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Sokar, der Totenstadt von Mempi, hatten wir die Stufenpyramide des Djoser besichtigt, das größte Bauwerk der Welt, und mein Vater hatte mir in ehrfürchtigem Ton von Imhotep erzählt, der Bauleiter, Wesir und Arzt des Königs gewesen war. Imhotep hatte mit dieser Pyramide etwas Neues, noch nie Dagewesenes erschaffen: ein unvergängliches Monument aus Stein, ein Symbol der Ewigkeit.

      Lange betrachtete ich die Pyramide, die meines und das Leben meines Vaters verändern sollte. Das Grabmal des Seneferu hatte in diesem Jahr erst drei Stufen, an der vierten wurde gebaut.

      Die Baustelle war größer als Mempi. Tausende von Menschen arbeiteten hier: der Königliche Bauleiter, Vermessungstechniker, Schreiber und Verwalter, die Lagerpolizei, Steinbrucharbeiter, Steinmetze und Künstler, Schlittenführer, Sandschlepper und Straßenbauer, Lageraufseher und Magazinverwalter, Bäcker und Schmiede, Töpfer, Tischler und Zimmerleute, Wasserträger, Köche und Wäscherinnen, Hafen- und Lagerarbeiter. Das Lager der Arbeiter war eine riesige Stadt aus mit Palmwedeln gedeckten Schlammziegelhütten.

      Da mein Vater nicht wusste, wohin er sich wenden sollte, fragte er einen der Wasserträger, die in großen Tonkrügen Wasser vom Fluss herauftrugen, um die Schleppstraßen für die Holzschlitten mit den Steinquadern feucht und damit gleitfähig zu halten.

      »Wenn dir noch keine Arbeit zugeteilt ist, solltest du dich an das Schreiberbüro von Aperire wenden. Du findest es dort drüben.« Der Arbeiter deutete hinüber zum Pyramidenfundament.

      Den Schreibtisch des Priesters Aperire fanden wir vor einem großen Zelt direkt unterhalb der großen Rampe, auf der die großen Steinquader hinauftransportiert wurden. Er saß auf einer Schilfmatte und beobachtete aufmerksam die Arbeiter, die sich die Rampe hinaufquälten. In der Hand hielt Aperire einen gerollten Papyrus, den er wohl eigentlich lesen wollte. Als wir uns näherten, sprang er auf, weil ein Schleppseil gerissen war und ein Holzschlitten auf der steilen Rampe wegzugleiten drohte.

      »Passt doch auf! Ihr müsst die Seile straff halten! Sonst rutscht der Block ab und der Schlitten zerbricht. Nein, doch nicht so. Bei Re!« Aperire raffte seinen langen priesterlichen Leinenschurz und stürmte an uns vorbei die Rampe hinauf, bis er beim rutschenden Steinschlitten angekommen war. Er half den zehn Männern, die den Stein die steile Ebene hinaufbefördern sollten, den Schlitten auf den befeuchteten Hölzern neu auszurichten. Dann ließ er die Rundhölzer und Schlittenkufen mit Wasser benetzen, um die Gleitfähigkeit des Schlittens zu verbessern.

      Als der Priester zurückkehrte, kniete mein Vater im Wüstensand.

      Aperires Kopf war wie bei allen Priestern kahl geschoren. Seinen nackten Oberkörper zierte kein Schmuck.

      »Wer bist du?«, fragte er.

      Mein Vater drückte seine Nase in den Staub und reichte dem Gottesdiener die Tonscherbe, die er in Mempi erhalten hatte, mit seinem Namen, seiner Herkunft und seiner Qualifikation. Während der Krönungsfeierlichkeiten hatten Beamte des Königs Arbeiter für das Grabmal rekrutiert: Steinmetze, Steinschlepper und Wasserträger.

      »Ich bin Kamose«, stellte sich mein Vater vor. »Ich will an der Pyramide arbeiten.«

      »Kamose aus … woher?« Aperires Mundwinkel waren leicht nach unten gezogen, was ihn strenger wirken ließ, als er wirklich war.

      »Das ist der Name unseres Dorfes bei Tis.«

      »Du bist kein Saisonarbeiter, Kamose? Dauerarbeiter müssen eine berufliche Qualifikation mitbringen. Wir haben hier verschiedene Arbeiten. Du kannst als Koch oder Bäcker arbeiten oder als Tierschlächter.«

      »Ich kann nicht kochen. Meiner Tochter schmeckt es nicht.«

      »Verstehst du etwas vom Bauen?«

      »In unserem Dorf habe ich unsere Hütte aus Schlammziegeln und Palmwedeln gebaut.«

      »Ich meinte: Verstehst du etwas von Architektur? Hast du in der Tempelschule studiert?«

      »Ich bin nie zur Schule gegangen.«

      »Hast du schon als Steinmetz gearbeitet? Oder als Farbkünstler?« Als mein Vater den Kopf schüttelte, sagte er: »Wir benötigen dringend Steinschlepper, die die Holzschlitten die Rampe hinaufziehen.«

      Mein Vater nickte wortlos – mit der Demut eines Menschen, der nichts gelernt hat.

