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Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff
Читать онлайн.Название Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten
Год выпуска 0
isbn 9783742762917
Автор произведения Ernst Tegethoff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ernst Tegethoff
Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten
Eine eindrucksvolle Märchensammlung vom 12. bis zum 18. Jahrhundert (vom Mittelalter bis zum Ausgang des Rokoko)!
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Einleitung
Geschichte des französischen Märchens
Die Kultur des Abendlandes, welche heute rettungslos
und müde wie ein welker Greis zu Grabe sinkt, erinnert
sich gern ihrer Kindheitstage, die goldumstrahlt
wie die Gletscher bei Sonnenuntergang in das hereinbrechende
Dunkel herüberleuchten. Die Völker des
Abendlandes hatten eine wilde Knabenzeit: rauflustig
und grausam, wie Knaben einmal sind, traten sie auf
das Welttheater und erledigten mit ein paar Faustschlägen
die hohl und faul gewordene Antike. Der
Zweck des Lebens war der Heldensang vom lächelnd
ertragenen Tod, und jenseits des blutigen Walstattdunstes
leuchtete der Nachruhm. Diese wilden Burschen
hörten nicht gern auf die Märchen, welche als
Schöpfungen abendlicher Abspannung und Ruhe eine
gleichmäßige Heiterkeit, eine gewisse Müdigkeit der
Seele und eine unbestimmte Tatenlosigkeit voraussetzen.
Und dennoch kannten auch die alten Germanen
eine beträchtliche Anzahl jener Motive, die, aus den
Anschauungen und Gebräuchen der Urzeit geboren,
sich je nach der Art der Komposition und Bindung in
örtlicher und zeitlicher Hinsicht zu Mythus, Sage oder
Märchen zusammenschlossen. Ja, wir können aus den
geringen Resten altgermanischer Epik, die uns ein gütiges
Geschick erhalten hat, auf das Bestehen bereits
fertiger Märchen im germanischen Altertum schließen.
Es waren dies solche Märchen, die der Abenteuerlust
und dem Tatendrang der Zeit entgegenkamen,
wie das vom Bärensohn, der in die Unterwelt dringt
und dort eine Jungfrau von einem hütenden Drachen
befreit; weiterhin solche, die ihren Stoff aus dem Alltagsleben
dieser wilden Jahrhunderte nahmen: die von
herrschsüchtigen Frauen und treulosen Ratgebern erzählten,
wie jenes von der unschuldig verklagten und
gerichteten Königin, deren Unschuld sich dann doch
offenbart, von der Braut, die einer falschen weichen
mußte und dann doch wieder zu ihren Rechten
kommt, von der trotzigen Jungfrau, die dann doch bezwungen
wird. Die goldene Ferne lockte, und diese
wilden Knaben traten aus dem Nebel ihrer Urwälder
heraus, überschritten den Rhein und wandten sich zu
den rebenumsäumten Hügeln der Marne und Oise, das
Reich des Syagrius brach zusammen, und der germanische
Bauernkönig residierte in Soissons. Doch wurden
die Unterworfenen milde behandelt, und so kam
es, daß jede Neigung zu nationalen Gegensätzen im
Keime erstickt wurde. Frankreich wurde der Brennpunkt
dieser jungen Kultur. Hier kreuzten sich Einflüsse
der verschiedensten Art: die Sagen und Märchen
der Antike lebten in den Trümmern der Römer-
städte fort, die keltische Urbevölkerung bewahrte ihre
Erzählungsstoffe, welche, im ewigen Nebel der
Sümpfe und des Nordseegestades erwachsen, die gigantischen
und grotesken Formen eines Nebelbildes
zeigen und zugleich die leise Wehmut und dann wieder
die ausgelassene Lustigkeit des keltischen Stammes
mitbringen. Die noch heute in Frankreich fortlebenden
Geschichten von Midas, von Polyphem und
von Perseus und Andromeda, von den Sirenen und
vom Orkus weisen auf die Antike, während die keltische
Feenwelt weit über Frankreichs Grenzen hinausgedrungen
ist. Zu dieser Doppelheit kamen als dritter
Faktor die erobernden Franken, welche, als Träger der
neuen Kultur berufen, die Dämonen und die Sagen der
endlosen Wälder ihrer Heimat mit in das sonnige
Frankreich brachten. Diese drei Bestandteile mischten
sich zu jenem stark individuell ausgeprägten Gesamtbild,
das im mittelalterlichen Frankreich der literarischen
Kultur Europas ihre Eigenart verlieh. Auf neufränkischem
Boden entstand wahrscheinlich zur Völkerwanderungszeit