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Club Suizid. Jo Thun
Читать онлайн.Название Club Suizid
Год выпуска 0
isbn 9783847653882
Автор произведения Jo Thun
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wahrscheinlich wollte der gute Herr Moosbacher wieder eine Gehaltserhöhung. Nee, am besten, ich tat so, als hätte ich die Nachricht gar nicht bekommen. Ob er ein Geschenk für mich hatte? Letztes Jahr hatte er mir ein sehr nett verpacktes Buch geschenkt. Irgendwas über Trends des globalen Wirtschaftsmarkts. Aber nachdem ich mein BWL-Studium im dritten Semester an den Nagel gehängt hatte, interessierte mich sowas nicht mehr. Trotzdem: ein Geschenk wäre nicht schlecht. Schließlich war ja mein Geburtstag, und ich hätte schon gerne irgendetwas ausgepackt. Vielleicht war ja etwas in der Post gekommen?
Da es schon halb 11 war (ich war heute anlässlich des besonderen Tages mal etwas früher aufgestanden), war der Postbote sicher schon da gewesen. Ich zog meinen Morgenmantel über und ging raus in den Garten. Es nieselte, ging auf die 0 Grad zu und das Laub hätte mal wieder gerecht werden müssen. Bis ich beim Briefkasten ankam, waren meine Schlappen pitschnass. Dafür hatte ich dann wirklich drei Briefe im Kasten. Einer davon sah aus wie eine Geburtstagskarte, einer war eine Rechnung, und der dritte war bestimmt Werbung. Gut, mit der Ausbeute konnte ich leben. Ich schlurfte zurück ins warme Haus, schmiss die nassen Schlappen in die Ecke, ließ die Rechnung auf das kleine Tischchen im Flur fallen, lief die Treppe zum Schlafzimmer hoch und kroch unter die Bettdecke. Die Karte hatte keinen Absender. Sah aber privat aus. Ich riss das Kuvert auf und holte den Inhalt raus. Es war tatsächlich ein Geburtstagsgruß – von meinem Steuerberater. Na ja, das war auch das mindeste, wenn man bedenkt, was ich dem jedes Jahr zahlen musste. Immerhin war der Gruß handschriftlich unterschrieben. Gut, ich würde das als persönlichen Glückwunsch werten. Blieb noch die Werbung. Der Umschlag sah ein bisschen wie eine Todesanzeige aus, nur dass der Rand rosa statt schwarz war.
Ich faltete den Prospekt auseinander und las:
Lassen Sie es ein letztes Mal richtig krachen! The Lost Paradise, ein Hotel der Luxusklasse, bietet lebensmüden Menschen, die keine Hoffnung mehr sehen, die Möglichkeit, ihrem Lebensabend mit Würde einen passenden Abschluss zu setzen. Genießen Sie Tage voller Luxus und Lebensfreude. Gesellen Sie sich unter Gleichgesinnte. Wenn die Zeit gekommen ist, wird ein Arzt und Psychologe Sie auf den letzten Schritten Ihres Weges begleiten. Sie gehen ohne Schmerzen und Sorgen.
Unser Hotel finden Sie auf Copa Caba, einer kleinen Insel zwischen St. Lucia und Barbados in der Karibik. Wir sind ein 5-Sterne +++ Hotel mit angeschlossener Klinik. Von Ihrem Hotelzimmer sind es nur wenige Meter zum hauseigenen Strand. Unser Restaurantchef muss keinen Vergleich mit den besten Sternenköchen der Welt fürchten. Wir verfügen über eine Saunalandschaft, einen 1000 qm großen Wellness und Fitnessbereich und natürlich auch das entsprechende medizinische Personal. Selbstverständlich haben wir auch Zimmer, die behindertengerecht ausgestattet sind. Kontaktieren Sie uns für ein Angebot, das Ihren besonderen Bedürfnissen angepasst wird.
Das konnte doch wirklich kein Zufall sein!
Kapitel 2
Aber je länger ich die Broschüre hin und her drehte, umso komischer kam mir die Werbung vor. War das legal? Ich schaute mir die Fotos an und las das Kleingedruckte. Auf den ersten Blick hatte man den Eindruck, es gehe hier um einen Luxusurlaub in der Karibik. Auf den Fotos war viel türkisblaues Wasser, Hotelzimmer mit allem Komfort, lächelnde Bedienstete und leckere Speisen zu sehen. Das Restaurant hatte mindestens 12 Tische, das heißt, das Hotel war auf jeden Fall auf 48 Leute eingestellt. Oder war das falsch gerechnet? Vielleicht pflegten Lebensmüde alleine zu dinieren, dann hätten nur 12 Gäste gleichzeitig reingepasst. Die eigentliche Frage war aber doch: Wie würden die Gäste denn am Ende das Zeitliche segnen? Wurde jeden Abend eine Giftampulle im Dessert versteckt, und der glückliche Gewinner sackte sanft vom Stuhl? Gab es ein Erschießungskommando, das die Leute von der Strandpromenade mähte? Oder verabschiedete man sich am letzten Abend höflich von seinen Mitgästen und verschwand im Schlafzimmer, wo der Arzt mit einer Spritze auf einen wartete?
