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das nähere städtische Umfeld. Vom Eisernen Steg über den Main betrachteten sie die Silhouette der altehrwürdigen Stadt Frankfurt. Bei dieser Gelegenheit lernte er den zweiten Sozi kennen. Bruno Laub war sieben Jahre älter als die übrigen, weil er eine Zimmermannslehre absolviert und erst danach auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur geschafft hatte.

      Am Abend des ersten Tages traf man sich am südlichen Mainufer in einer Gartenwirtschaft und kostete zum ersten Mal das den Nord- und Ostdeutschen unbekannte Getränk Äppelwoi. Gegessen hat Karl damals besonders gern die im Ganzen in der Pfanne gebratenen kleinen „Meefischli“, wahrscheinlich die damals noch häufig im Fluss bei Frankfurt anzutreffende Ukelei. Sie waren außerdem auch für einen Studenten bezahlbar.

      Unter den vielen Frauen im Semester gab es eine Marianne Bose, die auf ihn großen Eindruck machte. Als damenhafte Großstadtpflanze war sie ihm aber ein wenig unheimlich. Befangen war er sowieso, weil sie eine derart überzeugte Berlinerin gab, die den Umzug nach Frankfurt als Strafversetzung in die Provinz empfand, dass er sich mit seiner Herkunft aus dem Kleinstädtchen in Pommern klein und hässlich vorkam. Auch gluckte sie dauernd mit einer Freundin zusammen, die genau wie sie aus der Reichshauptstadt stammte.

      Karl stürzte sich voller Eifer in Studium und politische Aufbauarbeit und war froh, dass er letztere nicht allein bewältigen musste.

      Annäherungen

      In den Erinnerungen an die Zeit des Studiums standen für Karl und in noch größerem Ausmaß für Marianne die Unternehmungen der rasch entstandenen Freundesgruppe im Vordergrund.

      Da gab es zunächst den Genossen Bruno Laub, mit dem er auftragsgemäß sofort Kontakt aufgenommen hatte. Bruno hatte im Parteibüro der Frankfurter SPD schlimme Neuigkeiten erfahren, als er dort vorgesprochen hatte. Kurz vor ihrem Studienbeginn im Mai 1929 hatten die Straßenschlachten zwischen der SA und den Angehörigen des Rotfrontkämpferbundes und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold erste Todesopfer gefordert. Am Abend des 27. April hatten die Nationalsozialisten von der Berger Straße aus einen Propagandaumzug durch die Stadt durchgeführt. Erst spät in der Nacht hatte sich die Menge am Hessendenkmal aufgelöst. Auch das Reichsbanner war mit einem großen Umzug in der Stadt unterwegs.

      Spät in der Nacht stießen Teilnehmer der beiden Demonstrationen aufeinander. Gegen ein Uhr morgens wurden bei einer in rasendem Tempo eskalierenden Schlägerei in der Langen Straße zwei Reichsbannerleute von Braunhemden tödlich verletzt. In der Stadt spüre man noch Verunsicherung, Trauer und Wut, habe der Parteisekretär berichtet.

      Viele hatten in diesen Monaten gehofft, dass die Nazis nach ihren schwachen Wahlergebnissen vom Mai des Vorjahres allmählich aus dem öffentlichen Leben verschwinden würden, denn eigentlich hatte sich die Wirtschaft relativ gut erholt und es bestand Hoffnung auf eine weitere Verbesserung. Seit dem Frühjahr regierte im Reich eine große Koalition aus SPD, DDP, DVP, BVP und dem Zentrum unter Führung der gestärkt aus den Wahlen von 1928 hervorgegangenen Sozialdemokraten.

      Diese Stabilisierung änderte allerdings nichts daran, dass die SA aus dem nach wie vor großen Heer der Arbeitslosen, aber auch aus kriminellen Banden Zulauf erhielt und ihre Stärke auf den Straßen zeigte. Die braunen Hemden wurden zum Sinnbild unkontrollierter Gewalt und zum Schreckbild der Bürger. Unter den Hemden fanden sich Messer, Schlagstöcke und andere Waffen. Die SPD fasste auch in Frankfurt zahlreiche Mitglieder im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold zusammen, um Angriffe der Nazis abwehren zu können. Dass man den Tod der beiden Genossen am 28. April nicht hatte verhindern können, traf die Partei ins Mark.

      Karl und Bruno waren quasi verpflichtet gewesen, am 3. Mai zu der von der SPD veranstalteten Protestversammlung im Volksbildungsheim zu erscheinen und sich an der anschließenden Demonstration zu beteiligen. Starke Polizeikräfte verhinderten an diesem Tag, dass die SA, die mit Hassgesängen und –rufen den Zug stören wollte, Gelegenheit dazu bekam. Die Beerdigung der beiden Opfer auf dem Hauptfriedhof am folgenden Tag wurde zu einer – vielleicht der letzten – Großdemonstration der Linken durch die gesamte Innenstadt.

