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Die Gabe des Erben der Zeit. Georg Steinweh
Читать онлайн.Название Die Gabe des Erben der Zeit
Год выпуска 0
isbn 9783847693000
Автор произведения Georg Steinweh
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der Tod des Vaters hatte Fred zur Rückkehr an diesen Ort gezwungen. Eine ungewollte Reise in die eigene Vergangenheit.
Aber Fred wird sich jeden Tag aufs Neue wundern. Die Rätsel, warum er ruhelos schlafwandelte, werden zu unglaublichen Entdeckungen und Aufgaben führen. Fred war auf dem Weg in eine Zeit, die jenseits seiner Vorstellungskraft lag. Und jeden Tag, den das Haus, besser sein Vater, wohldosiert Geheimnisse preisgab, tat er einen großen Schritt in eine ganz andere Vergangenheit.
Vier Häuser vor dem Ende der Sackgasse parkte ein roter Wagen.
Die Frau behielt die grünen Espandrilas an, die sie während der Autofahrt trug. Flach mussten sie sein, um den Widerstand des Bremspedals zu brechen, das sie ungern benutzte. Der 68-iger Mustang fuhr mit Automatic. Ersparte ihr immerhin zu kuppeln.
Fred bemerkte sie nicht. Er hörte nichts, registrierte nicht die Toncollage, die aus monotonem Wasserklatschen an seiner Hauswand, dem knarzigen Kieselsteinweg und den vereinzelt lachenden Möwen entstand.
Sie schlich sich nicht an, hatte keinen Grund, ihr Anliegen zu verbergen. Eine Objektvisite, ganz normal, so normal, sie hielt es nicht einmal für nötig, die zum Kostüm passenden Stilettos anzuziehen. Ihr grasgrüner Rock hatte genau die Länge, die ihre schlanken Beine gut zur Geltung brachte und doch mit einer Handbreit über dem Knie seriös genug war für einen Antrittsbesuch bei einem potentiellen Verkäufer. Gemeinsam mit der seidigen, senfgelben Bluse, die dezent ihre festen Brüste betonte, vermittelte Renie den Eindruck, den sie vermitteln wollte: zu diesem Ambiente zu passen, als gehörte sie seit ewigen Zeiten dazu.
Sie berührte den Griff der Gartentür. Da bemerkte sie den Mann, der am Steg saß. Ein schönes Bild irgendwie, dachte sie. Das Schilf, auf die Hilfe des Windes angewiesen, um dem Mann näher zu sein, um im nächsten Moment wieder fortgerissen zu werden. Die Wiese, deren Gras sich selbstbewusst gegen bestimmt ein Dutzend Blumensorten stellte, aufrecht und ohne Spuren, als hätte der Seesüchtige niemals einen Fuß auf diese Erde gesetzt, um seinen Weg zu gehen.
Minutenlang wartete sie so, aus einem unerfindlichen Grund nicht in der Lage, in diese Szene eindringen zu können. Diese andere Seite vom Zaun war anders. Als romantisches Klischee wollte sie es abkanzeln, ertappte sich aber dabei, wie ihr das Bild mehr und mehr gefiel. Dieser gewöhnliche private Kosmos eines Menschen, der ruhig und zeitlos verdammt weit weg von allen Turbulenzen des Alltags schien. Der Glückliche.
Mit ihrem Blick über den Zaun, ihrer Hand an der Tür war die Zeit irgendwie stehengeblieben. Es muss Minuten gedauert haben, bis sie eine Möwe im Tiefflug durch einen Flügelschlag zurück holte. Für den Bruchteil einer Sekunde deckte der Vogel die Sonne ab, der Schatten auf ihrem Gesicht veränderte die Wahrnehmung. Die Hand schmerzte. Sie hielt die ganze Zeit den Türgriff gedrückt, auf dem Sprung, den Moment der günstigsten Gelegenheit nicht zu verpassen.
Renie drehte sich weg, die Zuschauerin wurde wieder zur Strategin. Heute würde sie ihn nicht stören, wenn es denn für ihn überhaupt als eine Störung hätte empfunden werden dürfen, von ihr besucht zu werden. Irgendetwas sagte ihr, bei ihm müsse sie anders vorgehen als sonst. Und auf ihr Gespür konnte sie sich verlassen. Bloß, wie?
Minuten später blieb von dem Mustang nicht mehr, als ein paar Tropfen kondensierten Wassers aus dem Auspuff.
Und die Erinnerung eines Schattens.
