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vollständige Lebenswesen und voneinander völlig unabhängige Individuen fortexistieren. Prinzipiell bis in alle Ewigkeit oder zum Aussterben ihrer Spezies. Die biologische Wissenschaft fand in den Zellen daher Elementarteilchen des Lebens, ursprünglichste Einheiten, die sich im Austausch mit ihrer jeweiligen Umgebung selbst organisieren und spontan weiter entwickeln.

      Lebendigkeit ist auf jeder Komplexitätsstufe eindringend, fressend, erobernd. Das bedeutet: alle Lebewesen entnehmen ihrer jeweiligen Umgebung molekulare Substanz, um die Fließgleichgewichte ihrer je eigenen Körper daraus zu bauen. Sie verleiben sich Teile ihrer materiellen Umwelt ein, tote und lebendige: je größer Tierkörper oder Pflanzen sind, umso mehr. Große Massen von lebenden Organismen können sogar die physikalisch-chemische Natur von Meer und Land verändern, ganze Lebensräume neu erschaffen. Beispiele dafür sind Wälder, Korallenriffe, Humusböden und die sauerstoffhaltige Atmosphäre unserer Erde. Zur Lebendigkeit und insbesondere ihrer Fortpflanzung gehört also auch immer ein Streben nach Erweiterung, ein organischer Imperialismus sozusagen, im Sinne von ausbeuten und einverleiben der Umgebung: ihrer Stoffe, Pflanzen, Tiere, Energien, Räume, aller irgendwie nutzbarer Nachbarschaft.

      In vielzelligen Individuen haben sich einzellige Lebewesen zu größeren Körpern vereinigt und mittels wechselseitig bestimmender Einflüsse (Determination) Spezialisierungen zur funktionellen Aufgabenteilung zwischen den beteiligten Einzelzellen ausgebildet. Damit entsteht eine weitere Ebene der Komplexität von nichtlinearen, offenen (dissipativen) und dynamischen Systemen der lebendigen Materie. Schwämme und Staatsquallen sind Beispiele einfacher Vielzeller (Metazoa), deren Zusammenhalt und zelluläre Spezialisierung sich jederzeit rückgängig machen lässt. Und aus jeder Zelle kann wieder ein neuer Schwamm erwachsen.

      Weiter evoluierte Körper vielzelliger Individuen haben unumkehrbar, irreversibel spezialisierte Einzelzellen, die lebenslang zusammenbleiben müssen - da eine Auflösung der Zellen-Gemeinschaft ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation zerstört, somit sterben und Tod zur Folge hat. Das Zusammenleben der Körperzellen ist daher bei vielzelligen Tieren unvermeidlich, obligatorisch. Biologietheorie fasst solche Metazoa auch als Zellenstaaten auf. Adolf Remane, einer der Begründer evolutionsbiologischer Zoologie Deutschlands (und Doktorvater meines Doktorvaters), schrieb 1976 in seinem letzten Buch "Sozialleben der Tiere": "Unser Körper und der Körper aller vielzelligen Tiere und Pflanzen ist eine Einheit aus einer Vielzahl lebender Einzelwesen, den Zellen. Er ist in diesem Sinne ein >Zellenstaat<.Wenn die Einzelwesen solcher Vielzeller sich verselbständigen, ergibt sich unorganisiertes Wachstum in den Körpern: Wucherungen, Tumore und Krebsgeschwüre.

      Das Prinzip lebendiger Selbstorganisation zwischen den Zellen eines Tierkörpers vergleicht Konrad Lorenz mit Prägungslernen zwischen Eltern und ihren abhängigen Jungen zur Herstellung einer persönlichen Bindung. In Remanes Formulierung: "Lorenz [...] verglich den Vorgang mit Recht mit der Determination bestimmter Zellen oder Organe im Körper, die während der Entwicklung in einer sensiblen Phase durch Reize, die letztlich von anderen Zellen ausgehen, in bestimmter Richtung determiniert werden.

      Insektenstaaten, mit Aufgabenteilung zwischen nahe verwandten Artgenossen und körperlicher Spezialisierung der Individuen für ihre Funktion im Sozialverband, fasst Remane als eine weitere Evolutionsstufe der Komplexität lebender Systeme auf. Er schreibt über diese zusätzliche soziale Ordnung unter vielzelligen Lebewesen: "Еs gibt in der funktionellen Ordnung also eine starke Formung der Einzelwesen innerhalb des Systems durch das System. Die Formung ist nicht eine beliebige Abänderung, sondern führt zur Umbildung des Einzelwesens zu einem spezifischen Funktionsteil des Ganzen. Durch die Beschränkung der Leistungen und oft auch des Körperbaus wird das Einzelwesen in seiner Existenz abhängig vom Gesamtsystem. Es ist in dieser spezialisierten Form als isoliertes selbständiges Geschöpf nicht mehr lebensfähig.“ Remane bezeichnet solche langfristig stabilen Gemeinschaften von spezialisierten, wechselseitig voneinander abhängigen Artgenossen auch als "Sozialkörper", weil in einem solchen Tierstaat alle Grundfunktionen einer lebendigen Einheit aufgabenteilig von eigens dafür spezialisierten Mitgliedern bewältigt werden. Das verwirklicht sich materiell durch Selbstorganisation - wie auch in jedem Einzeller und Vielzeller. Systemtheoretisch sind Tierstaaten Lebewesen einer neuen Stufe der Komplexität lebendiger Materie - aufgrund einer zusätzlichen Ordnung funktioneller Aufgabenteilung mit Artgenossen. Daraus entstehen neue Eigenschaften dieser obligatorisch sozialen Spezies, eine weitere Stufe lebendiger Emergenz: Eusozialität. Remane beschreibt als wesentlich neu entstandene Qualitäten solcher Zwangsvereinigungen eusozialer Lebewesen folgende: "Die funktionelle Ordnung kennt zwar eine egalité ihrer Einzelwesen in der Anlage, der Potenz. Diese egalité wird aber durch Differenzierung und Arbeitsteilung praktisch in eine >inegalité< umgeformt. ... so wird die funktionelle Ordnung beherrscht vom Staatsegoismus, der kein Eigenrecht seiner Teile zulässt und sie zunehmend in den totalen Funktionsprozess des Gesamtkörpers eingliedert." Der Zerfall solcher hochkomplexen Sozialverbände gleicht dem Sterben eines vielzelligen Lebewesens: die Mitglieder überleben nicht als Einzelne - wegen ihrer Ungleichheit durch Spezialisierung an Körper und Verhalten.

