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Manche Humanier reisen sogar um den Globus, weil sie im gleichen Jahr eine Jahreszeit - meist ist es der Sommer - noch einmal erleben möchten.

      Ein hochbetagter Humanier erzählte mir, er habe aufgrund einer vor einem Monat erstellten Langzeitprognose über Studiosus-Reisen einen Spanienaufenthalt gebucht. Da seine Reisegruppe jedoch - entgegen der meteorologischen Vorhersage - von Kälte, Wind und Regen überrascht wurde und gezwungen war, pausenlos Kirchen und Museen zu besichtigen, habe der Psychotherapeut, den er nach meiner Rückkehr habe aufsuchen müssen, bei ihm eine chronische Museums und Kirchengebäude-Phobie festgestellt, die nur durch einen längeren Kuraufenthalt in einem wind- und regengeschützten Gebiet zu heilen ist. Er habe deshalb die Rechnung für die Behandlungskosten dem verantwortlichen Meteorologen zugeschickt und das Institut dringend gebeten, bei der nächsten Langzeitprognose behutsamer vorzugehen und dafür zu sorgen, dass Wetter und Vorhersagen unter allen Umständen miteinander übereinstimmen.

      Das Klima ist in Humanien meist angenehm und mild. Der Luftdruck ist erträglich. Es kann heiter werden, ohne sonnig zu sein. Die Sonne scheint nicht immer und verkriecht sich häufig hinter Wolken. Gewitter, Donner oder Wetterleuchten sind jedoch nicht häufiger als anderswo. Oft wehen die Winde aus allen Himmelsrichtungen zugleich. Das Aufziehen von Dunstschleiern kann unerwartet kommen. Ein anhaltendes Hoch ist seltener als nasskalte Nieselregen und plötzliche Hagelschauer. Es gibt ein gelegentliches Aufklaren ohne Fernsicht. Die schwül-feuchte Luft löst nicht selten Atemnot, Kopfdruck und Herzbeschwerden aus. Häufiger wird das ganze Land von dichtem Nebel eingehüllt, der Sichtweiten von nur wenigen Metern zulässt. Es kommt auch vor, dass die Temperaturen unter die Frostgrenze sinken. Der Barometer steht gewöhnlich unverändert auf veränderlich. Die Stimmung schwankt bei denen, die im Überfluss leben, zwischen Niedergeschlagenheit und Lebensüberdruss, und bei denen, die Mangel leiden, zwischen Gelassenheit und Gleichmut.

      Der weit über Humanien hinaus bekannte Klimaforscher, Professor Dr. Frosch, konnte in seinen neuesten Untersuchungen nachweisen, dass die überall verbreitete Furcht vor einer Erwärmung der Atmosphäre als unbegründet zurückgewiesen werden muss, weil alle Anzeichen dafür sprechen, dass mit dem Ansteigen des Konsums die Kälte zunimmt und das Klima bald in eine Eiszeit übergeht. Er warnt vor der Gefahr einer geistigen Klimakatastrophe, wenn der Werteverfall und die geistige Luftverschmutzung weiter den Lebensraum vergiften. Aber die Bewohner hoffen, dass das Ozonloch niemand zu einer Änderung seiner Lebensführung zwingt und sich so lange nicht erweitert, bis die Mittel gefunden wurden, mit denen man es wieder kleiner machen kann.

       Wetterkarte mit Langzeitprognose:

       Austria: Laue Winde aus allen Richtungen. Im Raum Salzburg, Kufstein und Bregenz muss bei der Einreise mit einem starken Pickerl-Regen gerechnet werden. Da die Autobahnen und Bundestraßen wegen Reparaturarbeiten nur einspurig befahrbar sind, ist mit zähflüssigem Verkehr und anhaltenden Staus zu rechnen. - Es wird empfohlen, die noch nicht reparierten Straßen zu benützen.

       Italia: Eine aus Rom heranziehende vatikanische Warmluftfront kommt nur langsam über dem Alpenhauptkamm voran. Nach Eintritt in die nördlichen Breitengrade kann es unter der katholischen Bevölkerung zu einem vorübergehenden Temperaturanstieg kommen.

       Helvetia: In allen Kantonen weiterhin Windstille. Für die Jahreszeit zu mild.

       Britannia: Die BSE-Eintrübung, die sich von den britischen Inseln nach Osten vorgeschoben hat, wird das Festlandklima noch einige Zeit beherrschen.

       Belgia: Durch den sintflutartigen Papierregen aus Brüssel wurden weite Teile Europas überschwemmt. Die dringend nötigen Aufräumarbeiten werden noch geraume Zeit in Anspruch nehmen.

       Hispania: Eine Süd-Strömung treibt schwül-feuchte Quell-Wolken nach Nordeuropa, wo sie sich nur langsam abschwächen.

       Germania: Berlin wird noch immer von einem dichten Bodennebel eingehüllt, der Sichtweiten von nur wenigen Metern erlaubt und den Flugverkehr für längere Zeit lahm legt. Bis zu den nächsten Wahlen keine Wetterbesserung. Im Bankenviertel Frankfurts kaum Bewölkungsauflockerung.