Samstagabend
Gleichmäßig strömte der Fahrtwind über die Windschutzscheibe, verzettelte sich kurz in Freds Haaren und beruhigte sich hinter ihm wieder zu dem lauen Lüftchen, das sich nur gelangweilt hatte, bevor der Saab Unruhe stiftete. Gemächlich steuerte Fred sein Cabrio durch die Dörfer, wollte irgendwo einkehren. Einfach anhalten, wo es ihm gefiel. Er hatte Hunger. Es war Samstag und seine Lust zu kochen verschwunden. Geschmacklos renovierte Wirtshäuser versuchten ihn zu locken. Es trieb ihn weiter. Auch aus dem nächsten und ebenso aus dem übernächsten Dorf hinaus. Die Landschaft war zu schön, zu reizvoll. Wohltuend langgezogen fügten sich die Kurven in diese sanften Hügel, die in der Nähe Abwechslung erzeugten, aber doch bescheiden genug waren, die Versprechungen der Ferne nicht zu verdecken. Rechts lag der See, zumindest das Stückchen, das von der Höri aus zu sehen war. Ein schmales, silbriges Schwert, das die fernen Berge auf sichere Distanz hielt zu den Rundungen des Weide- und Obstlandes, deren zartes Grün jeden Blick weiter gleiten ließ, ohne ihn abrupt durch eine zu wuchtige Felskante stolpern zu lassen.
Eine Ansammlung stattlicher Bäume auf einem entfernten Hügel machte ihn neugierig. Störend im Gesamtbild, unverschämt selbstbewusst in den tiefblauen Samstagabendhimmel aufragend. Verbarg sich da vielleicht ein Gebäude? Einen Gedanken später hoffte Fred, es möge ein Gasthaus sein, das sich mit dieser exponierten Lage schmückte. Und dann auch noch Birken.
„Meine Lieblingsbäume“, verriet er dem zauselnden Wind, der nichts Besseres zu tun hatte, als das Geheimnis auf der zurückbleibenden Wiese für den zu erwartenden Morgentau zu verteilen.
Der Schotter der Auffahrt knirschte unter den Rädern. Wohlbehütet von vier riesigen Birkenstämmen fügte sich das Haus in den ihm zugewiesenen Platz. Der schöner nicht sein konnte. Schon der Parkplatz protzte mit einem Ausblick, der mancher Villa gut gestanden hätte. Und der Weg zur Terrasse, von deren Seite das Haus betreten werden wollte, ließ Fred staunen. Konnte der See innerhalb weniger Minuten sein Gesicht so verändern? Arg kitschig meinte es die Sonne, kratzte mutig ein loses Band schmaler Wolken, durchdrang mit starken Fingern die Fugen und warf ein enorm großzügiges Muster des Himmels auf die endlose Landschaft. Er hörte die Stille. Und seinen Magen.
GASTHAUS FERNBLICK
versprachen die dicken, roten Lettern über dem Eingang.
Wie sinnig.
Lebkuchenbuchstaben fielen ihm ein. Und Hexenhäuschen. Von einigen Buchstaben blätterte die Farbe, als wären sie unaufmerksame Minuten zu lange im Backofen geblieben.
„Hoffentlich sieht die Küche nicht genauso aus“, vertraute er seinem Schatten an.
Mit einem flüchtigen „Grüß Gott!“ hieß ihn die Frau hinterm Tresen willkommen, ohne von ihrem Weizenbierglas aufzuschauen, welches sie akribisch polierte. Fred stand zwischen Tür und Angel, er war nicht sicher, ob er sich einfach irgendwohin setzen oder besser fragen sollte.
Links neben der Tür beanspruchte der Schanktresen ein gehöriges Stück Raum. Ein Quader aus rotbraunem Holz mit einem Flachdach aus gebürstetem Blech und eingelassenem Spülbecken. Sofort spürte er die beruhigende Atmosphäre, die dieses wuchtige Möbel ausströmte.
Sicher einiges älter als ich.
Tische und Stühle waren aus dem gleichen Holz, auf den Tischen zu kleine, spitzengesäumte Decken. Ein Eindruck anständiger Bescheidenheit. Dann fielen ihm die Säulen auf.
Ungewöhnlich. Passen eher in eine Fabrikhalle.
Auf den verschnörkelten Gusseisensäulen ruhten dicke Balken. Der Raum erhielt dadurch eine angedeutete Gliederung in offene Parzellen.
Wahrscheinlich haben sie die Wände rausgerissen, damit´s größer wirkt.
Eine Menge kleiner Fenster in den zwei Eckwänden verstärkte den gemütlichen Eindruck und gaben Freds Beobachtungen Recht. Eine breite Doppeltür zur Terrasse, schmale, unnötige Vorhänge, weißer Kalkputz.
Neugierig ging er ein paar Schritte auf den Wandschmuck zu. Ein Sammelsurium von Fotografien, aufgehängt wie eine Ahnengalerie, die meisten offensichtlich aus dem gleichen Jahrzehnt. Unterwasseraufnahmen von Fischen in tollem Licht, daneben Schiffswracks, grafisch gut aufgebaute Bilder, Silhouetten von gegen den überbelichteten Himmel fotografierten Fischerbooten. Alles aus der Taucherperspektive. Ein eigenartiger Ort dafür.
Das sieht nach mehr als einem