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      »Mar'Tian ist Herrscher?« fragte er nach, um das Gespräch und seine Gedanken wieder auf etwas anderes zu lenken.

      »Er war es«, verbesserte Mert. »Volle sechs Jahre, bis seine Amtszeit vorüber war. Warum fragt Ihr? Kennt Ihr ihn?«

      »Flüchtig«, bekannte Cridan. »Und wer regiert jetzt?«

      »Enod«, erwiderte Mert. »Ein kluger Mann. Nicht ganz so hartnäckig wie Mar'Tian, nicht ganz so kompromisslos, aber ebenso entschlossen, Gantuigh weiter voranzubringen.«

      Cridan blieb eine Weile stumm.

      »Aber weshalb Mar'Tian?« fragte er dann. »Wenn ich mich recht entsinne, war Esracan doch Herrscher von Gantuigh.«

      Mert seufzte leise.

      »Ihr wisst es wirklich nicht, oder? Nun gut. Ich werde es Euch erzählen. Über ein Jahrzehnt ist das nun her, dass Skatarhak den Krieg anfing. Er überfiel die Insel mit seinen Dämonen, wo er nur konnte, zwang die Menschen zur Flucht, verwüstete ganze Landstriche und versuchte schließlich mit der geballten Kraft seines Heeres die Hauptstadt einzunehmen. Er brachte den Krieg bis nach L'hunival – und er hätte ihn vielleicht sogar gewonnen, wenn wir damals nicht unerwartete Hilfe bekommen hätten. Fremde vom Kontinent waren es, die uns beistanden. Syrian hieß der Mann, der die Dämonen wegen der Gräueltaten, die sie auf dem Kontinent begangen hatten, bekämpfen wollte. Er und seine Gefolgsleute, große Krieger allesamt, waren unsere Rettung. Esracan verbündete sich mit ihnen, und sie kämpften auf unserer Seite. Ihnen und Mar'Tian ist es zu verdanken, dass es überhaupt noch Menschen auf Gantuigh gibt. Esracan fiel jedoch in der letzten Schlacht, ebenso wie Skatarhak. Anschließend…«

      »Wie starb Skatarhak?« unterbrach Cridan ihn. »Ich meine, wer hat ihn getötet? Weiß man es?«

      Mert blickte stur geradeaus auf den wippenden Pferdehals, seinen Blick vermeidend.

      »Ja, das weiß man, sogar sehr gut.«

      Er räusperte sich, bevor er fortfuhr. »Der Anführer der Fremden, Syrian selbst, hat ihn getötet, und dabei fast sein eigenes Leben verloren.«

      »Syrian«, murmelte Cridan.

      Er erinnerte sich an den Mann: schlank, dunkelhaarig, von einer seltsamen Arroganz geprägt, die ihresgleichen suchte. Furchtlos, voller Verachtung für alles, was ihn umgab. Ein gefährlicher Mann.

      Er also hatte Skatarhak erschlagen. Er hatte Cridans König, seinen Freund, seinen Ziehvater getötet.

      Seltsamerweise empfand Cridan bei diesem Gedanken nur ein leichtes Bedauern und sogar fast so etwas wie Erleichterung. Er hatte es kommen sehen. Er hatte gesehen, wie Skatarhak sich verändert hatte, hatte das Verhängnis geahnt, hatte immer wieder versucht, Skatarhak zum Einlenken zu bewegen. Vergebens: Skatarhak hatte sich nicht aufhalten lassen wollen.

      Zum Schluss war er zwar noch Cridans König gewesen, aber von der Freundschaft und der Verbundenheit, die einst zwischen ihnen geherrscht hatte, war nichts mehr geblieben.

      Vielleicht war das von allen Dingen das Traurigste.

      »Also wurde Mar'Tian zum Herrscher gewählt«, sagte Cridan schließlich. »Und dann? Was geschah mit den übrigen T'han T'hau? Sind sie geflohen?«

      »Nein.« Mert schüttelte den Kopf. »Vermutlich ist einigen die Flucht geglückt, doch alle anderen nahm man gefangen und richtete sie hin als Verräter. Sie hatten den Treueid gegenüber Gantuigh gebrochen. Mar'Tians Männer haben monatelang ganz Gantuigh abgesucht, bis auch der letzte Dämon tot war. Seitdem gibt es keine Dämonen mehr. Jedenfalls nicht auf Gantuigh.«

      «Wir sind also die letzten.«

      Die eigenen Worte klangen fremd in Cridans Ohren und lösten eine seltsame Form der Wehmut in ihm aus. Wenn sie wirklich die letzten waren, dann war das Volk der T'han T'hau so gut wie ausgelöscht.

      Was für eine bitterböse Ironie des Schicksals! Skatarhak hatte die Menschen vernichten wollen, und erreicht hatte er statt dessen die Vernichtung der T'han T'hau!

