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dazu brauche, auf dem verdammten Handy ist. Die Fotos vom letzten Dark Raven-Konzert sind drauf, und ich muss sie unbedingt auf meinen PC laden, um sie als Grundlage für Plakate zur Druckerei schicken zu können.“

      „Na klasse.“ Max Begeisterung hält sich stark in Grenzen. „Und jetzt? Malen wir jetzt eins mit Fingerfarbe oder wird das noch was?“

      Er sieht nicht gerade aus, als traue er Pierre zu, die Sache noch in den Griff zu kriegen.

      In einer anderen Situation wäre Pierre selbstbewusst in die Verteidigung gegangen. Angesichts der blöden Idee seines Vaters, das Handy einzukassieren, und allem, was damit ausgelöst wurde, ist er einigermaßen kleinlaut und sowieso nicht wirklich mit dem Kopf bei der Sache.

      „Also, zur Not können wir immer noch auf Archivfotos zurückgreifen. Das fällt wahrscheinlich sowieso niemandem auf“, versucht er zu retten, was zu retten ist.

      „Darf ich dich daran erinnern, dass du derjenige warst, der große Töne gespuckt hat von Superfotos, die Eins-A-Werbematerial hergeben?“, wirft Max ein und sieht Pierre geringschätzig an.

      Der wird langsam sauer.

      „Ist wenigstens klar, dass Dark Raven zur Fete kommen? Oder haben die womöglich noch keinen Schimmer von ihrem Auftritt bei uns?“, fragt Max sicherheitshalber noch mal nach.

      „Die kommen. Das ist so sicher wie deine Fünf in Mathe“, erwidert Pierre grinsend Max’ Stänkerei.

      Der grinst zurück.

      „Na, dann ist ja alles fit.“

      Pierre möchte ihn so schnell wie möglich wieder loswerden, um endlich in dem abgegriffenen Buch weiter lesen zu können.

      „Gibt’s noch Fragen?“ Er sieht Max an.

      „Ja. Was gibt’s zum Dessert?“, will der wissen. Pierre lacht.

      „Sag mal, kriegst du zu Hause nichts zu essen?“

      „Na ja, du hast mir etwas Gutes zu Essen versprochen und …“

      „… und kein Dreigangmenü“, unterbricht Pierre den in der ganzen Schule bekannten Nimmersatt.

      „Schon gut, war nur ein Scherz“, lacht jetzt auch Max und kommt zurück zur Sache. „Was ich noch brauche, ist eine Liste der Ausrüstung, die die Band hier vor Ort braucht, damit wir nachher nicht dastehen wie Idioten, weil uns ein Kabel fehlt.“

      „Ich werde später noch eine Mail an Dominic in Los Angeles schicken und die Antwort an dich weiterleiten. Dann weißt, du, was du organisieren musst“, verspricht Pierre und steht auf, um Max klar zu machen, dass er noch zu tun hat.

      „Was macht dieser Dominic eigentlich in Los Angeles?“, fragt der Mitschüler.

      „Seinen Vater besuchen. Der ist vor zwei Jahren dorthin ausgewandert und Dom besucht ihn regelmäßig. Diesmal ist er übrigens mit der ganzen Band dort und macht im Studio seines Vaters ein paar Aufnahmen.“

      „Wow! Das ist ja cool! Dann kommen die ja bald richtig groß raus“, schwärmt Max.

      „Na ja, mal abwarten.“

      Pierre geht zur Spüle und dreht den Wasserhahn auf.

      „Die Musik, die uns gefällt, müssen die Amis noch lange nicht gut finden. Trotzdem glaube ich auch, dass Dom mit seinen Jungs gute Chancen hat.“

      Das Hantieren im Spülbecken ist endlich ungemütlich genug, dass auch Max aufsteht. Bevor Pierre auf die Idee kommt, ihn zum Spülen einzuplanen, verabschiedet er sich.

      „Dann warte ich auf die Mail. Wir haben ja noch vier Wochen. Wann treffen wir uns wieder?“, fragt er beim Hinausgehen.

      „Lass uns telefonieren, ja?“, antwortet Pierre. „Aber denk dran: Bis zum nächsten Wochenende bin ich nur über die neue Handynummer erreichbar.“

      „Hä? Wieso bis zum Wochenende?“ Max dreht sich verwirrt um.

      Pierre schießt das Blut in den Kopf.

