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      „Kein Wunder, dass dort keiner leben will. Und du willst freiwillig für drei Wochen dort wohnen? Alleine? Du bist verrückt, weißt du das?“

      Marina kniff die Augen zu.

      „Aber gerade das ist doch, was mich so reizt. Die Atmosphäre. Gänsehaut pur. Nachts werde ich schreiben und bei Tag schlafen. Diese gruselige Einsamkeit werde ich einfangen. Wenn ich das nicht schaffe, bin ich es nicht wert, mich überhaupt Autorin zu nennen.“

      „Dein Mann wird nicht einverstanden sein“, wagte die Freundin einzuwenden.

      „Ach“. Marina winkte ab. „Ich glaube, Michael ist ganz froh, mich mal ein paar Wochen los zu sein. Ich habe es meiner Familie nach dem Desaster mit unserem Energieversorger und meiner daraus resultierenden Praxisschließung wirklich nicht leicht gemacht. Alles, wofür ich vierzehn Jahre lang hart gearbeitet habe, ist verloren.“

      Marina wurde auf einmal ganz nachdenklich. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

      „Dann kommt noch dieser Morbus Wegener ins Spiel, der es mir unmöglich macht, weiter eine körperlich schwere Arbeit auszuüben. Mein Mann arbeitet sich zu Tode. Aber er kann es allein nicht schaffen. Das Leben ist viel zu teuer geworden.“

      Eine dicke Träne tropfte auf die Tischdecke.

      „Ich möchte meinen Kindern etwas hinterlassen, Britta.“

      Die Stimme versagte Marina den Dienst. Britta nickte.

      „Komm, wir trinken noch einen Eiskaffee. Ich zahle.“

      KAPITEL ZWEI: Die Entscheidung

      In der Küche der sechzig Quadratmeter großen Wohnung saßen sich Marina und ihr Mann Michael gegenüber. Die Stimmung war aufgeladen.

      „Ich kann nicht glauben, dass du das durchziehen willst. Es ist gefährlich. Weit ab vom nächsten Dorf. In diesen Wäldern hat man wahrscheinlich nicht mal einen Empfang.“

      Marina atmete hörbar ein und aus.

      „Na Gott sei Dank. Das würde mir gerade noch fehlen, wenn ihr mich ständig nerven würdet.“

      Der Dialog des Ehepaares wurde unterbrochen.

      „Hallo ihr Zwei. Streitet ihr etwa schon wieder?“

      Eine hübsche, junge Frau betrat den Raum. Marina lächelte.

      „Bienchen, willst du einen Kaffee?“

      Die junge Frau setzte sich zu ihren Eltern an den Küchentisch. Sie blickte ernst von einem zum andern.

      „Was ist jetzt wieder los“? fragte sie direkt. Ihr Vater schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

      „Deine Mutter will für drei Wochen als Einsiedlerin in die Wälder bei Tschechien ziehen, um einen Roman zu schreiben.“

      Er seufzte.

      „Wir stören sie beim Schreiben.“

      Sabrina schaute stirnrunzelnd zu ihrer Mutter, welche sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte.

      „Was für eine Schnapsidee ist das schon wieder, Mama?“

      Die junge Frau schaute besorgt zu ihrer Mutter hinüber.

      „Wir haben Anfang Oktober. Wenn es zu schneien beginnt, bist du vielleicht völlig von der Außenwelt abgeschnitten.“

      „Es schneit aber nicht!“

      Marina setzte die Tasse, auf der ein blöder Spruch stand, hart auf der Arbeitsfläche ab.

      „Ich werde es tun. Es ist meine Entscheidung. Ich habe Herrn Groß bereits angerufen. Er ruft mich morgen an, um mir zu sagen, wo der Schlüssel deponiert ist. Das Navi ist programmiert. Ich muss es nur noch anbringen.“

      Michael und Sabrina schauten sich an. Sie wussten, weitere Einwände würden nichts bringen.

      „Wann willst du fahren“? fragte Sabrina.

      „Übermorgen. Ich besorge mir nur noch Lebensmittel und Getränke.“

      Sie setzte sich zu den beiden an den Küchentisch.

      „Ihr werdet wohl mal ein paar Wochen ohne mich zurechtkommen.“

      „Aber darum geht es doch nicht.“, versuchte Sabrina einzuwenden.

      Marina hob die Hände.