      »Man nennt Mar'Tian seitdem auch den Schlächter der Dämonen«, fuhr Mert fort. »Nach dem Krieg hat er jeden einzelnen Dämon selbst gerichtet. Er hatte keine andere Wahl. Dämonen oder Menschen, etwas anderes blieb nach diesem Krieg nicht mehr. Zu tief war die Kluft, die Skatarhak geschlagen hatte, zu groß der Verrat. Die Dämonen hatten sich gegen die Menschen gewandt, hatten Krieg gegen sie geführt, und ein Friede war undenkbar geworden.«

      Er seufzte leise. »Mar'Tian ist selbst vom Blut der T'han T'hau, doch er hat sich damals für die Menschen entschieden. Zum Glück, wie ich sage.«

      Vom Blut der T'han T'hau, dachte Cridan. Seine Gedanken waren zäh, schwerfällig, wenn er an das Entsetzliche dachte, das geschehen war. Wie Recht er damit hat! Und nicht nur irgend ein T'han T'hau – es ist das Blut der Königslinie, das in Mar'Tians Adern fließt. Letztlich ist es ein Erbe Skatarhaks gewesen, den der Krieg auf den Herrscherthron gebracht hat. Wobei ich stark bezweifle, dass Skatarhak das gefallen hätte.

      »Woher weiß Sureth von uns?« fragte er. »Wenn man auf Gantuigh glaubt, die Dämonen seien endgültig vernichtet, wie ist er auf die Idee gekommen, uns suchen zu lassen? Ihr sagtet doch, Ihr habt uns gesucht, wenn ich mich recht erinnere.«

      »Eine gute Frage«, lächelte Mert. »Ein Zufall spielte Sureth Euren Brief in die Hände. Nach wie vor versiegelt und unberührt. Seitdem sucht er nach den Überlebenden der Dämonen. Ich bin nicht der einzige, den er ausgeschickt hat, und ich bin schon das dritte Jahr für ihn unterwegs. Es ist eine mühsame Plackerei, die so manche Gefahr mit sich bringt, aber er zahlt gut.«

      Er grinste. »Wobei… Der Lohn der letzten Jahre wird nichts sein gegen das, was ich dafür bekommen werde, Euch gefunden zu haben. Sureth hat große Pläne mit Euch, glaube ich. Aber das lasst Euch besser von ihm erzählen.«

      Cridan dachte eine Weile schweigend nach. Die Worte des Mannes hatten ein ungutes Gefühl in ihm hinterlassen.

      Er sah Mert an.

      »Was glaubt Ihr? Haben wir wirklich eine Aussicht, wieder zurückkehren zu können?«

      Er spürte sofort, dass dem Mann die Frage unangenehm war.

      »Sureth ist sich dessen sicher«, antwortete Mert ausweichend. »Sonst hätte er Euch kaum gebeten, mich zu begleiten, und mich wohl auch nicht immer wieder auf die Reise geschickt.«

      »Das war nicht meine Frage«, erinnerte Cridan ihn.

      Mert blieb eine ganze Zeitlang stumm, dann zuckte er mit den Achseln.

      »Ich weiß nicht«, log er. »Sureth hat vermutlich Recht.«

      Cridan lächelte.

      »Glaubt mir, Mert, es ist gefährlicher, einen T'han T'hau anzulügen, als ihm eine ehrliche Antwort auf eine Frage zu geben.«

      Mert schluckte hörbar. »Das war nicht…«

      »Gelogen?« Cridan lächelte noch breiter, so dass seine Reißzähne im Mondlicht glänzten. »Oh doch, Mert, das war es.«

      Der Mann schwieg.

      »Gut«, sagte er dann plötzlich. »Ihr wollt eine ehrliche Antwort? Ihr sollt sie haben: Ich glaube nicht daran, dass es jemals wieder Dämonen auf Gantuigh geben kann. Mar'Tian, der Schlächter der Dämonen, ist zwar nicht mehr selbst Herrscher, aber noch immer oberster Heerführer von Gantuigh und einer der wichtigsten Berater des Herrschers. Er hat damals alles daran gesetzt, die T'han T'hau endgültig vom Antlitz der Erde zu tilgen. Wenn er erfährt, dass es Euch noch gibt, wird er nicht eher ruhen, bis er auch den letzten Dämon getötet hat. Sureth mag eine Vision haben, eine Vorstellung davon, wie es sein könnte, aber wenn Ihr mich fragt… Ich glaube nicht daran.«

      Cridan starrte eine Weile wortlos in die Dunkelheit, die vor ihnen lag, dann erhob er sich und kletterte in den Wagen zurück.

      Er hatte vorgehabt, Tiko zu wecken, doch der T'han T'hau saß mit offenen Augen an eine der Kisten gelehnt und sah ihm entgegen. Sein

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