nie dagewesenen Mass vor Augen zu führen, wie krank unser System ist, wie sehr wir uns alle in die Tasche lügen. Der Mann macht nämlich genau das, was Politiker eben tun: seine Interessen vertreten. Nur viel viel offensichtlicher.

      Wenn die Massenmedien einen so offenkundig Gestörten (niemand würde ein Flugzeug besteigen, das von so einem Mann gesteuert würde) behandeln, als ob er zurechnungsfähig sei (Wird das Amt ihn verändern? Macht er gerade eine steile Lernkurve durch? Ist sein Lügen eine Strategie? Hat er nicht mit vielem auch Recht? Etc. etc.), liefert das zwar interessanten, unterhaltenden und aufschlussreichen Gesprächsstoff, ist jedoch auch ziemlich besorgniserregend. Denn von einem, der nicht alle Tassen im Schrank hat, vernünftiges Verhalten zu erwarten beziehungsweise zu fordern, lässt die Tassen im eigenen Schrank nicht allzu gut aussehen. Vernünftiger wäre, wenn die Medien sich selber ändern und ihre Aufmerksamkeit fortan ausschliesslich auf die, die von den Handlungen der Politiker betroffen sind, richten würden.

      Natürlich machte er sich diesbezüglich keine Illusionen. Von privaten Institutionen und Organisationen etwas anderes als Profitdenken zu erwarten, schien ihm nachgerade absurd, denn schliesslich war Geld zu machen ihre raison d'être. Überhaupt, so dachte es immer öfter in Harry, sollte man den richtig Gutverdienenden (nein, das ist nicht relativ) eigentlich nie zuhören. Aus Prinzip. Denn die meinten es nur gut mit sich selber. Kaum hatte er diesen Satz notiert, tauchte eine Stelle aus Jean-Paul Dubois' Ein französisches Leben in seinem Bewusstsein auf. „Die Politik war in ihren Augen eine Tätigkeit für Rentner oder Snobs, ein Hobby, irgendwo zwischen dem Sammeln von Briefmarken und Golf angesiedelt. Man muss viel Zeit haben, sagte sie, um sich für Männer zu interessieren, die sich einen Dreck um andere scheren. Und Marie hatte viel zu wenig Zeit, um sie mit Diskussionen über Dinge zu vergeuden, die sowieso nichts brachten.“

      Eigenartig und faszinierend, wie die Gedanken durch die Gegend sprangen. Fast nie war er geistig und seelisch da, wo sich sein Körper befand. Und wie das Hirn ihn dann zur Besinnung rief, ihm eine Geschichte erzählte, die er verstehen konnte, Halt und Orientierung gab. Deshalb musste eine Geschichte auch einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende haben. Doch so ist das Leben nicht.

       He didn't answer. He rather said: 'It is possible to think this: without a reference point there is meaninglessness. But I wish you'd understand that without a reference point you're in the real.'

      Sharon Cameron: Beautiful Work: A Meditation On Pain

      Nein, Nein, Harry war es nicht darum zu tun, das Leben abzubilden, wie es ist; er fand ein solches Unterfangen überheblich und grotesk, denn wir sind nicht geschaffen, das Leben zu verstehen. Wir versuchen es natürlich trotzdem, denn Einsichten helfen bekanntlich selten – und wenn doch, dann wenig.

      Er hatte nichts gegen Geschichten mit Anfang, Mittelteil und Ende. Im Gegenteil, er mochte solche Geschichten. Doch so sehr ihm das ihnen zugrunde liegende Konzept auch einleuchtete und so begeistert er Bücher von den Meistern dieser Denkweise verschlang (Sollte er auch Meisterinnen hinzufügen? Nein, ganz klar Nein, dieses politisch Korrekte, das ja mal als vernünftige Idee gestartet war, ging ihm so was von auf den Keks, er würde es lassen, mit den vagen Schuldgefühle müsste klar zu kommen sein), er störte sich daran. Ihm waren diese Vorgaben zu artifiziell, konstruiert und ja, lebensfeindlich. Akademiker dachten so, in Kategorien und Systemen. Sein Leben war nicht mit einer Geschichte zu fassen, die nach den Gesetzen der gängigen Logik funktionierte. „Aber es wäre wahrlich ein Narr, wer annähme, dass irgendein Leben einer schlichten Folgerichtigkeit gehorcht, oder verdient wäre, oder selbstverständlich.“ (Robert Creeley: Autobiographie).

      Das Leben war mühsam, ein Krampf. Toujours négatif, hein? Klar, es gab auch tolle Momente, am liebsten waren ihm Orgasmen. Doch einfach so zu sagen Das Leben ist schön, das war nicht sein Ding, denn allzu vieles war eindeutig nicht schön. Dass man sterben musste zum Beispiel.

       Woody Allen on Death: I'm strongly against it.

      Damit konnte Harry was anfangen. Ja, möchtest du denn ewig leben? Was so recht eigentlich keine Frage war, denn die Antwort wurde ja gleich implizit vorgegeben. Konnten diese Leute denn nur in Entweder/Oder denken? Er jedenfalls würde liebend gerne ewig leben, wenn das Leben so schön wäre, wie diese Leute behaupteten. Du unterliegst da einem Denkfehler, wies er sich zurecht, denn schön ist das Leben ja genau deswegen, weil es endlich ist. Das leuchtete ihm zwar ein, überzeugt war er trotzdem nicht. Und überhaupt konnte man sich ja auch etwas wünschen, von dem sehr unwahrscheinlich war, dass es eintrat.

      Die uns liebsten Geschichten haben ein Happy End und kommen aus Hollywood, aus Filmstudios, die man eigenartigerweise auch als Traumfabrik bezeichnet. Ganz so, als ob Träume nichts anderes als Wunschvorstellungen seien. Harrys Träume waren anders, sie gehörten zur Albtraum-Variante. Schon seit längerer Zeit wachte er des Morgens mit einem Klumpen im Magen auf. Und ohne Bedürfnis, seine Träume zu analysieren. Traumdeuter hielt er für eingebildete Scharlatane, noch verblendeter als jene, die glaubten, aus der Geschichte könne man etwas lernen, obwohl er spannend und anregend fand, wie das Hirn im Nachhinein Sinn herstellte. Alles im Dienste des Überlebens, denn ohne Sinn und Zweck war der Mensch am Arsch und so machte das Hirn ihm eine Realität plausibel, von der dieser Mensch so recht eigentlich wissen konnte, dass es sie gar nicht gab und nichts als eine Illusion war, jedoch eine ziemlich beständige, wie Einstein einmal gesagt hatte.

      Die Medien berichteten vom Treffen der G20 in Buenos Aires, von sogenannten Leadern, von denen sich nicht wenige kaum von Mafia-Bossen unterschieden. Harry hielt wenig von der Demokratie, die setzte den mündigen Bürger voraus und der war schwer zu finden. Nicht, dass er sich diesbezüglich gross Gedanken gemacht hätte. Das taten die Wähler ja meistens auch nicht. Ihm genügte, sich das Ergebnis anzuschauen.

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