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Die Schuldfrage. Astrid Rodrigues
Читать онлайн.Название Die Schuldfrage
Год выпуска 0
isbn 9783742797926
Автор произведения Astrid Rodrigues
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Hansen liest.
„Ich habe gleich Ines angerufen. Ich wusste doch nicht, was ich jetzt machen sollte. Meine Tochter hat versprochen, gleich vorbei zu kommen. Sie wollte auch Klaus, meinen Sohn, anrufen und Georg, Michaelas Mann. Ich war gerade am Kochen und wollte mir ein Kotelett braten, als ich den Brief aus meinem Briefkasten geholt habe. Also habe ich den Herd wieder ausgedreht und auf meine Tochter gewartet, als ich ein Geräusch aus dem Wohnzimmer hörte. Vorsichtig schaute ich um die Ecke. Meine große Bodenvase war umgefallen. Ich hatte Angst und nahm die Bratpfanne zu meinem Schutz mit, als ich ins Wohnzimmer ging. Ich rief laut, ob da jemand sei, bekam aber keine Antwort. Ich sah mich um und entdeckte, dass sich der Vorhang von der Balkontüre bewegte. Als ich näher herankam, sah ich unter dem Vorhang zwei Füße. Es müssen Männerfüße gewesen sein. Ich rief noch einmal, doch nichts passierte. Wieder rief ich: kommen Sie da raus! Dann bewegte sich der Vorhang und die Person dahinter brummelte: Dir zeig ich‘s. Da habe ich zugeschlagen.“
„Das sieht zumindest nach Notwehr aus. Frau Klein, ich gehe nicht davon aus, dass bei Ihnen Fluchtgefahr besteht. Sie halten sich aber zu unserer Verfügung und kommen so schnell wie möglich aufs Kommissariat, um eine Aussage zu machen. Die Leiche kommt erst mal in die Gerichtsmedizin.“
„Wissen Sie denn schon, wer der Mann ist?“, frage ich vorsichtig.
„Leider nicht, er hatte keine Papiere dabei.“
Es klingelt an der Haustüre. Ines öffnet und Klaus stürmt herein.
„Mama, um Gottes Willen, was ist denn passiert?“ Ines klärt ihren Bruder mit einer stenografischen Kurzfassung der Geschichte auf.
„Georg hat mich angerufen. Er war total entsetzt. Er meinte, du hättest eine alte Schuld zu begleichen und deswegen sei seine Michaela nun in größter Lebensgefahr? Sag mal spinnen jetzt alle?“
Ich versuche Klaus die Sache zu erklären und zeige ihm das Erpresserschreiben. Er schüttelt ungläubig den Kopf.
„Mama, was könntest du denn für eine alte Schuld auf dich geladen haben? Fällt dir dazu spontan was ein. Ich meine, das muss ja schon der Hammer sein, wenn man dich damit erpressen kann.“
„Ich habe keine Ahnung.“, antworte ich wahrheitsgemäß. Nun mischt sich Hansen ein.
„Ihr Sohn hat recht. Was könnte es denn sein, dass jemand einen solchen Hass gegen Sie hegt und Ihre Tochter entführt?“
Ich denke kurz nach.
„Ganz ehrlich? Wenn mich jemand so sehr hassen würde, dann hätte er Ines mitgenommen und nicht Michaela. Wer die im Dunkeln mitnimmt, bringt sie spätestens im Hellen wieder nach Hause.“
„Mama!“
Nun ernte ich von beiden Kindern strafende Blicke.
„Ist doch wahr. Diese Kratzbürste nimmt doch keiner freiwillig mit. Außerdem muss es jemand sein, der weiß, dass ich das Haus verkauft habe. Ich hätte doch sonst gar kein Geld um ein Lösegeld zu bezahlen!“
„Sie meinen also, es muss jemand aus Ihrem Bekanntenkreis sein?“ fragt Hansen interessiert.
„Möglich. Ich weiß es doch auch nicht.“
Mein Hirn arbeitet auf Hochtouren. Was kann ich verbrochen haben, dass mir jemand so etwas antut?
„Vielleicht eine späte Rache, wegen den Aktivitäten von Onkel Heini? Oder wegen Frieder Wagner?“
„Mama, was redest du da? Wer sind diese Leute?“, will Ines wissen.
„Ach, die leben bestimmt schon lange nicht mehr. Das sind doch alles alte Geschichten, die heute niemanden mehr interessieren.“
Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese alten Kamellen von Bedeutung sein könnten.
Dirk Hansen steht auf und packt den Erpresserbrief vorsichtig mit Handschuhen in eine Tüte.
