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      Edith Stein

      Aus dem Leben einer jüdischen Familie

      Das Leben Edith Steins: Kindheit und Jugend

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Vorwort

       Aus den Erinnerungen meiner Mutter

       Aus der Welt der beiden Jüngsten

       Von Sorgen und Zerwürfnissen in der Familie

       Vom Werdegang der beiden Jüngsten

       Von den Studienjahren in Breslau

       Aus dem Tagebuch zweier Mädchenherzen

       Von den Studienjahren in Göttingen

       Aus dem Lazarettdienst in Mährisch-Weisskirchen

       Vom Rigorosum in Freiburg

       Impressum neobooks

      Vorwort

      Die letzten Monate haben die deutschen Juden aus der ruhigen Selbstverständlichkeit des Daseins herausgerissen. Sie sind gezwungen worden, über sich selbst, ihr Wesen und ihr Schicksal, nachzudenken. Aber auch vielen andern jenseits der Parteien Stehenden hat sich durch die Zeitereignisse die Judenfrage aufgedrängt. Sie ist z.B. in den Kreisen der katholischen Jugend mit großem Ernst und Verantwortungsbewußtsein aufgegriffen worden. Ich habe in diesen Monaten immer wieder an eine Unterredung denken müssen, die ich vor einigen Jahren mit einem Priester und Ordensmann hatte. Es wurde mir darin nahegelegt aufzuschreiben, was ich als Kind einer jüdischen Familie an jüdischem Menschentum kennengelernt habe, weil Außenstehende so wenig von diesen Tatsachen wüßten. Vielerlei andere Aufgaben hinderten mich damals, diesen Vorschlag ernstlich aufzugreifen. Als im letzten März mit der nationalen Revolution der Kampf gegen das Judentum in Deutschland einsetzte, fiel er mir wieder ein. „Wenn ich nur wüßte, wie Hitler zu seinem furchtbaren Judenhaß gekommen ist“, sagte eine meiner jüdischen Freundinnen in einem jener Gespräche, in denen man um Verständnis dessen, was da über einen hereinbrach, rang. Die programmatischen Schriften und Reden der neuen Machthaber gaben Antwort darauf.

      Wie aus einem Hohlspiegel blickt uns daraus ein erschreckendes Zerrbild an. Mag sein, daß es in ehrlicher Überzeugung gezeichnet wurde. Mag sein, daß die einzelnen Züge lebenden Modellen nachgebildet wurden. Aber ist das jüdische Menschentum schlechthin die notwendige Auswirkung des „jüdischen Blutes“? Sind Großkapitalisten, schnoddrige Literatur und die unruhigen Köpfe, die in den revolutionären Bewegungen der letzten Jahrzehnte eine führende Rolle spielten, die einzigen oder auch nur die echtesten Vertreter des Judentums? In allen Schichten des deutschen Volkes werden sich Menschen finden, die diese Frage verneinen: sie sind als Angestellte, als Nachbarn, als Schul- und Studiengefährten in jüdische Familien hinein gekommen; sie haben dort Herzensgüte, Verständnis, warme Teilnahme und Hilfsbereitschaft gefunden; und ihr Gerechtigkeitssinn empört sich dagegen, daß diese Menschen jetzt zu einem Pariadasein verurteilt werden. Aber vielen andern fehlen diese Erfahrungen. Vor allem wird der Jugend, die heute von frühester Kindheit an im Rassenhaß erzogen wird, die Gelegenheit dazu abgeschnitten. Ihnen gegenüber haben wir, die wir im Judentum groß geworden sind, die Pflicht, Zeugnis abzulegen.

      Was ich auf diesen Blättern niederschreiben will, soll keine Apologie des Judentums sein. Die „Idee“ des Judentums zu entwickeln und gegen Verfälschungen zu verteidigen, den Gehalt der jüdischen Religion darzulegen, die Geschichte des jüdischen Volkes zu schreiben — Zu all dem sind Berufene da. Und wer sich darüber unterrichten will, der findet eine ausgebreitete Literatur vor. Ich möchte nur schlicht berichten, was ich als jüdisches Menschentum erfahren habe; ein Zeugnis neben andern, die bereits im Druck vorliegen oder in Zukunft erscheinen werden: wem es darum zu tun ist, sich unbefangen aus Quellen zu unterrichten, dem will es Kunde geben.

