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Das Kreuz im Apfel. Sabrina Schmid
Читать онлайн.Название Das Kreuz im Apfel
Год выпуска 0
isbn 9783742762290
Автор произведения Sabrina Schmid
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Dem Herrn sei Dank!«, rief Johanna Sperl am Freitagabend aus, als Katharina durch die Tür trat. »Wo hast dich so lange herumgetrieben?« Die Bäuerin war von der Eckbank aufgesprungen, auf der sie mit Margarethe gesessen hatte. Die beiden Frauen waren alleine in der gut geheizten Stube. Die Kinder schliefen zu dieser Stunde bereits. »Der Pfarrer hat mir die Hölle heiß gemacht, als ich ihm gestehen musste, dass ich dir die Erlaubnis erteilt habe, Maria zu begleiten.« Johanna und Margarethe blickten Katharina in Erwartung einer altklugen Rechtfertigung an.
»Was ist mit dir, Kind? Ist dir nicht gut?», fragte die Bäuerin.
»Die Maria ist tot.«
Einige Sekunden sagte keine von ihnen etwas. Die Bäuerin fasste sich als Erste und forderte Katharina auf, sich hinzusetzen. Danach befahl sie Margarethe, ein Nachtmahl und ein Häferl warmer Milch herzurichten. Erst nachdem das Mädchen das dargereichte Essen hinuntergeschlungen hatte, drang die Bäuerin in sie.
»Meinen Besuch hat sie nicht mehr mitbekommen«, sagte Katharina leise.
»Ihre Dummheit mit dem Tod zu strafen, ist wahrhaftig ein harter Donnerschlag Gottes«, klagte die Bäuerin und bekreuzigte sich zum fünften Male.
»Mit Gott hat das nichts zu tun«, widersprach Katharina.
»Der Tod ist Gottes Wille«, wiederholte Johanna die vertrauten Worte des Pfarrers.
»Maria ist gestorben, weil sie in die erste Abteilung gebracht wurde.«
Normalerweise hätte die Bäuerin Katharina für solch eine blasphemische Äußerung gescholten, heute sah sie es dem Mädchen nach.
»Arme, dumme Maria. Gott hab sie selig«, betete Johanna zum Herrgottswinkel. »Wir werden Ersatz für sie brauchen.«
Katharina fixierte die glänzende Milchhaut.
»Du bist wohlbehalten zurück!«, stellte Pfarrer Lutner nach der Sonntagsmesse erleichtert fest. »Was machst du für Sachen, mein Kind? Genug, dich trifft nur die halbe Schuld. Ich habe der Sperlbäuerin die Leviten gelesen. Da ist das resolute Weib ganz klein geworden.« Der Pfarrer schmunzelte. »Komm, heute lesen wir aus dem Evangelium.« Mit diesen Worten schob er sie in das Pfarrhaus.
Katharina liebte das Lesen, allerdings nicht immer die zur Verfügung gestellte Lektüre. Sie hatte Schullehrer Bartsch gefragt, ob er nicht noch andere Bücher hätte als die wenig ansprechenden, die sich in der dürftig ausgestatteten Pfarrbibliothek befanden. Seine missbilligend gespitzten Lippen und die zusammengekniffenen Augen sagten alles. Sie solle nicht ständig an den Gegebenheiten herummäkeln. Dies sei, nach seiner Ansicht, wahrlich keine Tugend für ein weibliches Wesen. Der Lehrer erklärte, dass die Verordnung von 1828 vorschrieb, alle schädlichen, verderblichen, unpassenden und unzweckmäßigen Bücher aus den Schulen zu entfernen, was selbstverständlich ausnahmslos durch seine Hände geschehen war. Katharina gab klein bei. Sie wollte den Lehrer, der aufgehört hatte, sie zu schikanieren, nicht erneut gegen sich aufbringen. Zu deutlich standen ihr noch die ersten Schulmonate vor Augen.
»Die Sperlbauern wollen dich als Magd in Stellung nehmen«, offenbarte der Pfarrer nach der Lektüre. Johann Lutner hatte erwartet, dass sich das Mädchen über diese Möglichkeit ebenso freute. Sie hatte sich in den drei Jahren sehr gut eingelebt.
»Freust du dich nicht darüber?«
»Worüber soll ich mich freuen, Herr Pfarrer?«
»Eine Anstellung in Aussicht zu haben und ein Heim!«
»Es muss dem Herrn Pfarrer als sehr undankbar vorkommen, aber ich möchte nicht als Magd auf dem Hof bleiben. Ich mag die Bäuerin und den Bauern. Die Kinder habe ich natürlich liebgewonnen, aber ich möchte …«
»Was möchtest du denn, Kind?«, rief der Pfarrer aus. »Sehr viele Möglichkeiten bleiben dir nicht!«
»In Wien habe ich einen Mann kennengelernt, der studiert Medizin. Er wird Arzt. Das wäre etwas für mich«, erzählte Katharina mit kindlicher Begeisterung.
