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Gut Nass. Ulf Imwiehe
Читать онлайн.Название Gut Nass
Год выпуска 0
isbn 9783738042719
Автор произведения Ulf Imwiehe
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Draußen im Park bellt ein Hund. Ein Mann schnauzt ihn an und der Hund bellt nur noch irrer. Ich beneide beide. Bürgermeister Marther hebt lustig die Brauen und sieht mich, leise mit den Fingern gegen seine Maus klickernd an. Tante Heidi putzt unsichtbare Verschmutzung von ihren Brillengläsern. Ich muss hier raus.
»Ja, das ist doch mal was«, rufe ich. Ein euphorisierter Scheinriese. Ich strahle Bürgermeister Marther und Tante Heidi an, bis mir vom Grimassen schneiden das Gesicht wehtut und beide wirken, als seien sie kurz davor, den Champagner herauszuholen.
Es folgt ein Stroboskopenmahlstrom von Händeschütteln, Schulterklopfen, mit hoher Dringlichkeit vorgetragenen Einschwörungen (»Aber noch kein Wort von der Übernahme des Bades, Herr Freiwaldt. Zu niemanden. Das ist noch streng geheim. Gemeinderat und Investor müssen noch einiges festklopfen und wir wollen doch keine unnötige Unruhe bei Personal und in der Öffentlichkeit auslösen, nicht wahr?«) und immer wieder Beschwichtigung. Dann im Jagdgallop mit Tante Heidi durchs Rathaus in die IT-Abteilung, hier unterschreiben, bittesehr, ein prima nagelneues iPhone, schwarz magst du doch so gerne, aber pass auf, dass dir das nicht so zerkratzt in deinem Rucksack, immer schön erreichbar sein, wichtig, wichtig, Emailkonto ist schon eingerichtet, das Gerät vom Klamm ist ja gegrillt, schrecklich, schrecklich, alles Gute im neuen Job, auf Wiedersehen und keine Sorge wegen dem Gehalt, Ergänzung zum Arbeitsvertrag ist schon so gut wie unterwegs, muss doch alles seine Ordnung haben. Und ich stehe draußen vor dem Rathaus in der Sonne, gar nicht übel, nicht zu heiß, blicke über den Bürgerpark, blicke zu Schlüter, den quallig schimmernden Altbauten davor, in denen bis zum Krieg die Werksverwaltung untergebracht war und die jetzt als Sozialwohnungen dienen, blicke die Straße zur anderen Seite hinauf, rechts hinter den Hecken bläht sich die Grundschule mit der wohl hässlichsten Turnhalle der gesamten Lüneburger Heide, weiter oben die Neubausiedlung, die älter ist als ich aber immer noch als neu gilt, dann dunkel wogend Tannen, Kiefern, Buchen, Eichen, und schließlich darin verborgen, wie eine Legende, das Forstbad.
Alles sieht aus wie immer und doch ist alles grausam anders. Metallisch fremd. Gläsern hart und endgültig. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, worauf ich mich da eingelassen habe, nehme mir jedoch vor, diesen ganzen Irrsinn mit der größtmöglichen Gelassenheit als aufregend zu betrachten und schließe mein Fahrrad auf. Bewegung, Schweiß und Schmerz. Bloß raus aus meinem Kopf, was ist da bloß wieder los? Wildnis. Bloß raus aus diesem Nest.
Ich springe aufs Rad, mein rettendes gleichgültiges schwarzes Prothesentier, gleite rechts die Straße hinunter, weg von Rathaus und Forstbad, quer durch den Park (zweimal Blinzeln), Schlüters Kalorien in die Luft sottendes Werksgebiet entlang, dann durch den Kreisverkehr, vorbei an Bibliothek, Sparkasse und Post, raus auf die Allee Richtung Bomlitz, zwei Kilometer Fahrradweg, dann rechts in Westerharl zum alten Friedhof, auf dem sich die Koniferen um eine einzige, greise Birke krümmen, und weiter, links, rechts, schaukelndes Fabrikgetreide, Wald, Dorfmark erhebt sich aus der dünstenden Senkung, rechts über die Feldmark, bebend, springend und zurück auf die Kreisstraße. Richtung Bad Fallingbostel jetzt und wieder Wald, immer Wald. Gerade, lange Strecke. Ich hebe mich leicht aus dem Sattel und schalte höher, hell, dunkel, dunkel, hell, hell, dunkel. Alles brennt. Die Zunge pelzt. Ich bin durstig. Gut. Am Kreisel (auf gottverlassener Flur, na, wenn's die Unfallstatistik senken hilft) lasse ich mich bergab rollen und überlege kurz, wieder Richtung Bomlitz abzubiegen. Nein, nein, so geht das nicht, mehr Leid! Also weiter durch Bad Fallingbostel, raus, nach Düshorn, Walsrode, dann langsam heimwärts, ja bin ich denn bekloppt? Kurz vor Uetzingen lässt die Wirkung nach. Auf dem Grünstreifen liegt eine zerplatzte Katze, ihr umgekrempeltes Fell strahlt schwarz und weiß, eine Pfote ragt aus dem dreckigem, grau und rot durchschlungenem Kadavergewirr. Ein letzter Gruß. Ich biege links Richtung Borg ab und lass die Tritte länger werden, gnädiger. Die Sonne steht tief und kitscht golden sämigen Werbehonig. Durch Borg also, diese seltsame Reihe von menschenlosen Häusern und staksendem Rehwild auf den vernarbten Weiden, durch Benefeld, an Bomlitz vorbei, dann weiter nach Schweigen zum alten Zöllnerhäuschen auf der Anhöhe am Bach vor dem Ortsschild. Ich holpere über den Kopfsteinpflasterweg, lehne mein Rad an eine schartige Eiche und setze mich auf die grob aus Stämmen gehauene Bank neben dem Hinweisschild: Zollhaus Schweigen, ehemalige Wohnstätte des Schriftstellers Tassilo Eisen, der in den Jahren von 1949 bis 1990 hier gelebt und gearbeitet hat. Darunter das übliche historische Brimborium über Bronzezeit, Grenzverläufe im Dreißigjährigen Krieg, Westfälischen Frieden, Frankreich, Kaiser, Nazis und lauter so Scheiß.