      I 1. Natürliche Selektion

      Was all das für die menschliche Natur bedeutet, lässt sich schlussfolgern aus allgemein wirksamen Gesetzmäßigkeiten der natürlichen Selektion sozialer Eigenschaften bei mehr oder weniger vergesellschafteten Tieren und der stammesgeschichtlichen Evolution tierischer Sozialverbände. Denn wie alle Lebewesen entstand die Spezies Homo sapiens mitsamt ihrem Sozialverhalten durch Selbstorganisation nach Gesetzmäßigkeiten der natürlichen Selektion. Auch Jetzt-Menschen entwickelten sich in den körperlichen Grundlagen ihrer Triebe und Verstandeskräfte auf diese Weise. Übereinstimmungen an Organen und im Verhalten sozialer Tierspezies mit der menschlichen Gattung wurden also durch Einwirkungen derselben Gesetzmäßigkeiten biologischer Evolution gestaltet. Mit kultureller Entwicklung nahm soziale Selektion an Wirksamkeit zu und die Selektion durch Umgebungsfaktoren wie Klima, Nahrung oder Räuber wurde zurück gedrängt. In diesen natürlichen Zusammenhängen entstehen homologe Eigenschaften (Merkmale) an körperlicher Gestalt und Verhaltensweisen durch gleiche Gene, gleiche Erbanlagen, gleiche Abstammung und analoge Eigenschaften (Merkmale) durch evolutionäre Anpassung der Gattungen an gleiche Umweltbedingungen. Ein bekanntes Beispiel für Analogien ist die Stromlinienform der Wale, insbesondere ihre Flossen aus Säugetier-Füßen und -Händen. Stammesgeschichtlich begründete Homologie zeigen die vielen Übereinstimmungen an erblichen Eigenschaften, aufgrund gleicher Gene, von Schimpansen und Menschen.

      Biologische Fruchtbarkeit befähigt jedwede Spezies den gesamten Planeten mit Artgenossen zu bevölkern. Je fruchtbarer umso schneller. Die Abermillionen Nachkommen einer einzigen Generation von Fischen, Muscheln, Bäumen oder Insekten bieten dazu eine Vorstellung. Bei asexueller Fortpflanzung genügt theoretisch ein einziges Individuum für weltweite Ausbreitung. Jedes neu entstandene Lebewesen hat seinen individuellen Überlebensinstinkt und muss sich Nährstoffe aus seiner Umgebung einverleiben, braucht Platz und meist auch Licht. Es reicht nie für alle. Nur manchmal, wenn beispielsweise neue Lebensräume besiedelt werden, können sämtliche von einer Elterngeneration erzeugten Keimzellen auch überleben. Hochfruchtbare Spezies mit über eine Millionen Nachkommen pro Elternindividuum vermehren sich dann explosionsartig einige Generationen lang. Fruchtbarkeit ist oft Ausschlag gebend für Besiedlungserfolge, da alle Lebewesen mit ihrer jeweils größtmöglichen Nachkommenzahl um die begrenzten ökologischen Nischen auf Erden konkurrieren. Generell zeichnen sich Spezies mit globaler Verbreitung (Kosmopoliten) durch hohe Vermehrungsraten aus - relativ zu nahe Verwandten, die regional blieben.

      Das selektive Gestaltungsprinzip der belebten Natur, von sämtlichen Spezies und Individuen, in jeder Generation, nur jeweils Bestgeeignete für derzeitige Umweltbedingungen am Leben zu lassen, ist die letzte Ursache aller Leiden der Lebewesen. Die Gesetze natürlicher Selektion wirken auf jede lebendige Einheit, sei es Einzeller, Vielzeller oder Tierstaat grundsätzlich in zweifacher Richtung:

      1 Für bessere Anpassung, bezogen auf die jeweilige Umwelt der Generation, durch ‘survival of the fittest‘ also Überleben der Tüchtigsten, am besten Geeigneten.

      2 Für die Vermehrung so selektierter, damit lebendig erhaltener

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