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Gedanke: Die Welt ist Schwingung.

      Aus den Lautsprecherboxen erklang die Fortsetzung des Sketches, dem auch Max jetzt lauschte und dem leisen Lachen von Clarissa, insbesondere Clarissas leisem Lachen.

      Uldis Anders: Und was wollten die Kreaturen von Ihnen? Wollten Sie speziell was von Ihnen oder was über die Menschheit wissen, die Menschheit im Allgemeinen?

      Norbert Husen: Ich glaube sie teilen meine Liebe für Metall, aber hauptsächlich ging es ihnen um ihr Museum da oben, alles über Rock ‘n’ Roll.

      Uldis Anders: Rock ‘n’ Roll?

      Norbert Husen: Ja, unser Rock ‘n’ Roll, und den einzigen Song, den sie jemals gehört haben, war von Manfred Mann. Und sie waren unsicher über den Text seines Hits. “There I was a-walking down the street going Doo Wah Diddy Diddy, Dum Diddy…“. Und ein Teil des Textes fehlte ihnen.

      Uldis Anders: Ach ja!?

      Norbert Husen: Sie kamen also nur bis: „Doo Wah Diddy Diddy, Dum Diddy“. Und sie wollten wissen, was danach käme.

      Uldis Anders: Konnten Sie es Ihnen sagen?

      Norbert Husen: Nein, ich kannte den Text überhaupt nicht. Sie waren also sehr unzufrieden mit mir, öh sie sind mit fast allem sehr unzufrieden da oben auf Ikea.

      Uldis Anders: Wie haben Sie mit ihnen gesprochen. Sprachen sie deutsch?

      Norbert Husen: Nein, sie denken, sie könnten sprechen und kommunizieren durch - durch Gedankenwellen, durch Schwingungen - zeitlose Äonen-Schwingungen.

      Uldis Anders: Und Sie konnten die aufnehmen, oder?

      Norbert Husen: Ich verstand, dass sie unzufrieden waren, mit dem, was sie hatten.

      Uldis Anders: Jaaa... Äh, wie war die Atmosphäre auf Ikea?

      Norbert Husen: Nun, ist sehr dünn. Sehr, sehr dünne Atmosphäre. Hätte ich nicht etwas Luft in meinem Pullover und in meinen Socken dabei gehabt, ich wäre ganz bestimmt erstickt.

      Uldis Anders: Was für Nahrungsmittel haben sie. Essen sie?

      Norbert Husen: Nein, sie halten Diät seit zwei Millionen Jahren. Sie essen nicht. Sie haben weder Mägen noch Münder, sie haben nur - nun, ich habe ihnen das Bild gezeigt - sie haben die Form eines Otters mit zwei Schlitzaugen. Ist also eine gute Sache, dass sie nicht essen, weil, sie haben einfach nichts, wohin sie die Nahrung stecken könnten.

      Uldis Anders: Hat die Erfahrung Sie irgendwie verändert?

      Norbert Husen: Ja. Ein Erlebnis wie das – ja was glauben Sie denn, ein Erlebnis fürs Leben war das, ein Lebenserlebnis sozusagen – das prägt, hat mich zum Nachdenken gebracht und mir ist klar geworden, ganz klar, ich bin mir bewusst geworden wie unbedeutend, wie unendlich unbedeutend...

      Max hielt mit dem Schaukeln inne und horchte, wartete auf die Antwort, aber weil der Entführte nicht weiterkam, sprang Uldis Anders ein: „Wie unendlich unbedeutend wir sind.“

      Norbert Husen: Nein, nein, ganz und gar nicht, ich meine, wie unbedeutend sie sind.

      Uldis Anders: Vielen Dank, Herr Husen.

      Neben der Liege lag ein Roman. „Die Entdeckung der Currywurst.“ Max schlug das Buch auf und las: „Siehste, sagte sie, schüttete etwas Curry in die heiße Pfanne, schnitt dann mit dem Messer eine Kalbswurst in Scheiben hinein, sagte Weißwurst, grausam, und dann noch süßer Senf. Sie schüttelte sich demonstrativ: Brrr, klackste Ketchup in die Pfanne; rührte; gab noch etwas schwarzen Pfeffer darüber und schob dann die Wurstscheiben auf den gefältelten Pappteller: Das is reell. Hat was mitm Wind zu tun. Glaub mir scharfer Wind braucht scharfe Sachen.“

      Er legte das Buch wieder zurück und erhob sich ganz vorsichtig aus seiner labilen Liege, hockte sich hinter einen Rollcontainer neben dem Schreibtisch, durchsuchte die Schubladen von unten nach oben, fand nichts Bemerkenswertes und öffnete die oberste ohne Spannung, der Inhalt könnte eine Spur oder etwas Aufregendes über Liedvogel enthalten. Und doch steckte eine Überraschung darin, die ein Sonderplätzchen in seiner Schublade mit dem Schildchen „Menschliches allzu Menschliches“ bekommen würde.

