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musste.

      Der Gedanke, dass dies mein letzter Flug sein würde, tröstete mich ein wenig. Nach einiger Zeit hatte der Pilot sein Gefährt auch wieder besser im Griff und ich klebte die Tüte zu und stellte sie auf den Boden. Glücklicherweise hatte ich eine Flasche Wasser gekauft, die die barbadischen Sicherheitsbeamten nicht konfisziert hatten. Es schmeckte merkwürdig süß, aber das hatte wohl eher mit dem schlechten Geschmack in meinem Mund zu tun.

      Rana sah mich mitleidig an und bot mir einen Zwieback an.

      „Das ist ein Grund, mich sofort in dich zu verlieben!“ dachte ich, sagte es aber nicht. Stattdessen fragte ich nur: „Was ist denn sonst noch in deiner Tasche, Mary Poppins?“

      Sie lächelte: „Notfallration, falls wir irgendwo bruchlanden müssen, ein aufblasbares Boot, Ein-Mann-Zelt, Regencape, Stricke, Harpune, Schokolade, ein paar Bücher, Walkie-Talkies, alles was man halt so braucht.“

      „Gut, dann weiß ich ja, an wen ich mich halten muss. In welchem Hotel wohnst du eigentlich? Oder kennst du jemanden auf Copa Caba?“

      „Nein, ich kenne niemanden da. Es gibt da so ein Hotel, das heißt das Verlorene Paradies. Und du, wo wohnst du?“

      Ich war wie erstarrt. „Meinst du The Lost Paradise? Wieso das denn?”

      “Willst du da auch hin? Wieso denn du? Du machst doch einen ganz fröhlichen Eindruck?“

      „Ja, täusch dich da nicht! Aber du, jemanden wie dich hätte ich da jetzt nicht erwartet.“

      Wir schienen uns beide gegenseitig geschockt zu haben und saßen still da. Ich dachte daran, dass ich irgendwo gelesen hatte, dass Menschen, die einen Suizid planen, durch den eigentlichen Plan zu neuer Gelassenheit und Ruhe finden, so dass die Umstehenden denken, jetzt ist die schlimme Phase vorbei, es geht wieder aufwärts. Und dann Wumm, und das war’s.

      Aber warum sollte Rana sich umbringen wollen? Litt sie vielleicht an einer unheilbaren Krankheit? Oder war sie manisch-depressiv und ich erlebte sie gerade in der manischen Phase? Und was dachte sie jetzt über mich? Ich hatte mich bemüht, einen coolen Eindruck zu machen, der war ja jetzt wohl weg.

      Bis zur Landung sagten wir nichts mehr, was aber auch damit zu tun hatte, dass ich jetzt auch noch ihre Kotztüte in Anspruch nehmen musste. Als das Flugzeug endlich gelandet und ausgerollt war, goss ich mir das restliche Wasser aus meiner Flasche über den Kopf. Das war erfrischend. Als die Flugzeugtür aufging, kam wundervolle, frische, kräftige Abendluft herein, die nach tropischen Verlockungen roch.

      Rana neben mir strahlte, und ich tat es wahrscheinlich auch, so dass ich mich sehr wunderte, als jemand auf dem Rollfeld mit einem Schild, auf dem „The Lost Paradise“ stand, direkt auf uns zukam. Wir sahen doch unmöglich wie Selbstmörder aus? Zwei weitere Passagiere, US-Amerikaner, schlossen sich uns an und wir stiegen gemeinsam in den wartenden Jeep. Der Fahrer hieß uns in portugiesisch gefärbtem Englisch herzlich willkommen, verstaute noch unsere Koffer hinter der Ladeklappe, stieg ein, und brauste los.

      Das Rollfeld ging in eine Straße über, die um das kleine Flughafengebäude herumführte, und bog dann schon sehr bald in einen Wald ab. Oder vielleicht war das einfach die übliche Vegetation auf der Insel: links und rechts standen exotische Bäume, aus denen uns der karibische Abend grüßte. Der Jeep war rundherum offen, und so war es auch egal, dass ich der einzige war, der keinen Fensterplatz erwischt hatte. Keiner im Wagen sprach, wir genossen alle den Fahrtwind, in dem sich schwüle, tropische Luft mit frischem Meeraroma vermischte. Zu hören war außer dem Motorengeräusch nichts, aber ich bildete mir ein, Affengekreische aus dem Wald zu hören, das hätte gut gepasst. Ich schaute verstohlen zu Rana rüber, die links neben mir saß. Sie hatte ihre Reisetasche zwischen die Knie geklemmt, hielt sich mit den Händen am Jeeprahmen fest und strahlte. Ihre kurzen, schwarzen Haare bogen sich im Wind, meine, die etwas länger waren, flatterten. Wenn uns ein Wagen entgegenkam, grüßte der Fahrer, wahrscheinlich kannte hier jeder jeden. Rechts neben mir und vorne im Beifahrersitz saßen die zwei US-Amerikaner, beide Ende 30, schätzungsweise, leger, aber teuer angezogen. Entgegen dem Klischee, was man so von Amerikanern hat, schienen sie nicht sehr gesprächig. Aber es waren ja auch lebensmüde Amerikaner, so gesehen machte es ja Sinn. Obwohl, jetzt schien der, der vorne saß, aufzutauen. Er fragte den Fahrer, ob wir noch an irgendeinem Geschäft vorbeikommen würden, ehe wir in der Klinik (er sagte wirklich „clinic“) ankommen würden. Nein, war die Antwort, nur eine kleine Strandbar. Oh, jetzt wachte auch der Ami rechts neben mir auf. Da könnte man doch noch schnell anhalten, oder? „Would you mind?“ wandte er sich jetzt an uns. Eine Strandbar, das hörte sich doch toll an, warum sollte ich was dagegen haben. Aber leider hatte der Fahrer was dagegen. Sorry, das dürfe er nicht. Sein Auftrag sei, direkt zum Hotel zu fahren. Aber das liege ja auch am Meer, und wir wären auch bald da. Die Amis verfielen wieder in ihre stumme Traurigkeit und zehn Minuten später kamen wir auch wirklich an. Von der Straße bog ein kleiner Weg ab, der laut Wegweiser zum Verlorenen Paradies führte.