»Du kannst doch nicht studieren!«
»Dazu muss man wahrscheinlich viel Geld haben.«
Johann Lutner lachte hysterisch auf.
»Nicht nur das! Kind, nur ein Mann kann studieren.«
»Warum?«
Der Pfarrer war nur noch selten überrascht, wenn Katharina alles infrage stellte, aber dies übertraf alle ihre bisherigen Äußerungen.
»Weil der Mann dem Weib überlegen ist, besonders in geistigen Dingen.«
»Keiner der Burschen in der Klasse ist mir geistig überlegen. Wenn ich ehrlich bin, auch nicht der Bartsch.«
»Katharina, sogar du wirst dich an die natürliche Weltordnung halten müssen«, beharrte Pfarrer Lutner. »Überlege dir die Sache mit der Anstellung. Ein wenig Zeit bleibt noch.«
11
Juli 1842
»Mir wirst du jedenfalls fehlen«, gestand Johanna Sperl. Katharina war vierzehn geworden. Die Bauersfrau hatte ihrem Zögling einiges an Essen in den Beutel gepackt, welchen sie ihr in die Hand drückte. »Pass auf dich auf und bleib anständig.«
»Was so viel heißt wie: Halte deine Beine zusammen.« Die Bäuerin bedachte Margarethe mit einem strengen Blick. »Was? Ist doch wahr!«, rechtfertigte sich Margarethe und fuhr an Katharina gerichtet fort: »Willst du dir dein Leben nicht ganz verderben, dann halte dich daran.«
»Ihr werdet mir fehlen«, sagte Katharina leise, dabei streichelte sie jedem der Kinder liebevoll über den Kopf. Die kleine Johanna versuchte, sich an ihrem Rock hochzuziehen, als wollte sie ihr beweisen, dass die Mühe, ihr das Gehen trotz Rachitis beizubringen, nicht umsonst gewesen war. Anerkennend streichelte sie dem Kind über die vollen Wangen, als es auf seinen krummen Beinen vor ihr stand.
»Du könntest bleiben«, gab die Bäuerin zu denken.
Katharina hatte sich entschlossen. Sie würde die Gelegenheit nutzen, mit dem Pfarrer Richtung Wien fahren zu können. Er hatte eine wichtige Angelegenheit zu erledigen und ihr angeboten, sie mitzunehmen. Sie würde bis zum Linienwall mit ihm reisen und sich dann zu Fuß auf den Weg zum Spittelberg machen, wo sie auf Milas Hilfe baute.
»Bist du bereit?«, fragte der Pfarrer.
Der Wagen setzte sich langsam in Bewegung. Ihr fiel es nicht schwer, ihn zu mögen. Er hatte zum Schulabschluss ein Fest veranstaltet, auf dem er mit einem großen Papierdrachen erschienen war. Als dieser hoch oben in der Luft schwebte, drückte er Katharina die Schnur in die Hand und ließ sie Herrin über den Drachen sein. Die Leute konnten sich nicht satt sehen. Zur Abwechslung starrten sie mal nicht verstohlen auf seinen entstellten Rücken.
»Ich bin immer noch nicht überzeugt, ob deine Entscheidung richtig ist«, brachte er das Gespräch in Gang.
»Es wird alles gutgehen. Ich bin ja nicht ganz alleine.« Sie fixierte den Hintern des Pferdes, das vor den einfachen Wagen gespannt war.
»Fang mir nicht mit deiner guten, alten Freundin Mila an. Du weißt, dass ich von deiner Idee nichts halte«, schalt er sie. Katharina tat ihm den Gefallen und erwähnte die Frau seines Anstoßes lieber nicht mehr. Die restliche Fahrt schwiegen sie. Als sich Katharina verabschiedete, nahm der Pfarrer ihr noch das Versprechen ab, sich in Ottakring sehen zu lassen. Lange blickte der Geistliche dem Mädchen hinterher, bevor er mit einem Zungenschnalzen das Pferd in Bewegung setzte.
»Lange können wir sie nicht mittragen«, sagte Sepherl. »Auch wenn das Scheißerle wenig isst, wird sie irgendwann jemandem auffallen.« Sepherl verschränkte ihrerseits die Arme vor der Brust und schaute Mila ebenso herausfordernd an. »Ich wünsche mir für sie auch was Besseres, aber wie wahrscheinlich ist das?«
»Wir können versuchen, sie irgendwo als Dienstmädchen unterzubringen«,