ТОП просматриваемых книг сайта:
Tant Maries Hus. Dörte Nibbe
Читать онлайн.Название Tant Maries Hus
Год выпуска 0
isbn 9783847629931
Автор произведения Dörte Nibbe
Издательство Bookwire
Vivis Gedanken kehrten zurück. Sie stellte gedanklich noch einmal klar, dass die Ponys Kondition hatten. Hinzu kam ihre instinktive Pferdeseite - sie waren Fluchttiere. Zusammengenommen bedeutete dies, dass sie irgendwohin, mehr oder weniger kopflos, kilometerweit gelaufen sein konnten. Sonst wohin. Diese Gedanken munterten Vivi keineswegs auf.
„Vivi,“ riss Eva sie aus diesen Gedanken, „vom Herumsitzen wird die Arbeit nicht weniger. Du kannst genauso gut den Paddock abäppeln und alles fertig machen! Wenn jemand anruft, bin ich ja hier.“ Pragmatische Eva! Vivi wusste, dass ihre Mutter recht hatte. Sie erhob sich von ihrem Stuhl, ging in die Diele und zog wieder die Fettlederschuhe an. Ihr Blick fiel auf die vereinsamten Halfter, die ordentlich an ihren Haken hingen. Noch so ein Punkt, schoss es Vivi durch den Kopf, denn wie sollte jemand die Pferde festbinden oder fangen, wenn sie nackt, halfterlos waren? Vivi selbst hatte nie Probleme, sie ohne Halfter zu fassen zu bekommen. Beide ließen sich auch sehr gut aufhalftern. Nur nicht, wenn sie gerade erst ein paar Minuten auf der Weide waren und fressen wollten. So ließ Vivi sie grundsätzlich ohne Halfter laufen, sowohl auf der Weide als auch im Paddock. Halfter waren immer Gefahrenquelle für Verletzungen, egal wie gut sie saßen. Vivi hatte zudem niemals Zweifel daran, dass sie ihre Ponys aufhalftern konnte. Ihr Vertrauen in sie war bodenlos tief.
Ja, in Vivis Augen waren die Ponys einmalig grandios. Sowohl Kella als auch Kinning waren absolut verkehrssicher, beide konnten lange Zeit ruhig angebunden stehen und sie konnte jedes Pony für sich allein nehmen, ohne dass es am anderen klebte, unwillig wurde oder ängstlich. Das hatte Vivi sehr früh mit ihren Isis geübt und war stolz darauf. Manchen guten Tipp hatte sie auch von ihrer Mama bekommen. Es blieb unglaublich, dass Eva selbst nicht ritt...
Vivis Gedanken schweiften weiter. Sie wusste, dass Kristoph sehr lange mit ihrer Mutter geredet hatte, bevor sie Kella und Kinning bekam. Irgendetwas, da war Vivi sich sicher, hielt ihre Mutter vom Reiten ab. Irgendein Erlebnis? Eva erzählte nichts und Vivi bohrte auch nicht mehr weiter, wie sie es früher versucht hatte. Sie hatte zu deutlich gespürt, dass Eva sehr abweisend und wütend werden konnte, wenn sie dieses Thema anschnitt. Außerdem fand Eva dann immer Beschäftigungen für Vivi, die vom Thema ablenkten und nicht zu Vivis bevorzugtem Zeitvertreib gehörten. Vivi zuckte mit den Achseln und murmelte: „Kommt Zeit, kommt Rat!“
Aus der kühlen und angenehm schattigen Diele trat Vivi in die späte Vormittagssonne, die schon heiß brannte. Automatisch, als ob sie programmiert wäre, ging sie zur Mistplatte und sammelte die ordentlich bereitstehenden Geräte, den Äppelboy und die Forke, auf die Schubkarre. Geräuschvoll rumpelte sie mit der beladenen Karre den Weg zum Offenstall. Keine Kette versperrte ihr den Weg...
„Vivi,“ schimpfte sie mit sich selbst, „es ist passiert, nun musst du da durch!“ Das war zwar richtig, aber auch nicht tröstlich. Vivi begann mit dem Stall, doch im Stroh lagen nur zwei verwaiste Haufen Pferdeäppel, im Auslauf, dem Paddock, waren es auch kaum mehr. Viel zu schnell war die Arbeit getan. Die Ponys mussten wirklich früh ihre Chance ergriffen haben...
Viel zu früh hatte Vivi alles nach dem Misten wieder ordentlichst weggeräumt, es gab nichts mehr zu tun. Aus der Werkstatt ihres Vaters hörte sie Bohrgeräusche. Auch Kristoph war am Werken.
Vivi füllte als letztes noch die Futtereimer für den Abend. Normalerweise waren die Pinys jetzt ein paar Stunden auf der Weide... Doch, sorry, was war an diesem herrlich sonnigen Sonntag schon normal? Vivi wollte sich beschäftigen, aber ihre Arbeit war bereits getan. An einem anderen Tag hätte sie sich darüber gefreut. Heute wünschte sie sich, dass die Arbeit ewig gedauert hätte...
„Komm, Vivi,“ munterte sie sich selbst auf, „dann putzt du endlich mal Sattel, Trense und alles andere... Muss doch auch gemacht werden!“ Sie tauchte wieder in den Schatten der Diele ein und holte sich als erstes den Sattel, welchen sie über das Paddocktor legte. Danach kramt sie Sattelfett, Lappen, Bürste, Sattelseife und einen Putzeimer hervor. In den Eimer füllte sie etwas Wasser, dann trug sie alles zum Sattel. Vivi löste gerade die Schnallen vom Sattelgurt, als sie die Stimme ihrer Mutter hörte.
