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ich brauche ihn nur anzusehen oder seine Stimme zu hören ... er ist der wunderbarste Mensch, den ich kenne.“

      „Die große Liebe, hm?“ Sabijes Stimme war ohne Spott, voller Mitgefühl.

      „Ach Sabe, ich war noch nie so verliebt. Ich meine - es gab diese kichernde, aufgeregte Jungmädchenverliebtheit, die eine oder andere Schwärmerei. Dann wurde es irgendwie härter. Prinzen, die sich als Frösche erwiesen. Aber das hier ... Als ich ihn das allererste Mal sah, wusste ich genau: Das ist er, der Mann meines Lebens.“

      „Du kanntest ihn doch überhaupt nicht.“

      „Irgendwie schon. Da war sofort so ein Gefühl ... Ich bin mir bei ihm ganz sicher. Wenn Michael mich an dem Tag gefragt hätte, ob ich ihn heiraten will, hätte ich ohne zu zögern ja gesagt.“

      „Ihn heiraten! Einen Mann, den du noch nie zuvor gesehen hattest!“ Das musste Sabije erst einmal verdauen.

      Zum Glück wurden in diesem Moment die Antipasti serviert. Die Freundinnen schoben einander Probierhäppchen auf die Teller. Mit der Routine einer langjährigen Beziehung pickte eine die schwarzen Oliven auf, die andere alle getrockneten Tomaten. Sonnenstrahlen streichelten ihre Gesichter. In einem kräftig pinkfarbenen Rosenbusch summten Bienen.

      Ob Michael auch eine Schwäche für Blüten in Pinktönen und italienisches Essen hatte? Inga stellte sich vor, mit ihm an einem Tisch in der Sonne zu sitzen und Wein zu trinken. Sie bemerkte Sabijes teilnahmsvollen Blick erst, als diese sie ansprach.

      „Meine arme Immeli. Dein Herz hat es wohl mitten drin erwischt.“

      Auch Jörg hatte mit einem gewissen Mitleid in der Stimme Bemerkungen über ihre ‚unglückliche Verliebtheit’ fallen lassen. Irritiert überlegte Inga, was sich daran so verkehrt anfühlte. Der Gedanke an Michael machte sie nicht traurig, sondern froh. Meistens jedenfalls. „Ich schätze, ‚unglücklich verliebt’ bin ich einfach nicht. ‚Unerwidert verliebt’ trifft es irgendwie besser“, sagte sie. „Im Grunde ist es doch schön, überhaupt lieben zu können. Festzustellen, dass es einen Menschen gibt, der diese überwältigenden Gefühle in einem auslöst ... Wenn ich Michael sehe oder nur an ihn denke, bin ich nicht immer nur traurig und frustriert, das manchmal auch, klar, aber vor allem macht es mich glücklich. Ich bin glücklich, dass es ihn gibt.“ Wie sollte sie es erklären? Inga fielen die Stunden nach ihrer ersten Begegnung mit Michael ein. „Erinnerst du dich an den Abend, als ich dich anrief und dir von meinem Entschluss zu kündigen erzählte?“

      „Aber ja. Du warst an der Elbe, und ich fühlte mich sehr in Versuchung, dich aufzuspüren und dich zu dem zu bringen, was ich als vernünftig ansah.“

      „An dem Abend war einfach alles perfekt: Die friedliche Landschaft, der Sonnenuntergang ... Und ich sah einen Fischadler ganz aus der Nähe, ich konnte sein Gefieder erkennen ...“ Inga lächelte bei der Erinnerung.

      Sabije lächelte ebenfalls. „Du Glückspilz. Das muss überwältigend gewesen sein.“

      „Ja. Und das meine ich: Der Fluss gehört mir nicht, die Felder und die Sonne und der Adler erst recht nicht. Nichts davon ist meins, aber es erfüllt mich mit einem solchen Glück, dass ich platzen könnte.“ Inga beugte sich über den Tisch und sah ihrer Freundin in die Augen. „Verstehst du, Sabe? Michael gehört mir ebensowenig wie der Adler über der Elbe, aber er macht mich glücklich.“

      „Einfach damit, dass er existiert“, sagte Sabije langsam und nachdenklich. „Ich glaube ich verstehe, was du meinst. Ein schönes Bild.“

      Inga trank von ihrem Wein und blinzelte in den blauen Himmel. „Klar wäre es mir lieber, wir kämen zusammen. Mit ihm könnte ich mir das gut vorstellen ... Ich möchte ein Kind von ihm.“

      Jetzt war es heraus. Inga atmete tief durch. Ja, sie wünschte sich Kinder. Von Michael. Allerdings hatte sie nicht den blassesten Schimmer, wie sie das anstellen sollte. Machte der auserwählte Kindsvater doch nicht einmal Anstalten, sie zu küssen.

