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Ihre Mutter denn glauben, das ihr solider Sohn so etwas macht?“

      Andreas grinste zurück. „So solide bin ich gar nicht.“

      Und um seine Worte zu beweisen zog er Sondra an sich und küsste sie.

      Kapitel 5: Der Aufbruch

      Holger Kolbrink sah den beiden jungen Leuten mit gemischten Gefühlen zu, als sie die letzten Sachen für ihre bevorstehende Reise zusammenpackten. Sondra Wieland und Andreas Laurenz wirkten fast wie zwei Teenager vor einer Klassenfahrt.

      „Nun guck doch nicht so besorgt, Holger. Es wird alles gut gehen“, versuchte Sondra ihren väterlichen Freund zu beruhigen, als sie seinen Blick bemerkte.

      „Ich war einmal da, vor etwa dreißig Jahren. Ich weiß, welche Gefahren da auf einen lauern können. Ich habe es selbst erlebt!“

      Sondra ging zu ihm und schlang ihre Arme um seinen Hals.

      „Du weißt doch, dass ich gehen muss. Außerdem passt Andreas auf mich auf.“

      Andreas grinste und nickte zustimmend.

      Die letzten dreieinhalb Wochen waren wie im Flug vergangen. Der Prozess gegen Gregor Baier war tatsächlich auf März des nächsten Jahres festgesetzt worden. Aufgrund der Fahrerflucht, die er begangen hatte, blieb Gregor in Untersuchungshaft.

      Andreas hatte sofort, nachdem der Prozesstermin feststand und somit auch der Abreisetermin nach Vilgard, seinen Urlaub beantragt. Vorsichtshalber volle sechs Wochen, falls er und Sondra etwas angeschlagen von ihrem Abenteuer zurückkehren sollten. Andreas hatte auch drei vordatierte Briefe an seine Familie geschrieben. Er und Sondra hatten als Reiseziel Peru angegeben. Ein Freund von Holger Kolbrink, der schon seit Jahren in Peru lebt und arbeitet, würde diese Briefe zu festgesetzten Zeitpunkten vor Ort verschicken.

      Falls Sondra und Andreas nicht wiederkommen sollten, so wären sie dann im Urwald verschollen.

      Bei diesem Gedanken schüttelte Holger sich.

      „Wo habt ihr eure Pässe hinterlegt?“

      Sondra ging zu einer Nische in der Küche und zog einen Stein beiseite. Dahinter befand sich eine Metallschatulle.

      „Es ist alles organisiert. Die Flugtickets, das Check-in, das Boarding, alles ist organisiert, Holger.“

      Holger seufzte schwer und kratzte sich am Hinterkopf.

      „Es kommt mir nur so vor, als ob wir etwas illegales tun“, meinte er schließlich.

      „Na ja, ganz legal ist es nicht. Aber auch nicht wirklich verboten“, sagte Andreas, während er seine Dienstpistole und den Dienstausweis in der Metallschatulle verstaute.

      „Wir schaden niemandem. Und das ist alles, worauf es ankommt“, sagte Sondra abschließend.

      „Aber können die Leute in Vilgard nicht selbst eine Lösung für ihre Probleme finden? Warum musst du da unbedingt hin?“

      Sondra lächelte gequält. Es tat ihr weh zu sehen, wie Holger sich um sie sorgte.

      „Vaters letzte Worte, die er in die Dielen des Arbeitszimmers gekratzt hatte, waren eindeutig. Durch die Sache mit Gregor ist ein weiteres Jahr in Vilgard vergangen. Vater kam vor zwei Monaten zurück und starb. Jeder weitere Monat hier ist ein weiteres Jahr in Vilgard. Ich kann nicht länger warten.“

      Ihre Stimme war eindringlich geworden, ihr Blick flehte um Verständnis.

      Holger Kolbrink zuckte resignierend mit den Schultern und umarmte Sondra.

      „Du bist wie eine Tochter für Renate und mich.“

      Sondra schluckte. „Ich weiß. Und ich liebe euch beide genauso, wie ich meinen Vater geliebt habe. Ihr ward immer für mich da und das vergesse ich nicht. Hier ist mein Zuhause, nicht in Vilgard. Aber da ist meine Bestimmung, und das weißt du.“

      Andreas Laurenz war froh, das Sondra in Holger einen väterlichen Freund hatte. Lächelnd stopfte er ein weiteres Paar Socken in seinen Rucksack.