       Europa: Die Temperaturen liegen bei den Durchschnittswerten. Tagsüber laue Winde. Am Abend muss mit dem Aufziehen von Dunstschleiern gerechnet werden.

      Die Bewohner

      Dem Umstand, dass ich ihre Sprache, auch ihre Dialekte, mühelos verstand und fließend sprechen konnte, verdanke ich, dass ich sehr schnell Kontakt zu den verschiedensten Bevölkerungsgruppen bekam, dass die Humanier mir bald Vertrauen entgegenbrachten und mich als ihresgleichen behandelten.

      Die Humanier sind ein Mischvolk, das sich aus vielen Rassen zusammensetzt. Sie gingen - wie mir der Ahnenforscher Darwin anhand seiner Wirbelsäulensammlung zweifelsfrei nachweisen konnte - aus den Hominiden hervor, diese aus den Prähominiden und diese aus den Pithecanthropi. Aber sie nennen sich nicht gerne Hominiden, um nicht an ihre Herkunft erinnert zu werden, sondern lieber Humanier, weil sie auf ihre edle Gesinnung stolz sind, und noch öfter Humanisten, weil sie sich auf ihre Bildung etwas einbilden.

      Alle gehen aufrecht, obwohl sie keine Gründe dafür haben. Sie fühlen sich als Ebenbilder Gottes, so klein denken sie über ihn, sofern sie überhaupt über ihn nachdenken. Meistens schenken sie ihre gesamte Aufmerksamkeit der Welt und verfolgen alles, was Tag für Tag geschieht, mit gierigem Interesse. Damit sie sich nicht immer selbst eine Meinung bilden müssen, setzen sie sich - meist bis tief in die Nacht hinein - vor ein Fernsehgerät, um zu erfahren, wie sie über Personen und Ereignisse zu urteilen und zu denken haben. Da sie sehr kritisch sind, lassen sie sich nur von dem überzeugen, der sich laut und wortreich äußern kann. Sie beugen sich nur eindeutigen Beweisen, wenn einer glaubwürdig versichert, seine Meinung sei progressiv und stimme sowohl mit der Wissenschaft wie mit der Mehrheit überein. Gerüchten geben sie immer den Vorzug, weil sie wiederholt die Erfahrung machen, dass in Gerüchten, trotz feierlicher Schwüre und trotz hartnäckiger Dementis, doch immer ein Stück Wahrheit steckt.

      Auf Anstand legt man in Humania großen Wert, noch mehr auf Umgangsformen, die sich ein Herr von Knigge, der einen sehr gebrechlichen Eindruck auf mich machte, für andere ausgedacht hat, um ihnen die Schwierigkeiten zu ersparen, die er selbst im Umgang mit seinen Mitmenschen hatte. Er, der sehr darunter litt, dass die jungen Humanier sich einbildeten, im Umgang miteinander ohne seine Regeln auskommen zu können, erklärte mir mit großer Geduld, ohne sich seine Enttäuschung anmerken zu lassen, die in Humanien heute üblichen Gepflogenheiten, so dass ich sehr wohl weiß, wie ich mich zu verhalten habe.

      Aus den Begrüßungsformen, die sehr abwechslungsreich sind, kann man entnehmen, wie einer zu einem anderen steht. Es ist üblich, Fremde misstrauisch zu mustern, Kollegen - soweit wie möglich - zu ignorieren, Bekannten kühl und Freunden freundlich zuzunicken, Verwandte flüchtig zu umarmen, Erbtanten dagegen zärtlich zu behandeln und rührend zu umsorgen. Solange man noch nicht verheiratet ist, küsst man sich mehrmals nacheinander intensiv in U-Bahnen, Restaurants oder auf öffentlichen Plätzen, aber nur, wenn Leute in der Nähe sind und zusehen können. Vor Höherstehenden und jenen, auf die man angewiesen ist, verbiegt man sein Rückgrat bis zu neunzig Grad, allen andern aber tritt man kräftig auf die Zehen, bis es wirklich schmerzt. Kräftiges Händeschütteln wird als Warnsignal verstanden. Ein breites Lächeln bedeutet Genugtuung, dass man sich gegen jemand durchsetzen konnte. Zu denen, auf deren Bekanntschaft man keinerlei Wert legt, sagt man ein freundliches 'Angenehm’. Wer 'Hallo’ ruft, meint es wirklich ehrlich. Wer ‘guten Tag’ sagt, lenkt von einer ungewollten Begegnung ab, und wer mit 'Grüß Gott’ grüßt, macht damit deutlich, dass er höhere Interessen hat. Mit einem herzlichen 'Auf Wiedersehen' gibt man dem anderen zu verstehen, dass man sich wohl kaum ständig aus dem Weg gehen kann. Mit 'Tschau’ verabschiedet man sich immer, wenn das Zusammentreffen Zeitverschwendung war.

       Humanier

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