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Rock wie Hose. Holger Hähle
Читать онлайн.Название Rock wie Hose
Год выпуска 0
isbn 9783738072525
Автор произведения Holger Hähle
Жанр Социология
Издательство Bookwire
Holger Hähle
Rock wie Hose
Auf der Suche nach dem Menschen hinter dem Geschlecht
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
01 Ein Karnevalsspaß mit Nachspiel
02 Aufschub für ein Versprechen
07 Das Rollenkorsett der Kindheit
08 Der Geschlechterwahn wird erwachsen
11 Wie viel Geschlecht braucht der Mensch?
Vorwort
Eigentlich sollte es eine der Fragen sein, die die Welt nur am Rande interessiert. Was ziehe ich an? Das ist doch nur mir wichtig für das ganz persönliche Wohlgefühl und vielleicht noch für meine Freundin. Tatsächlich sind aber Schüler schon von Schulen verwiesen worden und wurde Arbeitnehmern gekündigt, wenn sie mit den allgemeinen Bekleidungsgewohnheiten brachen. Dabei gibt es bei uns für Privatpersonen keine vorgeschriebene, geschlechtsspezifische Kleiderordnung. Wir sind frei in unserer Kleiderwahl. Für alle gilt Bekleidungsfreiheit. Warum nimmt dann die Öffentlichkeit Anteil daran, was wir anziehen?
Am Anfang war der Rock. Er hat über Jahrtausende unsere Modegeschichte bestimmt. In jeder alten Kultur wurde er getragen. Es hat ein paar tausend Jahre gebraucht, überhaupt die Hose zu erfinden. Bis dahin hatten die Männer kein Problem damit, ein Patriarchat im Rock zu etablieren. Trotzdem ist der Rock heute überwiegend weiblich und trennt die Geschlechter. Wie geht so etwas? Muss das so sein? Ist das ein Fortschritt? Feiern wir nicht gerade als moderne Menschen unsere Freiheit und Gleichheit? Hat sich das Verhältnis zwischen Frauen und Männern nicht auch deswegen verbessert, weil wir unsere Gemeinsamkeiten immer mehr entdecken? Wieso schränken wir uns dann durch die Bekleidung weiter ein?
Viele Dinge, und die Kleiderwahl gehört dazu, werden uns als weiblich oder männlich präsentiert, obwohl sie im intrinsischen Sinne nichts mit einer Geschlechtlichkeit zu tun haben. Ihr Status kommt durch sozio-kulturelle Vereinbarungen zustande. Sie repräsentieren das Empfinden der Bevölkerungsmehrheit einer Epoche. Im Laufe der Geschichte kann das Volksempfinden sehr variieren.
Solche Konventionen engen unsere Freiheit ein. Die Freiheitsberaubung geht dort besonders weit, wo ein enges Rollenverständnis von den Geschlechtern verlangt wird und Zuwiderhandlungen zu sozialer Ächtung führen. Da solche Regeln fast immer ohne Bezug zu biologischen Notwendigkeiten stehen, könnten wir sehr gut ohne diesen Ballast leben. Es wäre eine Befreiung von unnötiger Sexualisierung, vergleichbar dem Kampf der Frauen, Hosen tragen zu dürfen.
Heute kann man es kaum glauben, dafür ist es viel zu selbstverständlich geworden, aber die Forderung nach Frauenhosen musste gegen massiven Widerstand über Jahrzehnte langwierig erstritten werden. Heute tragen sogar katholische Ordensfrauen Hosen. Das hätte in den sechziger Jahren kein Priester geduldet.
Warum setzte sich im antiken Rom die Hose für Männer erst sehr spät und nach erheblichen Widerständen durch? Warum gilt eben nicht das Prinzip Jacke wie Hose oder in diesem Fall Rock wie Hose? Während des größten Teils unserer Kulturgeschichte haben Frauen und Männer gemeinsam Röcke und Kleider getragen. Warum sind sie heute zum Privileg der Frauen und teilweise zum Tabu für Männer geworden?
Auch logische Argumente zum Thema Rock für Frauen und Männer will man oft nicht hören, obwohl Röcke bei sommerlichem Wetter sehr bequem sein können. Durchgeschwitzte Hosen kleben an den Beinen. Das Gleiche habe ich im Rock nie erlebt. Eine öffentliche Diskussion hierüber gibt es entweder nicht oder sie schwenkt gleich emotional weiter, um leidenschaftlich festzustellen, dass Röcke, wider der tatsächlichen Historie, nur für Frauen gemacht sind. Der Rock zementiert heutzutage Geschlechtszugehörigkeit, die Hose auf den ersten Blick nicht mehr.
Heute dürfen Frauen Röcke und Hosen tragen, Männer aber nur noch bestimmte Hosen. Kritisch sind alle Hosen für Männer, die zu weit geschnitten sind, einen zu tiefen Schritt haben oder sehr bunt oder gar blumig gemustert sind. Die Hose ist nicht mehr ein Zeichen für Männlichkeit. Frauen fühlen sich in Jeans absolut weiblich. Männer, die glauben, dass umgekehrt das Gleiche für sie gilt, wenn sie z.B. den H&M-Rock aus der MenTrend Kollektion von 2010 tragen, irren. Sie fallen auf, werden behelligt und manchmal belästigt. In den Augen vieler Unwissender sind sie entweder schwul oder im falschen Geschlecht. Aber waren Roms Legionen, die ein Imperium in Kriegen brutal erschufen, ein Haufen berockter Schwuchteln?
Bekleidung ist immer kultureller Ausdruck von Zeitgeist. Sie ist das Werk gesellschaftlicher Regeln und Normen. Die sind extrem wandelbar. Es gibt keinen biologischen Zusammenhang zwischen Bekleidung und Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung, der wissenschaftlich belastbar ist. Jede Männerkleidung kann heute von Frauen getragen werden. Das hat die Frauen nicht verändert. Und auch meine freiere Auslegung der Geschlechterrollen hat mich weder als Familienvater noch in meiner Beziehung zu meiner Frau verändert. Ich ziehe lediglich an, was ich als bequem empfinde und meinem individuellen Geschmack entspricht. Was macht meine Kleiderwahl für die Gesellschaft so wichtig? Warum ist es für andere, die nicht mal meinen Namen kennen, so bedeutend, was ich anziehe? Wenn ich aus aktuellen Geschlechterrollen ausbreche, weil sie mich als Mensch und Individuum einschränken, kommt es zu irritierten Reaktionen und teilweise verrückten Unterstellungen, die mit wenig Wissen aber um so größerer Überzeugung vertreten werden.
Geschlechterrollen beruhen ganz überwiegend auf Konventionen, die sich im Laufe der Geschichte immer wieder verändert und zwischendurch auch schon mal ins Gegenteil verkehrt haben. Macht sie das nicht willkürlich? Warum folgen wir ihnen?
Als ich einen Rock anzog, weil ich meiner Schul klasse versprochen hatte, mich zum Karneval in der Schuluniform der Mädchen zu verkleiden, hatte ich Bauchschmerzen. Mein Bauchgefühl schrie geradezu: ‚Mach das bloß nicht.‘ Nur mit Mühe konnte sich mein Verstand durchsetzen. Ich hatte zugesagt und man hält doch sein Wort. Woher kam dies Bedürfnis, in vorauseilendem