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erschrak, als sich die Finger des Sprechers um das Bierglas des Betrunkenen schlossen. Er sah in an. Der Mann wirkte zu allem entschlossen.

      »Gut, Gut! Also, was möchten Sie trinken?« Mit einem Klacken stellte er das Glas zurück: »Sehen Sie. So ist das doch besser.« Er sah Giering abschätzig an, dann wanderte sein Blick zum Barkeeper: »Einen Tee bitte. Einen schwarzen Tee, Assam oder sonst was. Und bringen sie ihn an den Tisch dort drüben.«

      Giering saß wie angewurzelt auf seinem Stuhl. Aus den Augenwinkeln betrachtete Giering den Hinzugekommenen, der jetzt von seinem Barhocker rutschte und zu dem kleinen Tisch ging. Er sah ihm nach. Für einen Moment wunderte er sich über sein kämpferisches Auftreten. Die Augen des Neuen waren trüb und von undefinierbarer Farbe. Sie standen im krassen Gegensatz zu seinem sonstigen Erscheinungsbild. An diesem Menschen war alles geordnet. Seine Kleidung war in einwandfreiem Zustand. Seine schulterlangen, grauen Haare waren zurückgekämmt. Ein Scheitel, millimetergenau gezogen, teilte die Frisur. Sein Gesicht wirkte gepflegt. Auch sein Drei-Tage-Bart war kurz und sauber ausrasiert. Einzig die deutlich erkennbaren Falten brachten eine Art Unordnung in das Bild. Die tiefen Graben im Gesicht ließen auf eine sorgenvolle Geschichte schließen.

       Frank Giering stand auf und ging zu ihm. Ohne zu fragen ließ er sich auf einen der Sessel fallen. Schweigend sah ihn der Grauhaarige an. Es dauerte lange, bis Giering schließlich einen verbalen Vorstoß wagte: »Auch ein Gestrandeter?« Der Graue nickte zustimmend. »So geht es mir immer«, lallte Giering weiter, »Kaum bin ich irgendwo, streiken die Fluglotsen. Ich kann Ihnen sagen, mir passiert das permanent!« Der Graue antwortete nicht. Wieder nickte er nur. »Und dabei ist das meine letzte Geschäftsreise. Sind sie auch beruflich unterwegs?«

       »Nein, privat«, antwortete der Gefragte kurz. Mit schlurfenden Schritten kam der Barkeeper hinter seinem Tresen hervor und stellte eine dampfende Tasse auf den Tisch. »Bitte sehr, Herr Generaldirektor«, spottete er und verschwand wieder. Der Graue tauchte den Teebeutel, der neben der Tasse lag, ins Wasser.

      »Wissen Sie, wenn ich zuhause bin, werde ich in Rente gehen«, hob Giering erneut an, »Endlich! Vorausgesetzt, ich komme irgendwann noch mal nach Hause.« Er lachte trocken. »Momentan sieht es zwar nicht danach aus, aber zur Not schwimme ich auch heim. Dann bin ich endlich frei. Sie glauben nicht, wie ich mich darauf freue.«

       Giering sah verlebt aus. Seine fettigen Haare bildeten mit seinem ungebügelten Hemd ein Gesamtbild, das nicht nach erfülltem Leben aussah. Er war dünn und wirkte ausgemergelt. Dicke, graue Bartstoppeln standen wie kleine Bleistifte von seiner Gesichtshaut ab. Der Graue sah auf Gierings dünne, zigarettenrauchgelben Finger, die sich wie Spinnenbeine um das Bierglas schlangen. Langsam und gluckernd verschwand die strohgelbe Flüssigkeit zwischen den ebenso gelben Zähnen.

       »Dann sind Sie frei? Denken Sie das?« Mit einem deutlich ironischen Unterton kamen die Worte über die Lippen des Grauhaarigen, »Träumen Sie weiter!«

      Frank Giering nervös auf seinem Sessel hin und her. »He, wie meinen Sie das? Wieso soll ich weiter träumen?«, lallte er plötzlich. »Wollen Sie etwa sagen, dass ich dummes Zeug rede?« Sein Ton klang jetzt deutlich gereizt. Der Grauhaarige schüttelte verneinend den Kopf: »Sie missverstehen mich. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, was ich von Freiheit halte.«

       »Aber wenn ich im Ruhestand bin, dann kann ich doch alles tun. Einfach das was ich will. Das ist doch Freiheit, oder nicht?« »Wenn das Ihre Definition von Freiheit ist, dann wird es das auch sein. Aber bitte. Ich möchte jetzt in Ruhe meinen Tee trinken.«

       Der Graue spürte die Streitlust, die in den Worten des Betrunkenen mitschwang. Seine trüben Augen blitzten. »Na dann mal raus damit. Sie Klugscheißer. Was ist für sie Freiheit?« Der Grauhaarige schwieg und schüttelte den Kopf. Er ärgerte sich. Eigentlich wollte er nur etwas trinken. Und nun beleidigte ihn dieser besoffene Affe. Er hatte gut Lust, ihm eine reinzuhauen. Aber dafür war er sich zu schade.

