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Das Geheimnis der schwarzen Schatulle. Hanna Holthausen
Читать онлайн.Название Das Geheimnis der schwarzen Schatulle
Год выпуска 0
isbn 9783738007930
Автор произведения Hanna Holthausen
Издательство Bookwire
Das Konzert ist ausverkauft und ein voller Erfolg. Anschließend mischen sich die Bandmitglieder unter die Schüler, geben Autogramme und beantworten ihre unzähligen Fragen zu Musikkarriere und dem Leben in Hotels zwischen Auftritten und Presseterminen. Besonders die Mädchen flippen fast aus und stecken die Autogramme bündelweise ein. Dafür versorgen sie Dominic, Raoul, Felix und Didier mit Plüschtieren Stoffherzen und Liebeserklärungen. Die Lehrer haben ihre Mühe damit, sie zu bremsen und wischen sich hier und da den Schweiß von der Stirn. Aber der Ausblick auf die Sommerferien entschädigt sie für die Anstrengung.
Am Abend fährt Felicitas Pierre zum Haus von Dominics Mutter, die in Lyon lebt. Dort findet noch eine kleine Privatparty statt. Max und Richard sind auch eingeladen. Früher, als Dominics Eltern noch zusammenlebten, war Pierre zusammen mit seinen Eltern oft hier gewesen. Jetzt sitzen sie zu siebt im wildromantischen Garten zwischen Rosenranken, Moos bewachsenen Steinstatuen und blühendem Unkraut. Niemand spricht Pierre auf den Tod seiner Eltern an. Stattdessen erzählt Dom von den Probeaufnahmen in Amerika, in die zufällig ein Produzent geriet, der mit seinem Vater über einen gemeinsamen Auftrag sprechen wollte.
„Der war so begeistert von unserer Musik, dass er ohne Vorwarnung einfach in die Aufnahme platzte. Das hättet ihr erleben müssen! Who the hell ist this? Guys, what’s your names? Laurence, tell me where you found these bloody good musicians? I want them under contract! Der ist voll ausgeflippt und mein Vater musste ihn erst mal aufklären, dass ich sein Sohn bin und wir schon unter Vertrag sind. Aber der hat nicht locker gelassen. Jetzt will er nach Frankreich kommen, um mit unserer Plattenfirma zu verhandeln. Voll durchgeknallt, der Typ.“
„Mann, ist ja irre!“, begeistert sich Max und sieht zu Pierre rüber. „Was hab ich dir gesagt? Die kommen ganz groß raus.“
Dann dreht er sich zu Dom.
„Ich wusste ja gar nicht, dass ihr schon eine CD produziert habt.“
„Die Aufnahmen sind gerade erst fertig und müssen noch gemischt werden“, erklärt Didier. „Das wollten die erst im Sack haben, bevor die Werbekampagne startet. Aber in nächster Zeit wird es wohl über die Medien bekannt werden.“
Gegen Mitternacht klingelt die Türglocke. Kurze Zeit später verkündet Dominics Mutter, dass das vorbestellte Taxi wartet. Pierre trinkt den letzten Schluck Cola aus der Dose und haut Max auf die Schulter.
„Los kommt, wenn ihr mitfahren wollt.“
Max und Richard rappeln sich auf, und die Jungs verabschieden sich voneinander.
„War klasse mit euch“, meint Richard. „Vielen Dank, dass ich dabei sein durfte.“
„Klar Mann. War ja alles bestens organisiert von euch. Bis bald mal wieder. Wir können jetzt auch eine Mütze voll Schlaf gebrauchen. Morgen geht’s wieder früh los. Ciao, Freunde.“
Dom bringt sie zur Tür.
7
Das Taxi fährt erst Richard nach Hause, dann Max, der sich mit einem festen Handschlag von Pierre verabschiedet und es sich gerade noch verkneift, ihm zu danken und etwas zu sagen, was ihn traurig stimmen könnte. Schließlich erreicht auch Pierre das Haus am Stadtrand. In der obersten Wohnung brennt noch Licht. Feli schläft also noch nicht. Er geht die Treppen hinauf ins dritte Stockwerk und schließt die Tür auf. Felicitas kommt gerade mit einer Tasse Tee aus der Küche.
„Es muss gut gewesen sein“, lächelt sie beim Blick auf ihre Armbanduhr.
„Ja. Es war gut. Die Jungs waren richtig gut drauf.“ Pierre macht eine Pause. „Du, Feli…“
„Ja?“
„Zuerst, als Dom diese Schweigeminute durchs Mikro bekannt gab, dachte ich, ich müsse ihm eine reinhauen. Aber dann war es echt okay.“
Felicitas sieht ihn an.
