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Schließlich war schon die Buchung ein völlig spontaner Entschluss gewesen, wenn auch aus etwas unerfreulicheren Gründen.

      Kanada, nordöstliches Ontario 28. April

      Die Vegetation um ihn herum wurde, so kam es ihm zumindest vor, mit jedem Höhenmeter, den er zurücklegte spärlicher und karger. Verschwunden waren die wunderschönen hohen Tannen und Kiefern, die sich im Wind über ihm gebogen hatten, und wurden ersetzt durch Holunderbüsche und Rispengraß. Vereinzelt tauchten auch immer mehr Flechten und Moosgewächse auf. Bald würde aber auch diese Form der Vegetation verschwunden sein und nur noch Geröll und nackter Fels würden das Bild bestimmen. Diese Ödnis war nichts für ihn, außerdem zog und pfiff der Wind hier oben immer so unangenehm. Nichts, was Schutz und Unterstand gegen die Kapriolen der Natur bot. Ein Ödland beinahe wie auf der Mondoberfläche. Er sehnte sich schon jetzt nach den ersten Knospen und ersten hohen Bäumen auf der anderen Seite des Grates, auf den er zusteuerte. Er hielt an und sah nach oben. Wie weit mochte es noch sein bis zur höchsten Stelle des Kamms? 100 oder 200 Meter und dann noch einmal genauso viele auf der anderen Seite wieder nach unten, bis man wieder im grünen Teppich untertauchen und verschwinden konnte.

      Nicht genug, dass es hier Bären und Wölfe gab. Aber auf diesen nackten Hangflanken kam man sich immer noch einmal verwundbarer und angreifbarer vor, auch wenn wahrscheinlich das Gegenteil der Fall war. Hier sah man die Angreifer wenigstens kommen.

      Plötzlich blieb er stehen. Was war das für ein Geräusch gewesen? Er lauschte angestrengt. Er hatte eindeutig etwas gehört. Kurze Zeit passierte nichts. Er stand regungslos da. Um ihn herum zirpten vereinzelt einige Zikaden. Ja da war das Geräusch wieder. Er lauschte weiter und dieses Mal verschwanden die Laute so wie gerade eben nicht mehr. Im Gegenteil. Das Geräusch schien sogar lauter zu werden. Es klang dumpf, dröhnend und ein wenig summend. Beinahe wie eine Art monströse Biene. Paul versuchte die Quelle des Geräuschs zu lokalisieren. War er schon näher an Askoton, als er dachte. Vielleicht war es das Geräusch eines Automotors. Er überlegte kurz. Oder eher das Geräusch eines Flugzeugs? Es war schwer zu sagen. Auf jeden Fall klang es nach einem starken Triebwerk. Das dumpfe Röhren sprach eindeutig für einen kraftvollen Antrieb. Wenn er sich nicht täuschte, so schien der Lärm von der anderen Seite des Grates zu kommen. Vielleicht verlief dort im Tal so etwas wie eine Forststraße oder dergleichen.

      Allerdings begann das Geräusch bereits wieder schwächer zu werden. Er setzte sich wieder in Bewegung und nach einer Minute waren die Laute schon nicht mehr zu hören.

      Er überlegte. Wenn er sich wirklich getäuscht hatte und er schon näher an Askoton war als gedacht, dann hätte er sich 2 Tage Weg eingespart. 2 Tage zusätzlich Zeit, das war nicht schlecht. Er konnte auf dem Rückweg noch einen Tag in Calgary halt machen und sich die Stadt ansehen, wenn er Lust dazu hatte.

      Aber dazu musste seine Vermutung erst einmal stimmen. Eigentlich unwahrscheinlich, denn wo hätte er sich verlaufen haben können? Er war immer streng der Route auf seiner Karte verfolgt. Oder war die am Ende fehlerhaft? Es würde sich bald herausstellen.

      Er ging weiter. Am späten Vormittag hatte er den Grat überwunden und befand sich bereits in dichter Vegetation auf der gegenüberliegenden Hangflanke als das Geräusch vom Morgen ihn erneut anhalten ließ.

      Diesmal klang das Brummen lauter und eindeutig näher. Er hatte sich also nicht getäuscht. Auf seine Ohren war offenbar Verlass.

      Das Brummen schien nun mehr von rechts zu kommen und er starrte angestrengt in die Richtung. Wenn doch bloß die Kiefern ihm nicht die Sicht versperren würden. Eindeutig Ironie des Schicksals. Er schnaubte. Auf dem nackten Fels 400 Meter weiter hangaufwärts hätte er einen Blick wie aus einem Adlerhorst gehabt. Er kniff die Augen zusammen und tatsächlich erblickte er plötzlich durch einen Spalt im Nadelwerk eindeutig die aufgewirbelte Staubfahne eines Fahrzeugs auf der anderen Seite des Tals. Dort musste sich wirklich eine Art Forststraße befinden. Oder ein Zubringer nach Askoton, möglicherweise kaum mehr als eine Schotterpiste, aber immerhin. Womöglich eine schmale Straße zu irgendwelchen Jagdhütten oder Ferienhäusern. Erste Zeichen der Zivilisation, welch ein merkwürdiges Gefühl nach beinahe 2 Wochen totaler Isolation. Er fühlte sich fast ein wenig unbehaglich.

