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Salto Fanale. Detlef Wolf
Читать онлайн.Название Salto Fanale
Год выпуска 0
isbn 9783738029680
Автор произведения Detlef Wolf
Издательство Bookwire
Ihr eigener Bruder hatte es da besser. Der hatte sich noch am Abend vorher in seine neue Studentenbude abgesetzt, damit er den Umzugsleuten erst gar nicht über den Weg lief. Er war als vierter Mitbewohner in eine WG eingezogen, die nicht allzu weit von der Uni entfernt lag, so daß er nicht auf ein Auto angewiesen war. Tabea hatte zwar seine Adresse, aber wo das genau war, wußte sie nicht. Außerdem war’s sowieso keine gute Idee, ihn da zu besuchen. Was wußte sie, ob er überhaupt Zeit für sie hatte. Schließlich mußte er sich ja selber erstmal dort einleben.
Schließlich entschied sie sich für einen Stadtbummel. Das war sowieso die letzte Gelegenheit, sich nochmal in Ruhe in den Geschäften umzusehen. Sie wollte zwar nichts kaufen, aber ein bißchen herumstromern halt. Wer wußte schon, ob’s in Bochum genauso schöne Geschäfte gab wie in Hamburg. Sie sagte ihrer Mutter Bescheid, die ziemlich im Streß war und ihr Vorhaben eher beiläufig zur Kenntnis nahm.
„Ja, ja, geh Du nur“, sagte sie abwinkend und lief schon wieder einem der Umzugsleute nach, der anscheinend dabei war, irgendwas in den falschen Karton zu packen.
Kopfschüttelnd und grinsend machte Tabea sich davon.
Da sie nichts kaufen wollte, sah sie sich als erstes die Geschäfte an, in denen sie auch gar nichts kaufen konnte. Weil die Sachen, die es dort gab, ihr schmales Schülerinnenbudget meilenweit überstiegen. Immerhin, ansehen konnte man sich die Klamotten ja. Denn schön anzuschauen waren sie allemal. Und ein bißchen davon zu träumen, einfach in einen dieser Läden reinzugehen und dann nach Lust und Laune dieses oder jenes oder am besten beides auszusuchen und einpacken zu lassen, war ja nicht verboten.
Wahrscheinlich waren das die Geschäfte, in denen Leute wie Mr. Arrogant, Graf Adrian oder seine untreue Tussi sich einkleideten, ging es ihr durch den Kopf. Und als ob ihre Gedanken ihn auf den Plan gerufen hätten, stürmte er gerade aus dem Laden heraus, an dem sie gerade vorbeiging und rannte sie dabei fast über den Haufen.
„Holla, Du scheinst’s ja mächtig eilig zu haben“, rief sie und machte einen Satz zur Seite, um einem Zusammenstoß zu entgehen.
Augenblicklich stoppte er ab und sah sie überrascht an. „Tabea, was machst Du denn hier um diese Zeit?“ fragte er.
„Wahrscheinlich dasselbe wie Du“, gab sie zur Antwort, obwohl vermutlich nichts falscher war als das. Denn er hielt einige Einkaufstüten in der Hand, während sie, außer ihrer Handtasche, überhaupt nichts dabei hatte.
Er nickte. „Ich brauch unbedingt noch ‘n paar Klamotten“, erklärte er. „Ich soll Anfang nächster Woche mit meinem Vater auf Tour gehen, und dafür hab ich überhaupt nichts anzuziehen.“
Sie lachte. „Weißt Du was, Du hörst Dich genau an wie ‘ne Frau. Die behaupten auch immer, sie hätten nix anzuzieh’n.“
„Schließt Du da von Dir auf andere?“ grinste er.
„Nee. Wie Du siehst, hab ich ja was an.“
„Woll’n wir zusammen ‘n Kaffee trinken?“ schlug er, völlig überraschend, vor.
„Meinst Du das im Ernst?“ fragte sie ungläubig.
