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meinen Vater abermals am Arm.

      Dieser Tag war das einzige Mal, dass ich meinen Großvater derart wütend erlebte. Er packte nicht nur meinen Vater am Arm, schrie ihn an, er holte weit aus und schlug ihm Mitten ins Gesicht, damit er endlich aufwachen möge, wie er lauthals von sich gab, als mein Vater zu Boden ging.

      Mutter rannte zu Vater um ihn von dessen Vater zu schützen.

      Großmutter kam ins Zimmer gerannt und versuchte Großvater zu beruhigen, als dieser bereits mit hängenden Schultern und kopfschüttelnd den Raum verließ.

      Vater war von seinem Vorhaben nicht abzuhalten.

      Es war gegen neunzehn Uhr fünfundvierzig, draußen wurde es bereits dunkel.

      Nun endlich wurde mir klar was Vater vor hatte und Großvater weise bereits vorausgesehen hatte.

      Vater nahm all meine, mir so lieb und teuer gewordenen Bücher vom Regal.

      Mit leeren und bösen Augen blickte er mich an, wie ein Adler der sein Opfer ausgespäht hatte, „es wird Zeit, dass du endlich erwachsen wirst!“ schnaubte er mich in kaltem, herzlosen Ton an.

      Ich wollte ihn aufhalten.

      Ich versuchte zu schreien, doch ich konnte nicht, so gelähmt war ich.

      Meine Mutter nahm mich in den Arm und ließ Vater gewähren.

      Ich schluchzte in mich hinein.

      Mehr konnte ich in diesem Moment nicht tun.

      Großmutter stand da.

      Fassungslos.

      Und sagte kein Wort.

      Schließlich waren alle meine Bücher im Karton verschwunden.

      Zufrieden richtete sich mein Vater auf.

      „Diesen Schund brauchen wir in einem deutschen Haushalt nicht!“

      Er nahm den Karton und verließ das Haus.

      Zurückblieben meine Großeltern, Mutter und ich.

      Allen saß ein Kloß im Hals und die bittere Ahnung, dass die Welt nicht mehr so sein wird, wie sie einst war.

      „Was macht Vater mit meinen Büchern?“ traute ich mich schließlich zu fragen.

      Traurig drehte sich Großmutter mit gesenktem Blick zu meiner Mutter, welche mich noch immer im Arm hielt, und sagte leise, „die Nazis vernichten unser Erbe und unsere Geschichten, so dass nichts mehr bleibt von der Erinnerung.“

      Dann wusste ich Bescheid.

      Wochen später hatte ich erfahren, dass die Männer, welche bei der Veranstaltung vor der Nepumukkapelle wütend predigten, es den Parteifreunden aus Berlin gleichmachen wollten und alles, ihrer Meinung nach nicht lesenswerte verbrannten.

      Schundliteratur nannten sie es.

      Großvater saß auf seinem Stuhl, sein Blick war leer. Leise sprach er, und nun weiß ich wie recht er hatte, doch an diesem Abend waren seine Worte, wohl nur für ihn selbst gedacht, „Wo man Bücher verbrennt, da verbrennt man am Ende auch Menschen...“

      Kapitel 2

      Umzug nach München

      Ich hatte seit dem Vorfall im Mai nicht mehr gelesen und verbrachte meine Zeit viel im Freien und noch mehr Zeit verbrachte ich mit meinem Vater, welcher mich auf jede „Veranstaltung“ mitnahm.

      Ich hatte gelernt, dass es meinem Vater Freude machte, wenn er mich bei sich hatte und wenn ich genau das tat was ihn begeisterte.

      Und schließlich war es doch das, was ein heranwachsender Jugendlicher wollte, seinem Vater gefallen.

      Ich muss zugeben, dass mich seine Begeisterung auch irgendwann ansteckte.

      Wir hatten das Haus am Fuße des Pfänders verlassen.

      Meine Großeltern waren jedoch dortgeblieben. Meine Eltern meinten, dass es im Sinne der Partei sei, wenn wir uns auf den Anschluss vorbereiten würden.