      Die Natur, beinahe totale Einsamkeit und jetzt diese polternde laute Maschine, die die Stille mit der Intensität eines Vorschlaghammers durchbrach. Das Zwitschern der Vögel und das Plätschern von Bächen gegen die geballte Power eines großen, PS-starken Motors. Da konnte es leider nur einen Sieger geben.

      Langsam setzte er sich wieder in Bewegung, während das Brummen im Tal allmählich abebbte. Er verlor die Staubfahne aus dem Blick, aber sie hatte sich sowieso bereits fast komplett wieder aufgelöst. Ruhe kehrte zurück wie ein Mantel, der über das Tal gebreitet wurde und nach kurze Zeit war es so als hätte nie etwas dieses malerische Bergparadies in seiner Ruhe gestört. Paul kam ein Gedanke.

      Wenn er sich wirklich bereits in der Nähe von Askoton befand, dann funktionierte womöglich auch sein Handy schon wieder.

      Vielleicht waren die Sendeantennen in der Gegend so stark, dass das Signal von seinem Gerät aufgefangen werden konnte. Verflucht, er hätte es bereits auf dem Grat vor einer halben Stunde probieren sollen. Vielleicht blockierten nun die Bäume und die umliegenden Berggipfel das Signal. Aber einen Versuch war es allemal wert. Er zog das Handy aus der Hosentasche und schaltete es ein, das erste Mal seit 10 Tagen, und wartete.

      Kein Empfang. Er wollte das Gerät bereits wieder ausschalten als sich kurz ein Balken der Sendestärke aufbaute. Für eine Sekunde kam der Empfang fast zustande, aber dann ging die Signalstärke wieder zurück. Paul schaltete das Handy aus. Selbst Schuld du Idiot. Er hätte es wirklich auf dem Kamm versuchen sollen. Dort hätte es klappen können.

      Kanarische Inseln, einen Monat später

      „Ist alles zu ihrer Zufriedenheit oder möchten sie noch etwas?“, erklang die wohltemperierte Stimme des Kellners neben ihr. Was musste sie nur für ein Bild abgeben? Sie hockte in einer wahren Wagenburg aus Frühstücksleckereien. Vor ihr ein Teller mit Toast und Ei, darum herum einige Früchte, ein Frühstücksdonut, daneben noch zwei andere Gebäckstücke, zweit Tassen mit Kaffee und Tee und zwei Körbe mit Brötchen und Marmeladentüten. Sie verschluckte sich beinahe bei der Antwort.

      „Nein, vielen Dank, ich habe alles“. Der Kellner musste lächeln und entfernte sich. Ob er sich über sie amüsierte? Wahrscheinlich schon. Alle anderen Gäste des Hotels hatten schließlich bereits gegessen und der Speisesaal war bis auf sie und die Angestellten vollkommen leer.

      Sie stopfte sich einen Bissen des Donuts in den Mund und kaute genüsslich darauf herum, während sie ihren Blick noch einmal über die Essensteller schweifen ließ, die auf dem gesamten Tisch verteilt waren. Eigentlich war es ja ein Tisch für zwei Personen, aber sie aß ja auch für zwei. Außerdem hätte auf dem Tisch kein einziger Teller mehr Platz gehabt. Früher, als sie und Jerry noch zusammen gewesen waren, waren sie stets als eine der ersten am Frühstücksbuffet gestanden. Jerry war ein echter Frühaufsteher. Leider auch darin, ihr Lügengeschichten zu erzählen und deshalb war ihre Beziehung auch von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Sie hatte es lange Zeit nur nicht wahrhaben wollen und auch die ersten einsamen Urlaubstage waren mehr als schwierig gewesen. Sie hatten früher immer alles gemeinsam unternommen, waren gemeinsam zum Strand gegangen, zum Essen und abends an der Strandpromenade entlang und hatten den Straßenkünstlern bei ihrem Programm zugesehen. Es war nicht einfach gewesen, sich daran zu gewöhnen alles allein zu tun, aber mittlerweile fiel es ihr leichter. Hin und wieder konnte sie es sogar genießen.

      Sie biss ein weiteres großes Stück von dem Donut ab und spülte ihn mit einem Schluck Kaffee herunter. Ob sie sich aus diesem Grund unbewusst immer an Zweiertische setzte? Aber was sollte sie auch sonst tun? Einzelttische gab es schließlich weder in Restaurants noch in Hotels.

      Sie sah nach draußen zur Poollandschaft. Der Speisesaal befand sich im Erdgeschoss des Hotels. Gerade lief ein Mann im weißen Anzug vor den Glastüren vorbei und

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