„Warum nicht? Oder hast Du’s eilig?“
Sie winkte ab. „Gar nicht. Im Gegenteil. Ich hab Zeit ohne Ende. Zu Hause haben wir die Umzugsleute. Das totale Chaos, sag ich Dir. Da bin ich lieber abgehauen.“
Jetzt war es an ihm, überrascht zu sein. „Ihr zieht weg?“
Sie nickte. „Hast Du das nicht gewußt? Wir zieh’n nach Bochum. Mein Vater ist dahin versetzt worden. Heute und morgen sind die Umzugsleute da und packen unsern Kram ein, und übermorgen sind wir weg.“
„Freust Du Dich?“
Sie zuckte die Achseln. „Was heißt freuen? Ist halt so. Ist ja auch nicht das erste Mal. Bochum ist vielleicht nicht mein Traumziel, aber so schlimm soll’s gar nicht sein. Schlimmer als Manchester auf keinen Fall.“
„Wie jetzt? In Manchester habt Ihr auch schon gewohnt?“
„Haben wir.“
„Deshalb kannst Du so gut Englisch.“
„Das ist Dir aufgefallen? Ich dachte immer, Du interessierst Dich nicht für die anderen aus der Klasse.“
„Tu ich auch nicht. Aber das heißt ja noch lange nicht, daß mir nicht auffällt, was da so passiert.“
„Aber daß wir wegziehen, ist Dir nicht aufgefallen.“
Er lachte. „Nee, das hab ich wohl verpaßt.“
Sie sah ihn von der Seite her an. Wenn er lachte, war er unglaublich sympathisch. Warum konnte er nicht immer so sein, fragte sie sich. Und sie sagte es ihm.
„Wenn Du so lachst, kannst Du richtig nett sein. Schade, daß Du das nicht öfter machst.“
„Warum sollte ich? Wen interessiert das schon, ob ich lache? Mich interessiert ja auch nicht, ob die anderen lachen.“ Sein Gesicht verschloß sich wieder und nahm den hochmütigen Ausdruck an, den sie von ihm gewohnt war.
Schade. Für einen Moment hatte sie gedacht, einen Draht zu ihm finden und sich mit ihm unterhalten zu können. Aber das war wohl keiner. So beschloß sie, auf seine Einladung auf einen Kaffee zu verzichten.
„Also, ich geh dann mal besser“, sagte sie.
Er sah sie an und nickte. „Wenn Du meinst“, antwortete er, und sie hatte das Gefühl, als würde ein ganz klein wenig Bedauern in seiner Stimme mitschwingen. Und auch aus seinen Augen herausschauen, die so unwahrscheinlich blau waren, daß man sich glatt hätte darin verlieben können. Wenn sie nicht Adrian Graf von Molzberg gehören würden, dem arrogantesten Arschloch der Schule. Dem superreichen Bankierssöhnchen, das mit einem goldenen Löffel im Mund geboren war und für Leute wie sie nur Verachtung übrighatte.
Oder vielleicht doch nicht?
Denn plötzlich legte er ganz vorsichtig seine Hand auf Tabeas Arm.
„Willst Du nicht doch noch bleiben?“ fragte er so leise, daß sie ihn kaum verstehen konnte. „Immerhin werden wir uns wohl kaum wiedersehen, wenn Ihr jetzt wegzieht. Da könnten wir doch wenigstens noch ‘n Abschieds-Kaffee zusammen trinken.“
Tabea war sich nicht sicher. Was wollte der Typ? Wollte er sie vielleicht angraben? Das doch wohl gar nicht. Sie paßte doch überhaupt nicht in sein Beuteschema. Außerdem hatte er schon jemand. Dachte er zumindest. Aber auf einmal sah er total unsicher aus. Und so zerbrechlich, irgendwie. Plötzlich tat er ihr leid. Also stimmte sie zu.
„Na gut. Wenn Du unbedingt willst.“
Er brachte nur ein Nicken zustande. Schweigend trotteten sie nebeneinander her, bis sie an einem der zahlreichen Straßencafés vorbeikamen.
„Hier vielleicht?“ fragte Adrian in einem Tonfall, den Tabea von ihm überhaupt nicht gewöhnt war.
Ein wenig erstaunt sah sie ihn an und nickte. „Ja, warum nicht?“
Es waren zu dieser relativ frühen Morgenstunde noch eine Menge Tische unbesetzt. Sie suchten sich einen unter einem Sonnenschirm, denn die Sonne brannte schon ganz schön heiß. Darum entschieden sie sich auch, statt eines gewöhnlichen einen Eiskaffee zu bestellen.
Während sie warteten, daß das Getränk serviert wurde, betrachtete Tabea neugierig die Einkaufstüten, die Adrian auf den dritten, leeren Stuhl an ihrem Tisch gestellt hatte.
„Viel an Klamotten scheinst Du ja nicht gebraucht zu haben“, meinte sie.
„Ach das, das sind doch nur Kleinigkeiten“, antwortete