Ich fummele eine halbvolle Plastikflasche Volvic aus dem Rucksack. Urinaltemperiert, welch eine Erlösung. Dann kram ich das iPhone hervor, tipp und wisch da ein bisschen drauf rum (tatsächlich, sämtliche Kontaktdaten der Gemeindeverwaltung schon hinterlegt, da klappt ja doch noch was!) und versuche erfolglos herauszufinden, wie ich den Krempel von meinem Samsung da rüber schieben kann. Bevor ich noch alles frustriert im Bach versenke, tippe ich den ganzen Mist lieber stumpf ab. Ist ja auch weniger entfremdend, wenn man mal wieder richtig Handarbeit verrichtet, so klebrig dasitzend im eigenen Gestank. Drecksmücken, rauchen müsste man.
Ein tollwütiges Moped kreischt unten die Straße entlang und stürzt sich in den Ort, ein Auto hupt in grüßender Komplizenschaft oder aus Hass. Fast sieben. Da müsste Maike eigentlich mit allem Gelerne durch sein an der Uni. Oder, warte mal, muss sie heute arbeiten, in der Wohngruppe für Borderliner? Obwohl, da war sie ja erst am Sonntag gewesen. Deswegen ist sie ja schließlich am Wochenende nicht nach Hause gekommen. Ich werde es mir nie merken können bei all den hundert Dingen, die sie so treibt aber ihr geht es mit meinem Dienstplan auch nicht anders. Vor allem, weil der eh nur auf dem Papier existiert und fast täglich aufs neue zerwolft wird. Ich greife zum Samsung, aber von wegen! Wenn die mir schon so eine Fußfessel verpassen, sollen die mal nicht glauben, dass ich noch mein eigenes Geld fürs quasseln ausgebe. Flatrate, mon amour...
»Hallo?« Ihre Stimme, immer sicher, immer klar, immer wissbegierig. Im Hintergrund brüllt Bremen, sie muss wohl unterwegs sein.
»Ahoi, Käpt'n, hier ist Flex«, schrille ich, fahre vor mir selbst zurück und versuche meine dumme Aufregung zu drosseln.
Sie stöhnt. Sie hasst es, wenn ich sie so nenne. Sagt sie.
»Felix? Was ist das denn für eine Nummer von der du anrufst?« Ich sehe im Geiste ihre Sommersprossen sich unwirsch grübelnd zusammenballen. Im Hintergrund robotet die Haltestellenansage tantenhaft: »Sielwall.« Muss wohl auf dem Weg nach Hause sein. Nicht das richtige Zuhause, also unseres. Ihre WG in der St.-Pauli-Straße im Ostertorviertel mit ihrer Kommilitonin (Katja? Maja? Vaja?) und diesem total verstrahlten sogenannten Künstler. Ob die beiden den Schrägo wohl sezieren und auf links drehen wenn sie unter sich sind? Können Psychologiestudentinnen da widerstehen?
»Och«, tue ich lässig, wichtig. »Ich wollte nur mal sehen, ob meine neues Diensthandy funktioniert.« Und erzähle ihr die ganze absurde Geschichte von Klamms Tod, den sie, außer als häufigsten Hauptschurken meiner fast allabendlichen Nervenzusammenbruchsoperetten vor allem deswegen kennt, nein kannte, weil der ihr mal kurz vor der Einschulung das Seepferdchenabzeichen abgenommen hat. Ich bin gerade inmitten meiner besten Imitation von Bürgermeister Marthers und Tante Heidis typisch labyrinthischem Gewäsch, als sie mich unterbricht.
»Felix, das ist wirklich alles ganz toll. Also, nicht mit dem ollen Klamm, jetzt. Das wünscht man ja keinem! Aber deine Beförderung, das freut mich echt für dich.«
Ob sie sich wohl gerade wieder mit einer Strähne ihrer Kupfergoldhaare einen Schnurrbart macht, wie sie es manchmal tut, wenn sie in ein Gespräch verwickelt ist aber eigentlich ganz woanders sein will? Da raschelt doch was!
»So wie du immer über den ganzen Terror da im Forstbad geschimpft hast... Da war's doch höchste Zeit, dass die deinen Einsatz auch mal würdigen.«
Die Stimme sagt: »Theater am Goetheplatz.« Hätte sie nicht schon eine Station vorher aussteigen müssen, wenn sie nach Hause