„Ich meine, es war mehr als okay“, setzt er fort. „Es war klasse. Dom ist ein echter Freund.“
„Finde ich auch“, antwortet seine Tante und geht ins Wohnzimmer. „Das Wasser ist noch heiß. Wenn du willst, dann hol dir doch auch einen Tee, und wir plaudern noch ein bisschen“, schlägt sie vor.
Pierre setzt sich auf den Boden und lehnt sich gegen das Sofa, auf dem sie sitzt. Ohne Tee.
„Ah, Ferien!“, seufzt er erleichtert.
Dann erzählt er von Dominics Erlebnis im Tonstudio seines Vaters in Amerika. Amerika - dahin wollte er auch immer schon mal. Aber daraus wird wohl vorläufig nichts.
„Warst du schon mal in Amerika?“, will er wissen und dreht seinen Kopf zum Sofa.
„Einmal kurz in New York. Aber fünf Tage waren viel zu kurz, um auch nur einen Eindruck von der Stadt zu bekommen“, antwortet Felicitas.
„Dorthin sind damals viele Juden geflüchtet, als es brenzlig wurde, stimmt’s?“, meint Pierre.
Eine Weile ist es still. Felicitas trinkt ihren Tee.
„Die, die das Geld, die nötigen Papiere und das richtige Gespür hatten“, sagt sie leise.
Er wartet und hofft, dass seine Tante von sich aus etwas erzählt. Aber sie schweigt.
„Und wie war das bei euren Eltern? Wie konnten sie damals dem Terror entkommen?“, traut sich Pierre schließlich zu fragen.
Er dreht den Kopf wieder zu Felicitas. Die trinkt hastig ihren Tee aus.
„Ich bin müde“, sagt sie im Begriff aufzustehen, um in der Küche die Tasse abzustellen. „Schlaf gut“, wünscht sie Pierre danach leise auf dem Weg in ihr Zimmer. Eine Antwort bleibt sie schuldig.
Pierre ist enttäuscht. Warum verschließt sich Felicitas der Vergangenheit? Sie wird dadurch weder schöner noch ihre Bedeutung kleiner, findet er. Je hässlicher die Erinnerungen sind und je mehr man versucht sie totzuschweigen, desto lebendiger wird sie durch die unbeantworteten Fragen, zu denen andere Fragen und immer mehr Fragen kommen.
„Warum spricht niemand mit mir darüber? Ich bin doch Teil der Familie, zu der dieser dunkle Fleck der Geschichte gehört“, fragt sich Pierre und fühlt sich plötzlich sehr allein.
Langsam beschleicht ihn das Gefühl, dass dieser Fleck noch dunkler sein könnte als das Thema des Geschichtsunterrichts in der Schule und der Inhalt des geheimnisvollen Tagebuchs im Sekretär seiner Mutter ihn malen.
Felicitas sitzt mit sorgenvoll gekrauster Stirn auf dem Rand ihres Bettes und reibt sich den Arm. Sie fühlt sich schrecklich. Aber sie musste ihrer Mutter auf dem Sterbebett das Versprechen geben, das Geheimnis, das sie ihr kurz zuvor anvertraut hatte, für sich zu behalten. Ein schreckliches Geheimnis, dessen Offenbarung alle Fragen ihres Neffen beantworten und ihm gleichzeitig den Boden unter den Füßen wegziehen würde. Er hat doch ein Recht auf die Geschichte seiner Familie! Aber er hat auch ein Recht auf Frieden.
Sie hat ihrer Mutter versprochen, die Familie zu schützen. Vor der Vergangenheit und, wenn es sein muss, auch vor der Gegenwart. Pierre ist der Einzige Überlebende – er ist ihre Familie. Felicitas‘ Gedanken kreisen, an Schlaf ist nicht zu denken. Sie steht auf und geht in ihrem Zimmer auf und ab.
„Wenn ich weiter schweige, wird er mich bald hassen. Pierre ist zu alt, um sich mit Phrasen wie „Das verstehst du noch nicht“ zufrieden zu geben. Was, wenn ich ihm einfach alles erzähle? Nein. Nicht jetzt. Er hat gerade erst seine Eltern verloren“, grübelt sie und flüstert: „Was soll ich nur tun?“
Erst der Entschluss, am nächsten Tag den Rabbiner aufzusuchen, bringt etwas Ruhe in ihr Inneres. Traurig über ihr eigenes Schweigen schläft sie ein.
Am Samstagmorgen – nein, es ist eigentlich schon Mittag, als Pierre nach einer unruhigen Nacht aufsteht – findet er in der Küche einen Zettel vor. „Bin in der Synagoge. Das gestern ausgefallene Sabbatessen holen wir am