      „Schauen Sie sich das mal an“, rief er zu Clarissa hinüber.

      „Das ist ja eine elende Sauerei“, sagte Clarissa.

      Sie starrten auf ein halbes Dutzend Äpfel in unterschiedlichen Verrottungszuständen. Aus einem Prachtexemplar, nun dunkelbraun und mit Schimmelstippen übersät, sinterte gelblicher Saft. Sie standen vor einem Rätsel und hatten zugleich das Rätsel des fauligen Gestanks gelöst.

      „Vielleicht wirkt der Geruch beruhigend“, meinte Clarissa.

      „Oder stimulierend“, sagte Max.

      „Seine Tochter ist doch so eine esoterische Wunderheilerin. Womöglich Spezialistin für Heilungen mit der freundlichen Hilfe von fauligen Ausdünstungen“, sagte Clarissa.

      Der Verkehr steckte im Regen fest. Meter um Meter näherten sie sich der Wilhelmstraße.

      „War für seine Frau ganz natürlich, dass die Schublade immer mit solchen Äpfeln gefüllt sein musste. Empfand offenbar keinen Widerspruch zur sonstigen Ordnungsliebe des Professors“, sagte Clarissa.

      „Wollen Sie damit was sagen oder nur was sagen?“, fragte Max.

      „Außen hui, aber die Nase polymorph pervers“, sagte Clarissa.

      Clarissa brauchte den Seitenblick von Max nicht zu erwidern, um zu wissen, dass seine Mundwinkel spöttisch zuckten. Er hielt die halbreligiösen Torheiten des Wiener Scharlatans für das, was sie waren: Albernheiten für Pubertierende.

      „Wer fauligen Geruch liebt, an dem muss nicht notwendigerweise selbst etwas faul sein“, sagte er.

      „Wir nehmen uns morgen diesen Jäger vor, bei dem die beiden vorgestern zu Abend gegessen haben.“

      „Wegen der Waffen, weil ein Jäger Waffen hat?“

      „Nein, weil wir irgendwo anfangen müssen. Und in der Uni müssen wir Liedvogels Neider finden, „sagte Max“, die Leute, die ihm was schulden, die Studentinnen auf seinem Schreibtisch. Wem er die Karriere verbaut hat.“

      Murmelnd fuhr Max fort: „Wollte er sich mit den Äpfeln antreiben? Nach dem Motto, nutze den Tag, warte nur, balde faulest du auch?“

      „Das ist doch krank“, sagte Clarissa.

      „Wir müssen schnellstens herausfinden, mit wem er umgeht, wen er kennt, betuppt und ausbeutet, daraus lassen sich Motive ableiten.“

      „Die Talksituation in dem Video war irgendwie nicht echt“, sagte Clarissa.

      „Was soll daran echt sein, ist nie echt, ist immer gestellt, gemacht, abgesprochen und verlogen, die Wirklichkeit noch mal verbogen.“

      „Jaja, aber ich meine, ich hatte das Gefühl, die war noch unechter, nur das Spiel einer Talkshow, ich weiß nicht, eine simulierte Talkshow, aber ich weiß nicht wieso.“

      „Aber Sie haben sich ganz köstlich amüsiert?“

      „War witzig, absurd, ich finde verrückt gut, wie der Hörsaal als Tatort verrückt gut war. Der Ort war dem Täter wichtig“, sagte Clarissa.

      „Eine öffentliche Hinrichtung!“

      „Abschreckung!“

      „Wer abschrecken will, braucht einen Empfänger, einen der mitkriegt, dass es ihm an den Kragen gehen soll, ein Bekennerschreiben mit einer Drohung, haben wir aber alles nicht, noch nicht.“

      „Und wenn’s so wäre, dann müssten wir mit weiteren...“

      „Sprechen Sie nicht weiter!“, sagte Max und dachte an die Folgen für seine Karriere. Wenn

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