      Kapitel 9

      Nach einigen hundert Metern erreichten wir ein großes Tor, das sich von selbst öffnete und sich hinter dem Wagen gleich wieder schloss. Und plötzlich sahen wir das Meer vor uns. Was für ein Anblick! Blauer Himmel, türkisblaues Wasser, weißer Strand, besprenkelt mit bunten, vereinzelten Sonnenschutz-Segeln. Daneben ein irisch-grüner Rasen mit exotischen Gewächsen umrandet, und dahinter ein riesiges, weißes Haus, das ein bisschen so aussah wie Hemingways Villa in Key West, nur sehr viel größer. Oh Mann, hier ließ es sich aushalten! Komischerweise machte dies alles keinen Eindruck auf unsere Mitreisende, sie sprangen aus dem Jeep, kaum dass er zum Stehen kam, und liefen ins Haus. Ja gut, für den Preis konnte man schon erwarten, dass einem das Gepäck ins Haus getragen wurde, aber ich sah die Gelegenheit, als Deutscher einen guten Eindruck machen zu können, indem ich in aller Bescheidenheit meinen Koffer selbst in die Hand nahm. Doch leider kriegte ich die Ladeklappe nicht auf, und da Rana auch schon auf dem Weg ins Innere des Hauses war, folgte ich ihr schließlich. Der Fahrer grinste mich freundlich an. Ich ging mal davon aus, dass das keine spöttische, sondern eine anerkennende Botschaft sein sollte. Schon kam uns ein Angestellter des Hotels entgegen und sprach uns auf Deutsch an. Das war wahrscheinlich der Mann, mit dem ich am Telefon gesprochen hatte. Ich war etwas erstaunt, dass er schwarz war, denn normalerweise erwartet man ja nicht, dass die Menschen in anderen Ländern deutsch sprechen, besonders wenn sie durch ihre Hautfarbe schon von weitem als Menschen aus anderen Ländern erkennbar sind, aber dann wurde mir klar, dass das jetzt ein doofes Vorurteil war, denn warum sollten weißhäutige Menschen aus anderen Ländern da einen Vorsprung haben? Also bemühte ich mich, so zu tun, als sei es das normalste von der Welt, dass wir hier auf Copa Caba auf Deutsch empfangen wurden und bestätigte brav, dass wir eine gute Reise gehabt hatten. Dankenswerterweise führte uns der deutsch-sprechende Einheimische, oder vielleicht war er gar kein Einheimischer, vielleicht war er ja Deutscher, das könnte ja auch sein, oder? nicht zur Hotelrezeption, wo wir hätten stehen müssen, sondern zu einer Sitzgruppe, die aus riesigen, sehr bequem aussehenden Korbstühlen mit weißen Kissen bestand.

      „Willkommen. Ich heiße Henry und werde Ihr Ansprechpartner sein. Darf ich davon ausgehen, dass sie auch Englisch sprechen?“

      Rana und ich nickten beide.

      „Gut, dann werden Sie hier sehr gut zurecht kommen. Aber natürlich haben wir auch einen deutsch-sprachigen Arzt, Dr. Rosenblatt. Er ist Amerikaner, spricht aber fließend Deutsch. Er hätte jetzt gleich Zeit für Sie. Aber vielleicht wollen Sie sich erst einmal frisch machen? Heute gibt es Essen um 19:00 Uhr, Sie haben also noch etwas Zeit. Darf ich Herrn Rosenblatt melden, dass Sie gegen 18:00 (hier schaute er Rana an), und 18:30 (er sah mich an) bei ihm vorbeischauen werden? Sein Sprechzimmer liegt hier am Ende des Ganges (er zeigte nach links, wo hinter der Rezeption ein Gang abging) im Zimmer 110.“

      Rena und ich nickten wieder.

      „Schön. Kommen Sie doch vorher noch zu mir und hinterlegen Ihre Kreditkarte, damit wir gleich die ersten Wochen abbuchen können. Wenn Sie keine Fragen mehr haben, dann bringe ich Sie jetzt auf Ihre Zimmer?“

      Rana und ich nickten wieder. Ich fühlte eine gewisse Genugtuung, dass Rana

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