      Zurück in der Akademie mussten sich die beiden Jungsozialisten mit dem Studienbeginn und ihrer politischen Aufgabe befassen. Wie die zu gründende Hochschulgruppe aussehen sollte, war ihnen nicht klar. Sie dachten über Vorträge und Aktionen nach, z.B. über einen Aufruf zur Teilnahme an der Demonstration des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold am 1. August gegen Krieg und für den Weltfrieden bei dem Denkmal „Den Opfern“, des Bildhauers Benno Elkan, das 1920 in der Gallusanlage errichtet worden war. Im Kreise der zahllosen SPD-Genossen auf dem Hauptfriedhof hatten sie ein großes Solidaritätsgefühl erlebt. Gemeinsam mit den Genossen sollten die Nazis zu besiegen sein! Diese Botschaft musste den anderen Studenten vermittelt werden, dann würden sie mitmachen. Zu dem alsbald angesetzten ersten Abend in den Räumen der Akademie erschienen allerdings nur fünf Leute, allen voran die zwei Frauen aus Berlin.

      Es entbehrt daher nicht einer gewissen Logik, dass Karl und Bruno sich mehr als der politischen Pflicht den Kommilitoninnen Marianne und ihrer Schulfreundin Thea widmeten, mit welchen sie bald eine unzertrennliche private Gruppe bildeten. Auch sie gehörten zu den „Auswärtigen“, die neu in Frankfurt waren und sich orientieren mussten. Vorsichtshalber hatte Bruno den beiden Frauen bei einem ersten gemeinsamen Cafébesuch, zu dem sie sich von einer langweiligen Stadtführung ihrer Geschichtsprofessorin davongestohlen hatten, eine Warnung zukommen lassen.

      „Wir müssen euch etwas gestehen: Wir beide, der Karl und ich, sind in der SPD. Nur damit ihr Bescheid wisst!“

      Der sich rasch entwickelnden Freundschaft tat dies keinen Abbruch. Die vier verbrachten seit dieser Offenbarung fast ihre gesamte Freizeit miteinander.

      Naturerlebnisse suchten sie alle vier und die wurden um Frankfurt herum reichlich geboten. Karl mit seiner Wandervogelvergangenheit, Bruno, der als Zimmermannslehrling das Deutsche Reich durchwandert hatte und die beiden schwärmerischen Berliner Damen fanden über gemeinsames Singen und bei den oft mehrtägigen Wanderungen mit Übernachtung im Heuschober oder einer Jugendherberge zueinander.

      Einmal, dies ist in den 1988 geschriebenen Lebenserinnerungen von Marianne zu lesen, seien sie in den ausgedehnten Wäldern des Spessarts von der Dunkelheit überrascht worden und hätten sich nicht anders zu helfen gewusst, als auf dem kalten und überraschend harten Waldboden zu nächtigen. Da war bald Schluss mit Naturromantik und sie waren alle vier froh, sich aneinander wärmen zu können.

      Karl hatte in seiner Familie und mit der kranken Mutter gelernt, dass Männer Frauen beschützen müssen. Für Bruno war das ebenfalls Ehrenpflicht. Deshalb haben die beiden Sozis die Kommilitoninnen zwischen sich genommen, sie gewärmt und Geräusche wie den Ruf des Käuzchens oder das Knacken von Ästen unter den Tritten eines Tieres mit beruhigenden Worten kommentiert. Karl spürte bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal Mariannes Herzschlag und konnte darüber kaum schlafen.

      „Ist es nicht herrlich, so am Busen der Natur aufzuwachen! Hört nur den Buchfink.“

      Marianne begrüßte die drei mit der Morgenröte. Alle Ängste der Nacht waren verflogen und ihr noch junges Kreuz zwickte bald nicht mehr. Karl kannte zwar den Buchfink nicht und Mariannes Busen wäre ihm lieber gewesen als der der Natur, aber gefreut hat er sich über die erste gemeinsam verbrachte Nacht und das Vogelgezwitscher klang auf einmal melodisch.

      Marianne schrieb damals in ihr Tagebuch, der Karl habe ihr gleich gut gefallen, als sie ihn erstmals die dunkle Eichentreppe im Eingangsbereich der Akademie habe herunterkommen sehen. Er trug seinen Russenkittel mit der Schmuckborte und dem schmalen Stehkragen, in dem Bruno ihn auf einem Foto von 1930 verewigt hat. Trotz aller Skepsis gegenüber der Sowjetunion hielt er das Russische hoch im Kurs. In späteren Briefen an Marianne verwendete er gern den Vornamen Ilja, was gut zu dem Kittel passte.

      Karl war ziemlich bald verliebt in die Schönheit aus der Reichshauptstadt, deren Blick aus grünlichen Katzenaugen durch eine eigentlich gar nicht wahrnehmbare, minimale Abweichung von der zentralen Achse, etwas Geheimnisvolles ausstrahlte. Außerdem war sie lebhaft, witzig und offen für Neues. Das alsbald entstandene Gefühl ließ die Erinnerung an seine Kusine Inge verblassen.

      Es erwies sich als hilfreich, dass er

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