      Sondra hatte ihn zu einem Ausstatter geschickt, der ihn modisch auf den Stand von Vilgard gebracht hatte. Natürlich unter dem Vorwand, an einem Mittelalterspektakel teilzunehmen. Seine Oberbekleidung, seine Schuhe, Teile seiner Unterkleidung und sogar sein Rucksack sahen aus, als ob sie aus dem 12. Jahrhundert aus Mitteleuropa stammte. Trotzdem gab es Zugeständnisse des 21. Jahrhunderts. Das Material war ein Lederimitat, das normale Wettereinflüsse und Regenwasser standhielt. Der Rucksack hatte viele Innenfächer und war so gegurtet, dass der Träger keine Rückenschmerzen davontrug.

      Sondra hatte den gleichen Rucksack. Auch sie bevorzugte die Bequemlichkeiten des 21. Jahrhunderts.

      Andreas ließ seine Lesebrille in ein Lederetui gleiten und verstaute es in einer der oberen Innenfächer. Dann schnallte er die Schlafsackrolle am Rucksack fest.

      „Fertig“, sagte er und schaute sich noch mal um.

      „Die Natur ruft!“, sagte Sondra und sprang aus der Küche.

      Andreas lachte leicht, aber Holger Kolbrinks besorgtes Gesicht ließ ihn verstummen.

      „Ich verspreche Ihnen, dass ich auf Sondra aufpasse. Ich bringe sie wieder zurück!“, sagte er.

      Holger sah den jungen Mann an, der erst vor kurzen in sein Leben getreten war. „Lieben Sie sie?“

      Andreas überlegte einen Moment. „Ich weiß es nicht genau, aber ich habe Sondra sehr, sehr gern. Sie ist mir definitiv nicht gleichgültig.“

      Andreas musste an seine Mutter denken. Letztes Wochenende hatte sie ihn überraschend besucht und wollte von ihm wissen, warum er in die ´Wildnis` fährt mit einer Frau, die er doch noch gar nicht so lange kennt. Andreas hatte seine Mutter noch nie bewusst angelogen, so dass er ihr ein paar Halbwahrheiten erzählt hatte. Er hatte seiner Mutter erzählt, wie er Sondra kennen gelernt hatte und das er viel für sie übrig hatte.

      ´Liebst du sie?`, hatte seine Mutter gefragt.

      ´Ich weiß es nicht, schon möglich. Wenn wir zurück sind und Sondra und ich uns noch vertragen sollten, kann ich sie ja mal mitbringen`, schlug er vor.

      ´Das gefällt mir nicht!`, murrte seine Mutter.

      Andreas hatte sie in seine Arme genommen und versucht zu beruhigen. Er wusste, dass ihm das nicht ganz gelungen war.

      Andreas schüttelte die Erinnerung an seine Mutter ab und hängte den Proviantbeutel an seinen Rucksack, überprüfte nochmals die Wasserflaschen von Sondra und sich selbst und nickte zufrieden stellend. Dann tastete er an seine Hüfte, wo ein Dolch hing. In seinem rechten Stiefel steckte ein zweiter, kurzer Dolch.

      „Ich werde die Post und die Zeitungen hier auf dem Küchentisch deponieren. Falls mir etwas passieren sollte, wird Thomas Sandmann in das nötigste eingeweiht.“

      Sondra, die gerade wieder in die Küche trat, zögerte einen Moment.

      „Was sollte dir denn passieren? Hast du Schwierigkeiten?“

      „Nein“, lachte Holger. „Aber ich bin auch nicht mehr der Jüngste.“

      Sondra sah zum ersten Mal, das Holger wirklich alt geworden war. All die Jahre, die er für ihren Vater Alibis für dessen Reisen aufgebaut hatte.

      Die Sorgen um seinen Freund.

      Der Verlust seiner Tochter Karin.

      Sondra wollte etwas sagen, doch sie wusste nicht, was.

      „Lass uns gehen“, raunte Andreas leise in ihr Ohr.

      Sondra nickte. Sie ging zu dem Küchenregal und betätigte den Metallhaken. Leise knirschend öffnete sich die Geheimtür zum Weinkeller.

      Andreas und Sondra zogen sich Fellmäntel über, die Handschuhe steckten sie sich in die Manteltaschen. Jeder schulterte seinen Rucksack und nahm einen Köcher mit verschieden langen Pfeilen und je einen Kurz-

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