„Den nehmen wir mit und untersuchen ihn auf Fingerabdrücke. Und Sie, Frau Klein, überlegen weiter, wer und was dahinterstecken könnte.“
Eine Polizistin nimmt meine Fingerabdrücke und dann leert sich meine Wohnung allmählich. Der Tote wird hinausgetragen, verpackt in einem schwarzen Plastiksack. Meinen Wohnzimmerteppich nehmen sie auch mit. Ich habe einen Mann erschlagen. Wie konnte ich nur? Aber was macht er auch in meiner Wohnung? Ich habe den Mann nicht gesehen, vielleicht hätte ich ihn erkannt. Ach, vielleicht will ich lieber gar nicht wissen, wer er ist.
Während Klaus und Ines klar Schiff machen, lasse ich meine Geburtstagsfeier noch einmal Revue passieren. Schließlich ist Michaela im Laufe des Abends verschwunden.
„Ich hätte einfach wieder eine Kreuzfahrt machen sollen, wie zu meinem 80. Geburtstag. Was für eine schwachsinnige Idee noch einmal ein großes Familienfest zu feiern.“
Michaela war gleich dagegen gewesen. Sie hatte mir davon abgeraten. Wollte nichts wissen von der Verwandtschaft. Sie ließ sich ungern vergleichen, vor allem im Moment, wo es mal wieder nicht gut bei ihr lief.
Ines hingegen war begeistert und sofort bereit, die Organisation zu übernehmen.
„Also, pass auf, das wird der schönste 90. Geburtstag, den du je erlebt hast.“
„Ja, und der Einzige!“ , gab ich zu bedenken.
„Am besten feierst du im Gasthaus zum fröhlichen Lamm. Ich kenne den Wirt. Der bringt dann nur den Kaffee, die Torten und Kuchen können Michaela und ich beisteuern. Dann wird es nicht so teuer.“
Ines platzte vor Begeisterung über ihre Idee.
„Für 15 Uhr planen wir den Kaffee. Danach kann Maximilian-Torben ein paar Ständchen für dich bringen. Er hat schon so lange Gitarrenunterricht, da wird er sich freuen, wenn er sein Können auch mal zeigen darf.“
Ines holte kaum Luft und ich konnte mir, bei aller Liebe, nicht vorstellen, dass mein Enkel Unterhaltungsqualitäten haben sollte. Meinem Sohn Klaus hat ein solches Gen ein Leben lang gefehlt und Maximilian-Torbens Mutter Theodora ist gänzlich temperamentfrei. Doch Ines war nicht zu bremsen.
„Wenn Maximilian-Torben fertig ist, ist es schon fast Zeit für das Abendessen. Da handle ich mit dem Wirt einen Festpreis aus. Kommen natürlich noch die Getränke dazu. Aber der macht mir bestimmt einen guten Preis.“
Also war Ines gleich am nächsten Tag losgezogen und hatte alles im Gasthaus zum Vergesslichen Lamm, oder so, organisiert. Stolz stand sie vor meiner Haustüre und berichtete von den Ergebnissen. Zur Vorspeise sollte es ein Kräutercremesüppchen geben, gefolgt von einem Schreinerostbraten mit Kroketten und Salat. Den Nachtisch vollendete eine Creme Bruelé.
Ich zog Ines in die Wohnung hinein, denn meine Nachbarn hatte das sicherlich nicht interessiert. Sie war so stolz auf sich.
„Und du bist sicher, dass das mit Michaela funktioniert?“, frage ich skeptisch.
„Aber klar, hab alles mit ihr abgesprochen.“
Ich war am Samstag pünktlich im Gasthaus zum geduldigen Lamm eingetroffen. Von der Verwandtschaft fehlte noch jede Spur. Ines war bemüht ein schönes Kuchenbuffet auf die Beine zu stellen, als Michaelas Mann, Georg, eine tiefgefrorene Schwarzwälder-Kirsch-Torte und eine ebenso steifgefrorene Eierlikörtorte im Gasthaus zum weinenden Lamm abgab. Aus den Jackentaschen zog er noch jeweils einen Marmor- und einen Sandkuchen vom Discounter, die er original verpackt auf dem Buffet platzierte. Ich konnte Ines Gesichtsfarbe gut erkennen, die immer mehr zu leuchten schien. Aufgeregt rief sie ihre Schwester an, während sie versuchte, wenigstens die Verpackungen vom Kuchen zu entfernen. Ihr Handy lag auf Freisprechen geschaltet zwischen den kulinarischen Katastrophen und ich konnte ihr Gespräch mit anhören. Michaela schien ebenfalls auf Freisprechen geklickt zu haben, denn es gab beim Sprechen ein unschönes Echo.
„Bist du wahnsinnig? (du wahnsinnig?). Was soll ich denn mit den tiefgefrorenen Torten? (den tiefgefrorenen Torten?)“
„Tut