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Adresse. Er wollte, dass ich in Deutschland für seinen Jungen einen Platz an einer Schule besorge, damit er aus diesem Elend herauskäme und es einmal schöner haben würde. Ich erfüllte seinen Wunsch nicht. Einen Engel entfernt man nicht aus dem Paradies…

      Die Fähre setzte mich auf dem Festland ab. Ich hatte mein Ticket und Geld aus dem Safe zurückgeholt, und hatte mit den zwei Deutschen noch ein Bier getrunken. Diese waren begeistert von der Insel, wollten aber bald zurückfahren, sonst würde ihr Rückflugticket von Bangkok verfallen. Gute 700 Kilometer lagen vor mir. Ich hatte 5 Tage Zeit dazu. Notfalls gäbe es immer noch den Bus. Etwas schwer war mir schon zumute, als ich wieder auf meinem Rucksack am Straßenrand saß. Ich dachte an die Fischergemeinschaft, deren Leben ich für kurze Zeit geteilt hatte. Ihre Lebens- und Arbeitsweise kam mir ideal vor. Eine heile Welt! Aber mindestens ebenso stark wie die Sehnsucht danach war mein Fernweh. Ab und zu hob ich die Hand, um den wenigen vorbeifahrenden Autos zu zeigen, dass ich mitgenommen werden wollte. An meinem Rucksack hing das Filzpüppchen, das Marion mir zum Abschied gebastelt hatte und lachte mich an. Jemand nahm mich ein paar Kilometer mit und setzt mich in einer Stadt ab. Ich lief eine Weile, bis sie hinter mir lag, denn dort kam nur Nahverkehr vorbei. Ich zog es vor, an einem schönen Ort zu sitzen wo es was zum Schauen gab, anstatt mich von Auspuffen umblasen zu lassen.

      Ich zog das Buch von Steve heraus und arbeitete mich darin weiter. Dem Autor nach sind alle Wege zur Selbstfindung erlaubt. Ob natürliche oder künstliche, also Meditation und Yoga oder Drogen wie LSD. Aber wozu zählten Marihuana, auch Buddha-Gras oder Ganga benannt, nach dem heiligen Fluss oder der Göttin. Das waren doch natürliche Kräuter! Wie Pfefferminz und Kamille. Manche Sadhus rauchten sich die Hucke voll damit, und wie ich gesehen hatte, waren manche ganz schön weit vorwärts gekommen auf dem Weg der Selbstverwirklichung! Nicht, weil sie auf Nagelbetten schliefen, sondern viele wurden als Meister verehrt, waren angesehene spirituelle Lehrer. Ich finde, es ist jedem seine eigene Sache, was er macht, um ein besserer Mensch zu werden…

      Ein Auto, das 10 Meter hinter mir zum Stehen kommt, weckt mich aus meinen Gedanken. Es war ein grauer Holden, eine Art asiatischer Opel. Darin ein etwas korpu-lentes, bürstenhaariges Bleichgesicht, voller Sommer-sprossen. Ich tippte auf einen Irländer. Er war aber Amerikaner. Terry Holmes, und wir waren gleich voll im Gespräch. Beim Trampen stößt man auf die unter-schiedlichsten Menschen. Manche Fahrer sagen nur drei Worte und sind fast mürrisch. Da fragt man sich, warum die einen überhaupt mitgenommen haben. Andere sind unterhaltsam, und alles läuft wunderbar. Dann gibt es die Übergesprächigen, die dich mit ihrem Psychotherapeuten verwechseln und die Aufdringlichen. Und da fragt man sich auch, warum die einen aufgelesen haben. Terry hatte ich anfangs dieser letzten Gruppe zugeordnet. Aber, dachte ich, das liegt daran, dass er schon ewig keinen Weißen gesehen hatte. Jedenfalls arbeitete er für eine amerikanische Erdölfirma und war schon sein 6 Monaten in Malaysia. Er war in seiner Jugend auch viel getrampt und hatte sich wohl mal geschworen, jeden Tramper mitzunehmen, falls er endlich von dem gottverlassenen Fleck, wo er gestrandet war, wieder wegkomme. Alters-mäßig gehörte er eher zu Jack Kerouac und den Beatniks, der Vor-Hippie-Bewegung der 60er Jahre. Jetzt hatte er Familie und diesen Job, der ihm auch das Reisen ermög-lichte, aber eben auf andere Art. Was wäre er froh, er könnte mal wieder, so wie früher, halt so wie ich, jetzt…

      Mittags lud er mich zum Essen ein, was ich gerne annahm. Ich wollte was Billiges wählen. Er lachte nur, und meinte, das ginge alles auf Kosten der ‚Pacific Oil‘, ich solle nur zuschlagen! Seine Kinder trampen im Augenblick bestimmt auch irgendwo in den Staaten, und er wünscht ihnen einen ähnlichen Empfang von Seiten der Autofahrer, wie er ihn mir bereitet… „In Kuala Lumpur seht die größte Moschee der Welt, die solltest du dir unbedingt anschauen!“ rät er mir beim Weiterfahren. Wir befinden uns schon in den Vororten. Eine Art Stadtautobahn umgeht das Zentrum. Ich sehe das Bauwerk von Ferne. „Ich will nicht in diese Riesenstadt eintauchen“, sage ich, „Großstädte sind sich zu ähnlich. Laut und teuer. Ich will lieber weiter!“ Er versteht und lässt mich an einer Ausfallstraße aussteigen. Ein gutes Pensum für heute, denke ich. Bald nimmt mich ein alter Pickup mit. Der Fahrer spricht kein Englisch. Er lässt mich nach 30 Kilometern aussteigen und biegt seitlich zu einer Plantage ab. Es ist bald dunkel. Also verlasse ich die Straße und laufe in ein kleines Gehölz auf der anderen Straßenseite. Ich bin noch satt vom Mittagessen. Koche aber, mehr aus Tradition, einen Tee, weil es noch früh genug ist. Dann liege ich, von Mücken umsummt, unter meinem indischen Tuch.

