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gab Marion ihren Einstand im Kreis ihrer neuen Kollegen, deren Chefin sie urplötzlich war. Man feierte bei einem kalten Büffet und alkoholfreien Getränken im Büro bis weit nach Mitternacht. Petzold hatte seine Enttäuschung zwar noch nicht ganz verwunden, es wurde dennoch ein harmonisches Beisammensein. Als Marion nach Hause fuhr, stieg ein Glücksgefühl in ihr auf. Sie hatte es offenbar geschafft, von ihren Mitarbeitern akzeptiert zu werden, die ihrerseits erleichtert waren, nach dem herrischen und zudem oft linken Schmölder künftig eine – wie es schien – kompetente, offene und geradeaus denkende Chefin zu bekommen, mit der man über alles reden und zu der man Vertrauen haben konnte. „Wegen einer eigenen Meinung bekommt bei mir niemand einen Negativ-Vermerk in der Personalakte.“ Bei diesen ihren Worten war ein Seufzer der Erleichterung zu hören, und Dr. Sowetzko fühlte sich zum ersten Mal in seiner Entscheidung bestätigt.

      Zu Hause angekommen, wirkte ihre Wohnung irgendwie verändert. Auf dem Wohnzimmertisch lagen Schlüssel, daneben eine Postkarte aus Dänemark; Peter und Luise ließen herzlich grüßen. Es ginge ihnen und der „kleinen Süßen“ prächtig. Darunter stand in kindlich ungelenken Großbuchstaben: S-V-E-N-J-A.

      Henning war nicht da. Er hatte tagsüber seine persönliche Habe abholen lassen, um Marion für immer zu verlassen. Auf und davon. Wortlos. Die erfolgreiche Hauptkommissarin sank in einen Sessel, unfähig traurig oder wütend zu sein; denn es war das geschehen, was unterschwellig in ihrem Innern schon lange gärte, was sie verdrängt hatte, worüber sie jedes Nachdenken immer wieder verschoben hatte, da der Kopf voll war mit anderen Dingen. Eine Beziehung, die ohne eine Träne auseinander ging, - ein Schiff, das schon lange den Hafen verlassen hatte und jetzt lediglich am Horizont verschwunden war.

      Immer wieder betrachtete Marion die Urlaubskarte, die gekritzelten Buchstaben S-V-E-N-J-A. Wie würde sie ihrer Tochter klar machen, dass der Vater aus ihrem Leben verschwunden war? –

      Ein zartes Morgenrot erweckte sie aus ihrer Grübelei. Ein neuer Tag, - ein neues Leben.

       Adel verpflichtet?

      Die Lokalpresse kannte seit Tagen nur ein Thema: Den Spuk in der Villa des Grafen Hohenburghof. Da wanderten nachts geheimnisvolle Nebel durchs Haus, begleitet von unsäglich klagenden Stimmen, die Worte von Tod und Vernichtung zelebrierten. Nach etwa fünf Minuten endete der ganze Zauber mit einem langen markerschütternden Schrei, der immer lauter wurde und mit einem dumpfen Aufschlag endete, als sei jemand im Flur von der obersten Etage übers Geländer zu Tode gestürzt. Und das alles wiederholte sich manchmal bis zu fünfmal in der Nacht.

      So jedenfalls hatte die völlig entnervte Gräfin Hohenburghof den Fall der Polizei geschildert, von der sie sich aber völlig unverstanden fühlte, weil die Beamten sie nach Aufnahme eines Protokolls an eine Psychologische Praxis verwiesen.

      Menschen in Not, deren Sorgen die Obrigkeit ignoriert, finden zum Glück oft Trost und Gehör bei der Presse. Und so machten sich zwei Lokalreporter auf, der Gräfin beim Schlaf zuzusehen und den Spuk selber mit zu erleben. In der ersten Nacht passierte nichts, doch in der zweiten, als diese heulenden Nebelgestalten auf die beiden Presseleute zukamen, innerlich anfingen zu glitzern, riesige schreckliche Fratzen zeigten und mit klobigen Händen und langen knochigen Fingern sie zu greifen drohten, da suchten die beiden Helden das Weite und machten sich flugs daran, schaurige Erlebnisberichte zu schreiben, wobei Armin Junkers eine ganz besonders farbige Reportage gelang.

      Mit diesen Presseberichten in der Hand machte sich am nächsten Tag der Graf persönlich auf, um behördlichen Schutz für seine Gattin anzufordern. Kirche, Stadtrat, Bauamt, Polizeibehörde – überall wo alte Freunde, Verwandte oder Abhängige der gräflichen Familie saßen, wurde er vorstellig, bis ihm schlussendlich zwei Polizeibeamte zur Klärung des Falles zugesagt wurden.

      Nun genossen die beiden Reporter in der Stadt ein recht hohes Ansehen wegen der Objektivität ihrer Berichte. Natürlich äußerten die meisten Leser im Brustton der Überzeugung, nicht an Spuk zu glauben, - aber wer weiß, vielleicht könnte ja doch etwas dran sein. Bekanntlich gibt’s ja zwischen Himmel und Erde mehr Dinge, als sich unsere Schulweisheit träumen lässt. Und angesichts solcher Zweifel ließen sich auf die Schnelle keine uniformierten Beamten finden, die zu diesem Geister-Einsatz bereit waren. Alle Angesprochenen erfanden wohlklingende Ausreden.