      Inga saß im de Vries`schen Büro am Schreibtisch und erwartete jeden Moment einen Rückruf aus Rotterdam. Um sich die Zeit zu vertreiben, durchstöberte sie das Internet nach Michael Levin. Das hätte sie längst tun können. Leider fand sie außer seiner Praxis rein gar nichts. Nicht einmal ein Foto, das sie sich hätte ausdrucken können. Entweder war er zu altmodisch, um sich mit dem Internet zu beschäftigen, oder er hielt sich mit der Veröffentlichung persönlicher Daten bewusst zurück. Schade.

      Der Anruf aus Rotterdam ließ immer noch auf sich warten. Spaßeshalber gab Inga ‚Dr. Oliveira’ ein und fiel fast vom Stuhl, als sie auf der Homepage einer Rockband landete. Dr. Robson Oliveira, Sänger der Muddy Blue Waters. Wow. Inga erinnerte sich an die Begegnung im Krankenhaus, an diesen leicht wilden, unangepassten Touch, den er ausstrahlte. Na, das passte. Nachdenklich spielte sie mit der Maus. Bei Michael hatte sie, wenn sie ehrlich war, kaum eine Chance. Sabije und auch Jörg lagen ihr sowieso in den Ohren, sie solle ihn sich endlich aus dem Kopf schlagen. Ihn vergessen, das würde sie nie können, niemals. Aber was hinderte sie daran, sozusagen während sie auf ihren Zug wartete, zwischendurch ein gutes Buch zu lesen? Inga kopierte sich die Auftrittstermine in ein Worddokument. Nur mal gucken konnte ja nicht schaden.

      Wo waren die verdammten Dinger bloß? Dr. Stefan Prudens kramte im Kämmerchen hinter dem Aufenthaltsraum nach Filtertüten. Bärbel Lohmann sorgte stets dafür, dass immer frischer Kaffee und etwas Süßes bereit standen. Andere Vorzimmerkräfte hatten sich empört geweigert, auch nur ein einziges Mal Kaffee zu kochen, wohl aus Angst, sich mit niederen Tätigkeiten den Respekt der Ärzte zu verscherzen. Frau Lohmann jedoch schien es Freude zu machen, ‚ihre Chirurgen’ zu bemuttern. Sie war einfach wunderbar. Stefan genoss ihre kleinen Aufmerksamkeiten, besonders nach einer anstrengenden OP. Ausgerechnet heute war ihr freier Tag, und Stefan lechzte nach einer Tasse Kaffee.

      Zwei Personen betraten leise redend den Raum: Dr. Rettig und Schwester Wilma. Er war nicht gerade darauf erpicht, sich mit ihnen zu unterhalten. Vielleicht verschwanden sie gleich wieder. Als Dr. Oliveiras Name fiel, horchte Stefan unwillkürlich auf.

      „Unser Weiberheld steckt jedenfalls ganz schön in der Tinte. Sexuelle Belästigung, noch dazu von Patientinnen ...“

      Stefan stockte der Atem. Seit Tagen lag irgend etwas in der Luft, es wurde wild spekuliert. Doch bisher hielt der Alte sich eisern an seine Regel, keinen Wind zu machen bevor nicht tatsächlich gesegelt wurde. Und Oliveira wirkte wirklich sehr ernst und schottete sich womöglich noch stärker ab als er es ohnehin tat. Aber Patientinnen angrabschen? Hatte ein Kerl das nötig, dem die Frauen sowieso in Scharen hinterher liefen?

      „Ist er dir nicht auch schon mal zu nahe getreten, Wilma?“

      Das war ja wohl der Gipfel. Jeder wusste, dass Wilma den Oberarzt heftig angebaggert hatte - und abgeblitzt war.

      „Hm, ja, jetzt wo du es erwähnst ... Damals hab ich mich wohl so geschämt, dass ich ihn nicht angezeigt habe ...“

      „Vielleicht ist es langsam Zeit, das Schweigen zu brechen und dich jemandem anzuvertrauen. Dem Chef oder einer verständnisvollen Polizistin ...“

      Endlich verließen sie das Zimmer. Stefan wollte hinterherlaufen, sie zur Rede stellen, das böse Spiel vereiteln. Mit der Hand schon an der Türklinke sah er plötzlich Bärbel Lohmann vor sich, und sein Herz zog sich zusammen. Wenn Dr. Oliveira nicht mehr hier wäre - ob er dann eine Chance bei ihr hätte? Nein, das konnte er nicht tun. Aber er würde doch nicht wirklich etwas tun ... nur den Mund halten in einer Sache, die ihn nichts anging. Stefan zögerte und hasste sich gleichzeitig dafür. Um sich nicht zu verzetteln entschied er sich, erst einmal gar nichts zu unternehmen. Bloß kein blinder Aktionismus. Gerade so, wie er in einer fremden Stadt auch so lange weiter geradeaus fuhr, bis er wirklich sicher war, dass er abbiegen musste.

      Während die Kaffeemaschine vor sich hin blubberte, lehnte er an der Arbeitsplatte und dachte nach.

      Um elf Uhr abends herrschte in Drossels Imkerei eine fröhliche Stimmung. Ralf füllte mit konzentrierter Miene Honig aus dem großen Tank in Gläser, die er auf einen Tisch stellte. Inga und Marianne drückten Deckelpappen in die Kunststoffdeckel,

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