      Eben genau das, was auch die Schreihälse bei den Veranstaltungen immer sagten.

      Und ich zum damaligen Zeitpunkt nicht verstanden hatte, und Großvater, wie Vater meinte, wohl nie verstehen würde.

      Manchmal hatte ich das Gefühl, dass meine Eltern gar keine eigene Meinung mehr hatten, falls sie diese je hatten, nun war sie vollends verfolgen.

      Und zunehmend merkte auch ich bei mir selbst, dass dies mit mir geschah.

      Oft dachte ich an meine Großeltern, doch diese wurden von uns nur sehr selten besucht. Auch Großvaters Krämerladen mieden wir und kauften nur mehr in einem Laden eines gewissen Herrn Braun ein, welcher auch immer über die neuesten Nachrichten verfügte und alle nur wünschenswerten Zeitungen druckfrisch aufgelegt hatte.

      Im Herbst, ich weiß heute den Monat oder gar den Tag nicht mehr, beschlossen meine Eltern nach München umzuziehen. Die Distanz sei nicht weit, man könne immer wieder zurück, und man könne ja die Großeltern besuchen, wenn es die Zeit zuließe, und man sei doch der Partei verpflichtet. Zumindest wäre man so näher beim Führer und könne den Wandel der Zeit wahrhaftig mitverfolgen.

      Weihnachten 1934 feierten wir in einer kleinen, angemieteten Wohnung in Unterhaching bei München.

      Der Vermieter war ein mürrischer Mann.

      Nicht groß gewachsen und wirkte, zumindest auf mich, recht unsympathisch.

      Vater fuhr täglich mit der Tram nach München Stadt. Er wüsste, so sagte er fast täglich, dass es viel zu tun gäbe für die Partei, und dass Menschen wie wir es sind hier nur allzu gerne gesehen werden.

      Großvater geriet immer mehr in Vergessenheit.

      Auch Großmutter und das Haus am Pfänder.

      Meine Erinnerungen an die großen Erzählungen, welche ich als Kind so geliebt hatte, und mich in Gesundheit und Krankheit begleiteten und nie alleine ließen, verblassten immer mehr, bis ich mich schließlich gar nicht mehr an meine Helden aus meinen Kindheitstagen, in meinen geliebten Büchern erinnern konnte, und diese nur mehr verblassende Schatten meiner Vergangenheit waren.

      Auf Wunsch meines Vaters schloss ich mich der Hitlerjugend an.

      Mein Vater drängte darauf, da es sich für einen anständigen Deutschen gehöre.

      Zudem sei dies ja Parteipflicht.

      Und Parteipflicht war Gesetz!

      So tat ich wie mir geheißen.

      Neben der Schule und der HJ hatte ich kaum noch irgendwo zu Zeit. Ich verbrachte meine Tage mit der Lehre der Rassen und weltanschaulichen Schulungen, vor allem an Heimnachmittagen, meist mittwochs und mit Sport, welcher sich vor allem daran ausrichtete richtig mit einem Gewehr umzugehen.

      Dies vor allem samstags.

      Zunehmend bemerkte ich den Stolz meines Vaters, da ich kein kleiner kränklicher und schwächlicher kleiner Junge mehr war, sondern zu einem Manne heranwuchs.

      Dies sei, so meinte Vater, einzig und allein der Partei zu verdanken. Denn ohne jene hätte ich nie im Leben selbst Sport betrieben und mich entsprechend den Lehren der NSDAP weitergebildet.

      Es sei eine Schande, und dafür gebe er sich selbst die meiste Schuld, dass er mich so lange bei seinen liberalen Eltern hatte aufwachsen lassen, welche mich verweichlicht hätten und zu sehr mit befremdlichen Gedanken – damit meinte er meine geliebten Bücher, welche ich von den Großeltern geschenkt bekam – gefüttert hätten.

      So hätte ja nie ein Mann aus mir werden können.

      Zum Glück, oder eher Gott- oder noch mehr Partei-sei-Dank habe er mich aus ihren über-liberalen Fesseln durch eigene Kraft befreien können.

      Nur Gott allein (oder die Partei) wüsste sonst was aus mir

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