Nein, die allereigentlichste Frage war doch: Wie kam dieses Hotel dazu, ausgerechnet mir ihre Werbung zu schicken? An meinem 33. Geburtstag noch dazu? Da begriff ich endlich: Das Ganze war ein Scherz. Etwas makaber, aber dafür originell. Nur, wer meiner Freunde, meiner nicht ganz echten Freunde, würde so etwas tun? Moni, nein, die hatte genug mit ihrer Brut zu tun. Fredi? Der hatte das Studium noch vor mir geschmissen, nachdem er für eine drei-seitige Seminararbeit mehr als acht Monate gebraucht hatte - der hätte das nie im Leben hingekriegt. Herr Moosbacher? Lachhaft! Meine Cousine Alberta? Yunus, der Wirt meiner Lieblingskneipe? Tante Agnes?
Mir fiel beim besten Willen niemand ein, der einen solch schwarzen Humor haben könnte. Wie immer, wenn ich nicht weiter wusste, befragte ich mein Handy. Es lag griffbereit auf dem Nachttisch. „Was ist The Lost Paradise?“ fragte ich. Mein Handy antwortete: „Möchtest du, dass ich im Internet nach „verlost Heri Deiss“ suche? Ich antwortete: „Ja.“ Mein Handy antwortete: „Das dachte ich mir.“ Und dann passierte nichts mehr. Leider verstehen mein Handy und ich uns nicht immer. Ich tippte schließlich die Webseite, die in der Broschüre genannt wurde, selbst ein und verfolgte mit Erstaunen, wie sich tatsächlich eine Seite öffnete, die garantiert von keinem meiner Bekannten ins Leben gerufen worden war, nur um mir einen Streich zu spielen.
Unter einem kitschigen Foto vom Strand bei purpurrotem Sonnenuntergang stand in blauer Schrift: „Genießen Sie jeden Moment, es könnte Ihr letzter sein!” Mannomann, da hatte jemand wirklich einen sonderbaren Humor. Aber, wenn es dieses Hotel wirklich gab, wieso schickten sie dann ausgerechnet mir ihre Werbung?
Ich lehnte mich zurück in mein Kissen und schloss die Augen. Das sollte einer verstehen! Ich war nicht so dumm zu glauben, dass Menschen, die sich den absoluten Luxus leisten konnten, keinen Grund hatten, sterben zu wollen. Im Gegenteil, das verstand ich sogar am allerbesten: Mit Geld alleine zu sein ist noch viel einsamer als ohne Kohle dazustehen. Aber wenn ich wirklich würde sterben wollen, würde ich das dann auf diese Weise tun wollen? Warum eigentlich nicht? Für jemanden wie mich, ohne Ziel und Courage, wäre das wahrscheinlich der einzige Weg. Aber man konnte doch nicht einen jungen (jawohl: statistisch bewiesenermaßen jungen), gesunden Mann dazu einladen, sich töten zu lassen, auch wenn er das dafür nötige Geld auf der Bank liegen hatte. Dass das nicht ethisch war, erkannte ja selbst ich.
Plötzlich fiel es mir wieder ein: Ich war letzten Monat beim Arzt gewesen und hatte völlig vergessen, mir das Ergebnis vom Bluttest abzuholen. Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass sie mich anrufen würden, wenn da was gewesen wäre. Aber was, wenn nicht? Vielleicht hatte ich ja unheilbaren Blutkrebs? Und die Klinik in Copa Caba hackte sich aus ihrem legal nicht angreifbaren Karibikstaat in die deutschen Praxen ein und kopierte da die Adressen der Todeskandidaten runter? Das wäre doch immerhin möglich.
Ich schaute auf meine Uhr: fünf Minuten nach 12. Um 12 machte die Praxis Mittagspause. Zu spät! Der Schweiß brach aus und die Achselhöhlen begannen zu tropfen. Mit zittrigen Fingern tippte ich die Nummer des Arztes ein und landete in der Warteschleife. Als Sting sich gerade zum dritten Mal aufmachte, durch goldene Felder zu stapfen, nahm die leicht genervte Sprechstundenhilfe ab. Natürlich wäre ich informiert worden, wenn es da etwas gegeben hätte. Ja, sie könnte gerne heute Nachmittag mal nachschauen, nur um sicher zu gehen. Jetzt gleich? Musste das denn sein? Wie war nochmal der Name? Ach so, ja, einen Moment mal, sie guckt mal schnell nach. Ja, hier ist es schon, alles in Ordnung, das Ergebnis war durchweg negativ, nur leicht erhöhte Cholesterinwerte. Und, ach hier ist ja was – ihr Ton wurde auf einmal ganz warm und mitfühlend, und mein Herz blieb stehen. Also doch, ich hatte es gewusst! Nach einer ewig langen Pause sprach die Sprechstundenhilfe wieder. Heute sei ja mein Geburtstag, na da gratuliere sie aber ganz herzlich!
Jetzt musste ich aber wirklich duschen, mein Seidenpyjama begann schon, ganz grässlich zu riechen. 30 Minuten später