      Es war zunächst meine Absicht, die Lebenserinnerungen meiner Mutter aufzuzeichnen. Sie war immer unerschöpflich im Erzählen, und wenn ich auch nicht hoffen konnte, daß ihr in ihrem hohen Alter — sie steht im 84. Jahr — noch die Niederschrift gelingen würde, so wollte ich doch versuchen, mir erzählen zu lassen und ihre Worte möglichst getreu wiederzugeben. Aber auch das erwies sich als sehr schwierig. Es fanden sich nicht genug ruhige Stunden dafür. Ich mußte bestimmte Fragen stellen, um in den Strom der Erinnerungen so viel Ordnung und Klarheit zu bringen, wie für einen fremden Leser zum Verständnis unerläßlich war, und oft war es nicht möglich, greifbare und zuverlässige Tatsachen festzustellen. Ich stelle im Folgenden die kurzen Aufzeichnungen im Anschluß an die Gespräche mit meiner Mutter voran. Darauf soll ein Lebensbild meiner Mutter folgen, wie ich es selbst zu geben vermag.

      Aus den Erinnerungen meiner Mutter

       1.

      Der Vater meiner Mutter, Salomon Courant, ist im Jahre 1815 geboren.

      Wo seine Familie herstammt, daran erinnert sich meine Mutter nicht mehr; sie meint, von der französischen Grenze. Später wohnten seine Eltern in Peiskretscham O.S. Er war Seifensieder und „Lichtzieher“. Auf seinen Wanderungen kam er ins Haus meiner Urgroßeltern in Lublinitz O.S. Er sah meine Großmutter, die damals 12 Jahre alt war, und sie gefiel ihm gleich. Von da an kam er jedes Jahr. Als sie 17 Jahre alt war, wurden sie verlobt, und im Jahr darauf war die Hochzeit. Das war das Jahr 1842.

      Der Urgroßvater, Joseph Burkhard, stammte aus der Provinz Posen, ebenso seine Frau, Ernestine geb. Prager. Im ersten Jahr ihrer Ehe lebten sie in Hundsfeld i.Sch. Als ihr Häuschen dort niederbrannte, gingen sie nach Lublinitz. Der Urgroßvater war viele Jahre Kantor und Vorbeter. Als er diesen Posten aufgeben mußte, richtete er eine Wattefabrik ein. Er hatte einen Beetsaal im eigenen Hause. Dort kamen an den hohen Festtagen alle Schwiegersöhne zum Beten zusammen. Er war ein sehr strenger Vater und Lehrer. Die Enkelsöhne mußten zu ihm kommen, um beten zu lernen. Er schalt viel, schlug aber nie. Und nie ging ein Kind ohne ein Geschenk aus dem Hause. Die Urgroßeltern hatten 11 Kinder, 4 Söhne und 7 Töchter. Vom 70. an wurden die Geburtstage als große Feste gefeiert, zu denen sich möglichst alle Kinder und Enkel einfanden. In einem Tafellied, das ihr Sohn Emanuel zu einer solchen Gelegenheit dichtete, hieß es: „Selten gab’s wohl einen Vater, der seiner Kinder so bedacht, anscheinend rauh und doch voll zarter Sorge über sie gewacht. In den 78 Jahren,/ die Dir heut verflossen sind,/ hast Du Gottes Huld erfahren,/ der Dir gnädig stets gesinnt./ Immer treu steht Dir zur Seite / Großmama in Freud’ und Leide./ Sie schützt Dich und ist auch uns allen so gut,/ vor Unglück und Kummer hält sie uns in Hut“. Dies hat ein Enkelsohn, Jakob Radlauer, gedichtet, der Sohn der ältesten Tochter Johanna, der Liebling der ganzen Familie. Er lebte als hochangesehener Kaufmann in Breslau und starb vor einigen Jahren als Greis von 85 Jahren, nachdem er seine beiden Söhne im Weltkrieg verloren hatte. (Der ältere, Ernst Radlauer, stand bei Ausbruch des Weltkrieges als Jurist im Verwaltungsdienst in Ostafrika. Es gelang ihm, in abenteuerlicher Verkleidung nach Deutschland

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