      „Ach … ähm … - na ja, bis zum Wochenende werde ich mein altes Handy wohl wieder gefunden haben“, stammelt er.

      Max zieht die Stirn kraus.

      „Na, wenn du meinst“, murmelt er, als er die Küche verlässt.

      Kurz darauf fällt die Haustür ins Schloss. Pierre atmet erlöst auf.

      „Glück gehabt. Ich bin aber auch ein Hornochse. Um ein Haar hätte ich mich verraten, und die Sache wäre richtig peinlich geworden.“

      Er wirft das Küchenhandtuch auf den Tisch. In der Bibliothek holt er das Buch aus dem Regal und lümmelt sich in den Lesesessel seines Vaters, wo er vorsichtig in den ramponierten Seiten blättert.

       5

       Tag x

       Wieder konnte ich lange nicht schreiben, denn man lauerte auf mich. Durch einen Zufall wurde ich dem Transportdienst zugeteilt. Wir hatten gelegentlich Kleidung ins Hauptlager zu bringen. Jede von uns nutzt die Möglichkeit, zusätzliche Gegenstände hinüber zu schmuggeln. Sie dienen als Bestechung für die Kapo-Frauen, wenn wir mit Gefangenen, die wir kennen, kurz sprechen möchten. Beim Transport einer kleinen Konserve bin ich aufgefallen und musste zahllose Peitschenhiebe über mich ergehen lassen und mit blutendem Rücken eine Sporteinheit absolvieren. Eine Sporteinheit besteht aus Kniebeugen, Liegestützen, Springen und Rennen, so lange bis man besinnungslos zusammenbricht. Danach stand ich unter ständiger Beobachtung. Auf das Buch hat während der letzten Wochen wieder eine Mitgefangene achtgegeben.

       Tag x

       Die Lücken in der Bretterwand zum Raum der Kapo-Frauen sind unsere Nachrichtenquelle, und wir müssen aufpassen, dass keine von uns beim Lauschen erwischt wird. Täglich zehntausend Juden mehr vernichten, lautete Eichmanns Befehl, der die Lagerverwaltung in heftige Schwierigkeiten bringt. Die Kapo-Frauen sprachen darüber. Dadurch erfuhren wir, dass Eichmann der Überbringer eines Befehls aus Berlin war, der vorsieht, vierzigtausend ungarische Juden aufzunehmen und innerhalb von sechs Wochen zu vernichten. Die Brennöfen werden erweitert und ausgebessert.

       Tag x

       Gestern kam der erste Transport. Menschenmassen standen und warteten auf die Einteilung in zwei Gruppen. Endlose Schlangen verängstigter Mütter und Kinder, die sich aneinander festklammerten, Männer mit unsicherem Blick oder schwatzende Ahnungslose, die glaubten, dass die Misere irgendwann ein Ende haben könnte. Man sagte ihnen, dass sie zur Desinfektion müssten, und sie folgten den Anweisungen der SS-Leute.

       Die ständigen Schreie, die wir kaum noch hören, wurden lauter. Sie wurden unerträglich und schließlich wussten wir, was los war: Die Gaskammern konnten die endlosen Massen nicht mehr aufnehmen. Man hat begonnen, die Menschen in Erdgruben bei lebendigem Leib zu verbrennen.

       Die SS-Männer töten den kläglichen Rest ihrer Empfindungen mit Unmengen von Alkohol. Wir sind den Schreien, der Verzweiflung, dem Schweiß, den Leichenbergen und den stinkenden Rauchschwaden ohne Betäubung Tag und Nacht ausgesetzt. Sortieren im Akkord meterhohe Berge von Hab und Gut, an denen sich leicht errechnen lässt, dass es Millionen Menschen sind, die hier qualvoll sterben.

       Tag x

       Das Sonderkommando der Männer, die für die Verbrennung der Körper zu sorgen haben, wechselt beinahe täglich. Für viele von ihnen ist ihre Tätigkeit nicht zu ertragen und sie stürzen sich in den Elektrozaun. Auch von uns haben schon einige den Tod durch den Zaun gewählt. Nur wer es schafft, seine Gefühle und Empfindungen taub zu schalten, hat den Hauch einer Chance. Welcher Preis für einen kläglichen Hauch.

       Tag x

       Eine Gruppe von 300 Mädchen aus dem Konzentrationslager Majdanek in Polen ist gestern

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