      Der Sonnenpriester nahm die Tonscherbe und schrieb den Namen Kamose mit einem feinen Pinsel aus gespleißtem Papyrusrohr und schwarzer Tinte in eine Liste: einen Korb für K, eine Eule für M und einen Türriegel für S. Und dann malte er schwungvoll einen gebeugten Arm mit Geißel auf den Papyrus, das Zeichen für »stark sein.«

      »Und wer bist du?« Der Priester sah mich an.

      »Ich bin Nefrit«, erklärte ich.

      Der Gottesdiener des Re sah uns beide skeptisch an. »Dies ist kein Platz für Kinder! Warum hast du sie hergebracht, Kamose?«

      »Ich kann sie sonst nirgendwo lassen. Meine Frau ist vor Jahren gestorben.«

      Aperire seufzte: »Nefrit, die Schöne, die Vollkommene. Also gut: Nefrit.« Er schrieb meinen Namen auf die Liste: Wasser für N, die Viper für F, den Mund für R, das Brot für T.

      Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich meinen Namen auf einem Stück Papyrus lesen konnte. Es war so, als ob ich von nun an existieren würde.

      »Ihr habt Glück: Unten am Fluss sind noch Hütten frei. Die Masse der ungelernten Arbeiter wird erst in den nächsten Tagen aus dem Unteren Land eintreffen, wo die Flut noch steigt.«

      »Wie viele Arbeiter werden denn kommen?«, fragte mein Vater.

      »Ich schätze, es werden dieses Jahr zwanzigtausend werden. Bereits jetzt haben wir fünftausend geschulte Steinbrecher und Steinmetze und Transportarbeiter und etwa noch einmal so viele Männer und Frauen, die sich um die Verpflegung der Arbeiter kümmern.«

      Unsere Hütte war ein wenig größer als die in unserem Dorf. Während mein Vater ein großes Tuch vor den Eingang der Hütte hängte und unsere Schlafmatten auf dem gestampften Lehmboden ausbreitete, maß ich den Innenraum mit meinen Schritten aus: sechs Ellen breit und acht Ellen lang. Die Wände bestanden wie alle Häuser im Land Kemet aus Schlammziegeln.

      »Ich weiß nicht, ob es richtig war, dich hierher zu bringen, Nefrit«, sagte mein Vater leise. »Aber wenn wir das Feld behalten hätten, wären wir verhungert. Im letzten Jahr hatten wir wegen der großen Trockenheit keine gute Ernte, und durch den Verkauf des Feldes konnte ich meine Schulden zurückbezahlen. Das Kupfer ist jetzt beinahe aufgebraucht.

      Die Arbeit an der Pyramide wird hart sein. An jedem Tag während der neuntägigen Woche werde ich arbeiten und erst am zehnten Tag frei haben. Drei Wochen pro Mond, drei Jahreszeiten pro Jahr: während der Flut, der Aussaat und der Zeit der Ernte. Die anderen Männer arbeiten nur während des Hochwassers an der Pyramide und verlassen die Baustelle wieder, wenn die Felder neu vermessen sind, wenn das Getreide ausgesät oder das Gemüse gepflanzt wird. Ich werde das ganze Jahr über diese Arbeit verrichten. Aber dein Leben wird noch viel härter, Nefrit. Ich werde gleich nach Sonnenaufgang die Hütte verlassen und erst bei Sonnenuntergang zurückkehren. Dann werde ich müde sein und schlafen. Das bedeutet für dich, dass du den ganzen Tag über allein sein wirst. Ich kann nicht mit dir spielen, und du kannst mich nicht besuchen, denn das ist zu gefährlich.«

      Während mein Vater in den Steinbrüchen seine Arbeit aufnahm, streifte ich durch das Lager der Arbeiter. Eine Zahl ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Zwanzigtausend. Wie viel bei allen Göttern waren zwanzigtausend Menschen? Waren das alle Bewohner des Landes Kemet?

      Zwanzigtausend Menschen, die alle schlafen, essen und trinken wollten. Ich saß am Fluss und begann die Hütten aus Schlammziegeln und Palmblättern zu zählen. Als ich bis hundert gezählt hatte, begann ich von vorn, immer wieder, und ich hatte noch längst nicht alle Hütten gezählt.

      Meine Frage beschäftigte mich so, dass ich den Priester Aperire in seinem Zelt aufsuchte. »Ich will dich etwas fragen! Wie viel sind zwanzigtausend Menschen?«

      Aperire

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