      Von mehreren Stellen bekniet, schaltete sich auch Kriminalrat Dr. Sowetzko ein. Vielleicht würden die harten Kerle der Mordkommission genügend Mumm mitbringen, die Frau Gräfin nächtens zu bewachen und eine Erklärung für den Spuk zu finden. Mit diesem Anliegen betrat er das K21, allerdings in einem höchst unpassenden Augenblick.

      Denn Marion, die zuvor erfahren hatte, welche Probleme es gab, zwei Uniformierte zur Geistervertreibung abzustellen, hatte gerade bei ihren Jungs eine Mordsgaudi und ein Hohngelächter ausgelöst, als sie spöttisch bemerkte: „Am Ende werden die uns noch fragen. - K21, der neue Fachbereich für Geister, Schwachsinn und Gruselfälle ...“

      Dr. Sowetzko winkte daraufhin nur freundlich in den Raum und schloss rasch wieder die Tür. Er verspürte keine Lust, sich von seiner Hauptkommissarin sagen zu lassen, dass niemand in ihrem Bereich Lust oder Zeit zu solchem Geister-Theater habe. Und er hätte ihr das nicht einmal verübeln können. Prompt musste er am anderen Morgen in der Lokalpresse von dem Skandal lesen, dass die Polizei bedrohter Gräfin jeglichen Schutz verweigere. Er nahm es gelassen zur Kenntnis. Aber dieser Gleichmut war nur von kurzer Dauer; denn wenig später erhielt er eine erschreckende Meldung ...

      Im K21 zog man gerade deftige Witze über die neusten Pressemeldungen zum Geister-Thema, als Dr. Sowetzko aufgeregt hereinstürmte. „Frau Zelenka, entschuldigen Sie, wenn ich die heitere Stimmung hier im Raum etwas dämpfe ... Gräfin Hohenburghof ist ermordet worden. Und wissen Sie warum?“

      Marion schüttelte verwundert den Kopf. Welch blöde Frage!

      „Wissen Sie denn wenigstens von wem?“

      Marion hob bedauernd die Schultern. Eine noch blödere Frage!

      „Nicht? - Dann seien Sie so liebenswürdig, es möglichst bald heraus zu finden! – Gräfin Hohenburghof erwartet Sie bereits voller Ungeduld in der Pathologie, übrigens mit acht Messerstichen im Bauch.“

      Schon in der Pathologie? - Marion sah ihren Chef strafend an: „So – so. Und warum kriegen wir diesen Fall erst dann, wenn andere schon drin rumgerührt haben?!“

      Dr. Sowetzko zog die Stirn in Falten; er verkniff sich ein Lächeln, weil der Vorwurf sachlich durchaus berechtigt war. Da er aber nicht einsah, seine Entscheidung vor Untergebenen rechtfertigen zu müssen, entgegnete er ironisch: „Ist angekommen, Frau Zelenka. Künftig informiere ich Sie über Verbrechen, bevor sie geschehen. Einverstanden?“ Sprach’s und wandte sich zur Tür.

      „Ha – ha!“ erwiderte Marion gedehnt. Sie leitete dieses Kommissariat inzwischen über sechs Monate und hatte sich hier fest etabliert. Selbst Petzold, dem diese junge Polizistin jüngst vor die Nase gesetzt worden war, erkannte inzwischen ihre Führungsqualitäten an und bewunderte ihr beharrliches Durchsetzungsvermögen, insbesondere dann, wenn es gegen Vorgesetzte, sinnlose Vorschriften oder bürokratische Hindernisse ging. Das trug ihr zwar regelmäßig lautstarke emotionsgeladene Rüffel von Dr. Sowetzko ein, doch daran hatte sie sich inzwischen gewöhnt, zumal er nie zum Abschluss ein versöhnliches Wort vergaß.

      Als kinderloser Witwer hatte er an ihr seit langem einen Narren gefressen; so wie diese Marion, so hätte er sich vermutlich eine Tochter gewünscht. Ob bewusst oder unbewusst, - er verhielt sich im Dienst ihr gegenüber manchmal wie ein Vater: streng, aber liebevoll.

      Zwar musste er – wie’s Väter Schicksal ist – auch so manche Kröte schlucken, zum Beispiel als Marion innerhalb ihrer Truppe Seminare abhielt, um die Zusammenarbeit zu optimieren, wobei auch Fallstudien aus der Praxis simuliert wurden. Immer wieder wurde mit hoher Präzision geübt, wie einer für den anderen bei einer akuten Gefahr einzustehen habe; sie ahnte dabei nicht, wie bald schon ein solcher Fall für sie selbst in gefährlicher Weise eintreten sollte.

      Als das Thema aber einmal „Kontrollierter Ungehorsam“ hieß, nahm er spontan selber teil, saß voller Unmut auf einem

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