„Vivi! Herr Hansen hat angerufen! Seine Tochter Marit hat heute morgen zwei Ponys eingefangen und auf die Hausweide gestellt! Nun war er zum Turnierplatz gefahren , um zu fragen, ob die Ponys vermisst werden! Da bekam er unsere Telefonnummer. Also, den Ponys geht es bombig, die Nasen stecken im leckersten Gras!“
„Juchhu!!!“ Vivi rannte zu ihrer Mutter und umarmte sie erleichtert. Eva kam es vor, als ob sie erdrückt würde! Kristoph kam ebenfalls angestürzt.
„Puh,“ sagte er, „dann wollen wir mal die Ausreißer heimholen, oder? Wo wohnt denn der Herr Hansen?“ Typisch Kristoph, er war sofort wieder beim nächsten Schritt, während in Vivi alles pochte und hämmerte, in ihr alles zu jubeln und vor Freude zu hüpfen schien!
„Zwei Ortschaften weiter,“ antwortete Eva, „im Außenbereich Du musst in Hackstedt Richtung Wiel abbiegen und dann weiter fahren, am Wald vorbei und bei der nächsten Kreuzung geradeaus. Der erste Hof auf der linken Seite ist es dann. Der Stall hat grünes Blech und zur Straßenseite hin steht ein Feldstein mit ‘Hansen’ darauf.“
„Ich hole Trense, Halfter und Stricke!“ rief Vivi, die nun auch wieder handlungsfähig war und klare Gedanken fassen konnte. So schnell wie möglich wollte sie jetzt zu ihren Lieblingen. In Windeseile hatte sie alles zusammen, sämtliches Zaumzeug sowie die Putztasche und eine Bauchtasche mit Leckerlis. Kristoph packte alles in den geräumigen Kofferraum des betagten silbernen XM Breaks, den er manchmal liebevoll als seine Großraumsänfte bezeichnete. Kristoph hatte sich fasziniert in die Schwebetechnik von Citroën eingearbeitet und nahm alle Herausforderungen an, die das Instandhalten der alten Dame bot. Entsprechend hatte er sich seine Autowerkstatt eingerichtet. Im Nebengebäude von Tant’ Maries Hus war es ihm endlich möglich geworden, alles geordnet unterzubringen. So war es kaum verwunderlich, dass auch Eva einen XM fuhr und alle das Schweben über die manchmal doch etwas holprigen Wege genossen. Über akute Bastelstellen im Auto oder ungewöhnliche Techniken wie Extrakabel im Motorraum, die man an die Batterie halten musste, damit die Dame doch ihre Dienste tut, wurde großzügig hinweggesehen. Wie auch jetzt, als Vivi sich auf den Beifahrersitz setzte und ihre Füße neben den Kabelsträngen platzierte, die Kristoph gerade bearbeitete. Wahrscheinlich hätte sich Vivi im Moment sogar auf ein Fakirkissen aus Nägeln gesetzt und nichts gemerkt, so aufgeregt war sie gerade.
Eva hatte versprochen, die Polizei über das Wiederfinden zu informieren. Noch hatte der nette Polizist von heute Morgen Dienst.
Als Kristoph vom Hof auf den Weg bog, sagte er zu Vivi: „Merk’ Dir mal den Kilometerstand, am Ende des Zählers steht 18,4! Bist du echt sicher, dass du zurück reiten willst?“
„Klar, die beiden sind doch echt lieb und zuverlässig - jedenfalls wenn die Ketten zu sind!“, erwiderte Vivi entschlossen. Da mussten beide lachen und etwas der vergangenen Anspannung fiel herab. Vivi war es fast, als ob sie es plumpsen gehört hätte. Sie hatte eh schon das Gefühl, dass auf dem Platz vor dem Haus ein paar Steine mehr lagen als zuvor, so viel leichter war ihrem bangen Herzen geworden.
„Hier ist der Wald,“ sagte Vivis Vater. Die Straße war von mehr oder weniger dicht bewachsenen Knicks gesäumt, die im frischen Grün strahlten und freundliches Geleit gaben. Leicht und weit führte sie bergab. Nach einem ebenen Straßenabschnitt kamen sie auf die Kreuzung zu. Das grüne Blech des Stalls schimmerte ihnen durch alte Bäume entgegen, die den Hofplatz von der Weide trennten, die an der Straße lag. Auf der Weide war ein Fuchs zu sehen, der rotgold in der Sonne glänzte, jedoch kein Isi.
Kristoph querte die Kreuzung und bog hinter dem Feldstein mit ‘Hansen’ darauf auf den Hof ab. Auf der Auffahrt hielt er den Wagen in der Höhe des roten Backsteinhauses mit den grünen Fenstern an. Kaum hatten sie gehalten, kam aus der Klöntür der Diele, die zwischen dem alten Stall und dem Wohnhaus lag, ein älterer Bauer heraus, der einfach Herr Hansen sein musste. Er begrüßte sie freundlich und nahm sie gleich mit zu der Weide, die am Ende der Hofauffahrt lag. Hinter dem Knick, der nur durch das Weidetor unterbrochen war, konnte Vivi endlich, endlich ihre beiden Ausreißer erblicken, die zufrieden das saftige Gras fraßen. Als Vivi