      Oft sagen die Leute, sie hätten nie den Mut, so zu reisen! Ist nicht der erste Schritt der mutigste? Und ist dieser selbst nicht nur die Folge einer Schnapsidee oder eines Traumes? Plötzlich findet man sich in einer Bewegung wieder, die sich selbständig gemacht hat, wo man den nächsten Schritt vielleicht gezwungenermaßen macht, um nicht zu fallen, oder aber Freude daran findet, und ihn fast wie einen Tanz ausführt. Mut ist Akzeptieren des Alltags. Was ist das Gegenteil von Mut? Ist das Angst? Angst ist das kribbelnde Gefühl, das die Nackenhaare sträuben lässt, das den Atem anhält und dich eins mit dem Schatten werden lässt. Das Herz schlägt schneller, du wartest ab, bereit, wegzurennen oder zu kämpfen oder versteckt zu bleiben. Angst und Mut gehen oft Hand in Hand. Ohne Angst wirst du tollkühn, ohne Mut sitzt du bibbernd da. Wenn ich draußen schlafe, ist das nicht unbedingt ein Zeichen von Mut. Das ist Romantismus oder knappe Kasse. Wie viele Arme schlafen unter freiem Himmel, ohne dass man sie deshalb mutig nennt! Angst kommt plötzlich auf. Ausgelöst durch ein Geräusch, durch einen Instinkt. Angst ist gut. Angst leitet zur Vorsicht! Wenn ich mein Messer im Schlafsack habe, kann das beides sein. Doch sollte das einen nicht so weit bringen, allen zu misstrauen.

      Wer ist der Feind des Armen? Der Reiche? Oder der andere Arme? Oder anders gesehen: Wer ist der Freund des Armen? Der Reiche? Ich glaube eher, der andere Arme! Unter Armen habe ich große Hilfsbereitschaft gefunden. Sie sind gewohnt, wenig zu haben und wissen, was Teilen ist. Klar, dass zu krasse Armut zu Kurzschlusshandlungen führen kann. Reden wir lieber nicht von zu großem Reichtum… Bisher hat noch kein Armer einen Krieg angezettelt! Armut – Reichtum… Natürliche Gegensätze wie kalt und warm? Oder vom Menschen geschaffen? Ist der Reiche ursprünglich nur so geworden aus Angst vor Armsein? Doch selbst, wenn man die Ursprünge unserer Lebensumstände ergründen würde, änderte das noch lange nichts an der Tatsache, dass die große Mehrheit der Menschen arm bis sehr arm ist. Das Regierungssystem oder Wirtschaftssystem, das die Armut abschafft, würde in die Geschichte eingehen, und sein Beispiel würde den Weltfrieden schaffen helfen. Religionen, die oft nur dazu dienen, den gegenwärtigen Zustand zu rechtfertigen, würden überflüssig, Konflikte könnten in Sportveranstaltungen gelöst werden. Wir würden uns mit ‚Bruder‘ und ‚Schwester‘ anreden, und nicht mehr mit ‚Herr‘ und ‚Madame‘.

      Man wird ja noch träumen dürfen, selbst mit einem Messer unter der Decke…

      NIRWANA

      Am nächsten Vormittag komme ich in Johor Bahru an. Es ist ein kleines Fischerdorf ähnlich dem auf Penang, auch mit einem Hafen für die segelbaren Lastkähne, die den Verkehr mit den Inseln aufrecht erhalten und Zubringer für die großen Frachter machen. Jedes Mal, wenn ich diese sehe, schon seit Penang, schon seit den Nicobaren, stelle ich mir vor, wie es wäre, so ein Schiff umzumodeln, um damit die Reise weiterzumachen. Ich glaube, sie sind nicht teuer, denn überall sehe ich welche, die, wohl Mangels Fracht, vor sich hindümpeln, sich mit Regenwasser füllen und langsam verrotten. Gegenüber, seit kurzem auf einer Brücke erreichbar, sehe ich Singapur, einen der größten Häfen der Welt, Stadtstaat, wie Monaco oder Liechtenstein. Namen, die nach Geld klingeln. Am Stadtrand, nicht weit vom Wasser, finde ich eine Unterkunft, nur von wenigen Malaien und Chinesen besucht. Billig, sauber, ruhig.

      Am Abend gehe ich in die kleine Stadt. Ich kann es gar nicht fassen: überall sind überdeckte Straßentheater aufgebaut, Altäre mit Statuen und Blumenschmuck, die Straßen wimmeln von fröhlichen Menschen. Ich bin genau zum ‚Fest der hungrigen Geister‘ eingetroffen, das sich eine Woche lang hinzieht. Ich bin zwar hungrig, aber noch kein Geist. Trotzdem nehme ich mir vor, von den Festlichkeiten zu profitieren. An den Altären werden Opfergaben, meist Speisen und süße Gerichte, kunstvoll zubereitet auf Palmenblättern oder Platten, den Geistern geopfert. Und zwar denen, die es noch nicht geschafft haben, aus Karma oder anderen Ursachen, zur Ruhe zu kommen. Denn

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