       »Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich genau weiß, wie sich Freiheit anfühlt. Ich habe gespürt, wie es ist, frei zu sein. Und ich weiß wie es ist, in seiner Freiheit eingeschränkt zu sein. Ich kann Ihnen versichern, ich habe alle Facetten dieses Zustands kennengelernt. Und ich wünschte mir, es nicht zu kennen. Ich würde alles tun, um es nicht wissen zu müssen.«

       Erstaunt sah in Giering an. »Das ist doch Blödsinn«, fauchte er betrunken. »Frei ist frei.« »Denken Sie? Wenn es Sie interessiert«, unterbrach ihn der Graue entnervt, »werde ich Ihnen eine Geschichte erzählen.« »Na los! Erzählen Sie. Öffnen Sie mir die Augen«, witzelte der Betrunkene.

       Der Grauhaarige lehnte sich zurück. Er dachte einen Moment nach. Giering winkte dem Barkeeper und bestellte noch ein Bier. »Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen. Gut alles fing mit einem Anruf an. Ein Mann saß in seinem Büro. Und noch heute bete ich zu Gott, dass er damals den Hörer einfach hätte liegen lassen sollen.«

      Kapitel 2

      Die Gegensprechanlage summte und riss ihn aus seinen Gedanken. Gerade noch hatte er sich mit einer schwierigen Erbrechtsproblematik beschäftigt. Dazu brauchte er seine Ruhe. Und nun störte Cavalli, dieser Nervtöter, seine Kontemplation. »Was ist, Cavalli? Ich hab doch gesagt, dass ich nicht gestört werden möchte. Was gibt's denn so dringendes?« »Tut mit leid«, rauschte die Stimme des Sekretärs aus dem kleinen Lautsprecher, Herr van Geerden hat schon dreimal angerufen. Es scheint dringend zu sein. Er bittet Sie, zurückzurufen.« Hartmut Kesselring legte seinen Füllfederhalter auf den massigen Eichenholzschreibtisch. »Sofort«, hörte er die Stimme erneut. »Okay, ich rufe ihn an. Bei ihm ist es etwas anderes.«

       Das Rauschen verstummte. Kesselring sah aus dem Fenster. Draußen zeigten sich die sommergrünen Blätter in ihrer schönsten Pracht. Alles blühte. Und er saß hier im Büro. Den ganzen Tag, teilweise bis spät in den Abend hinein. Ein wahres Opfer. Dabei blieben seine Freunde, seine Frau, selbst sein ganzes Leben auf der Strecke.

      Hartmut wählte die Nummer die er im Schlaf auswendig konnte. Es läutete, einmal, zweimal. Dann wurde der Hörer abgenommen. »Van Geerden«, hörte er die Männerstimme. »Hallo Andreas. Ich sollte Dich anrufen. Was hast Du auf dem Herzen?« »Hallo Hartmut. Wie geht es Dir?« »He, Du rufst mich nicht an um mich zu fragen, wie es mir geht. Ich stecke bis zum Hals in einem Fall und komme nicht weiter. Und ich brauche jede Minute um mich vorzubereiten. Also, was gibt es wirklich?« »Stimmt, deshalb rufe ich nicht an. War nur so ne Art Small talk. Ich muss heute noch mit Dir reden. Es ist wichtig. Hast Du heute Abend Zeit für mich?«

       »Eigentlich wollte ich mir mal wieder einen netten Abend mit Karen machen. Was gibt es so wichtiges? Kann das nicht bis Morgen warten?« »Nein, kann es nicht! Es ist wichtig. Außerdem bist Du mein bester Freund.« Hartmut atmete tief durch.

       »Gut. Wenn Du mit der Freundschaftsmasche kommst, ist es sicher wichtig. Wann und wo?« »Schaffst Du es bis zwanzig Uhr? Dann könnten wir uns im Steakhaus in Wiesbaden treffen. Passt Dir das?« »Hab ich eine Wahl? Sicherlich nicht. Also um Acht in Wiesbaden. Jetzt muss ich mir nur noch was für Karen überlegen. Irgendeine Ausrede.« »Danke, Mann. Das werde ich Dir nie vergessen.« Mit einem Klicken endete die Verbindung.

      Kapitel 3

      Einige Minuten vor acht steuerte Hartmut seinen Porsche auf den Parkplatz vor dem Restaurant. Er hatte sich geärgert. Kaum war er in Frankfurt auf die Autobahn gefahren, stand er auch schon im Stau. »Eigentlich müsste ich mich langsam daran gewöhnen«, murmelte er. Aber er war trotzdem pünktlich. Er blieb noch kurz im Wagen sitzen. War es wirklich nur der Ärger, in einen Stau geraten zu sein? Ihm war heute alles auf den Magen geschlagen. Und jetzt hatte auch noch Karen, seine Frau, rumgemault. Er hatte ihr den Abend versprochen. Aber jetzt war es egal. Er war hier.

       Als er das Lokal betrat, sah er Andreas van Geerden schon an einem der hinteren Tische sitzen. Er winkte. Hartmut ging zu ihm, gab ihm die Hand und setzte sich. »Hallo Andreas. Was gibt’s denn so dringendes?« »Hallo Hartmut. Danke, dass Du Dir die Zeit für mich nimmst. Was willst Du trinken?« »Ein Bier.« Andreas winkte dem Kellner und gab seine Bestellung auf.

       »Also?«, erneuerte Hartmut seine Frage. »Wir werden

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