      „Keine weitere Diskussion. Ich fahre!“

      10. Oktober 2012

      Der Tag versprach schön zu werden. Als Marina den VW vom Hof steuerte, schien die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Ihr Mann war zur Arbeit gegangen, ohne sich von ihr zu verabschieden. Ihr Sohn Martin hatte am Abend vorher noch ein Telefonat mit seiner Mutter geführt. Er war ebenfalls besorgt. Andererseits machte er deutlich, dass er ihre Entscheidung respektierte und diese sogar als sehr mutig bezeichnete. Sie lächelte bei dem Gedanken an ihren Sohn. Er hatte sich nach pubertären Schwierigkeiten wunderbar entwickelt, eine Familie gegründet, ein Haus gekauft und sich selbstständig gemacht. Sie seufzte. Hoffentlich würden ihre Kinder niemals solch ein finanzielles Desaster erleben müssen. Alles hängt am Geld. Es ist eine unsichere Zeit. Marina folgte genau den Anweisungen der Frauenstimme, welche ab und zu aus dem Navi tönte. An der Grenze zu Tschechien legte sie eine Pause ein. Die Sonne hatte noch Kraft und nichts deutete darauf hin, dass der Oktober kein goldener werden sollte. Sie trank in einer Raststätte einen Kaffee und gönnte sich ein Stück Streuselkuchen. Leider hatte sie einige Kilo zugenommen. Was nicht zuletzt am Prednisolon lag, welches sie seit fast zwei Jahren wegen ihrer Krankheit nehmen musste. Sie hatte sich etwas abseits gesetzt und hing ihren Gedanken nach, welche sich, wie fast immer in letzter Zeit, ums Geld drehten. Die ständigen Sorgen hatten aus der einst so lebensfrohen Frau einen verbitterten Menschen gemacht. Trotz vieler Arbeit nie genügend Geld zu haben, war ein Phänomen der heutigen Zeit. Marina hatte es satt. Sie wollte mehr und sie wusste, dass sie das Zeug dazu hatte. Allerdings war ihr auch bewusst, dass es ohne entsprechende Lobby und ohne berühmte Eltern beinahe unmöglich war, Erfolg zu haben. Aber sie wollte es unbedingt schaffen. Ungewöhnliche Umstände erfordern eben drastische Maßnahmen. Sie hatte keine Angst. Nicht vor der Einsamkeit. Nicht vor dem Mörder und schon gar nicht vor wilden Tieren. Angst hatte sie nur, dass es so weitergehen würde. Sie hatte Angst vor der Armut.

      Sie räumte das Geschirr ab und fragte die Dame am Nachbartisch, ob nahe des Waldstücks die Möglichkeit bestünde, noch einmal Rast zu machen. Die Frau nannte ein Dorf, welches etwa eine Stunde entfernt lag. Man könne dort sogar übernachten.

      Michael seufzte. Gerade hatte er wieder einen Umschlag geöffnet. Eine Forderung des Verlages seiner Frau. Die Herstellung des letzten Buches hatte die Familie mehr Geld gekostet, als wieder hereingekommen war. Marina hatte die Rechnung in drei Raten abzahlen wollen. Diese war zum Glück die letzte. Das musste aufhören. Michael war wild entschlossen, seiner Frau die Pistole auf die Brust zu setzen. Wenn es diesmal nicht klappte, würde er sie vor die Wahl stellen. Er konnte nicht zulassen, dass dieser Traum seiner Frau die Familie ruinierte. Ihre Ehe würde zerbrechen, fürchtete er. Er schaute auf Marinas altes Handy, das wie ein Relikt auf dem Küchentisch lag.

      „Komm bitte heil zurück, du verrücktes Huhn, “ flüsterte er.

      KAPITEL DREI: Die Ankunft

      Der kleine Ort Ceska Kubice lag verschlafen am Fuß des Berges. Es war mittlerweile fast sechzehn Uhr. Graue Wolken türmten sich am Himmel. Es roch nach Regen. Marina beschloss, im Dorf zu übernachten. Eine kleine Pension am Marktplatz war genau richtig.

      „Ein Zimmer bitte. Nur für eine Nacht.“

      Sie hatte Glück. Die kräftig gebaute Frau mit dem freundlichen Gesicht sprach deutsch. Sie nahm einen Schlüssel vom Holzbrett hinter dem Tresen.

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