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Das Veteranentreffen. Peter Schmidt
Читать онлайн.Название Das Veteranentreffen
Год выпуска 0
isbn 9783847655077
Автор произведения Peter Schmidt
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Nicht vor dem Frühstück, Bertrand. Denken Sie immer daran, dass diese alten Knaben ihre Nachtruhe brauchen …“
Ich zog meinen Morgenrock an, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen, sah aber nur noch Aschs wehenden, schwarzglänzenden Ledermantel durch den Hintereingang verschwinden.
Sein Anblick vermittelte mir immer das Gefühl, etwas von dem tranigen Robbenöl zu riechen, mit dem er sein Mantelleder pflegte (er schwor darauf – der obligate ‚Geheimtipp’; seiner Meinung nach war es das einzige Mittel, Leder in unserer mitteleuropäischen Witterung weich und geschmeidig zu erhalten), und weil die Entfernung viel zu groß war, um wirklich etwas riechen zu können, wurde mir plötzlich bewusst, wie stark wir auf alte Sinnesreize reagieren und wie viele plastische Erinnerungen, die fast schon Halluzinationen gleichkommen, durch sie ausgelöst werden.
Während meiner Arbeit hatte ich mich lange mit den Biographien und Lebensläufen östlicher Politiker beschäftigen müssen.
Ich hatte alte Fotos und Filme gesehen, Krankenberichte analysiert und dabei gefunden, dass die Konfrontation mit einem Zeitungsfoto einige Jahre später unvermittelt den Eindruck erzeugen konnte, man habe den Betreffenden nicht nur aus der Ferne, sondern auch persönlich gekannt. Tschernenko zum Beispiel, die Hinfälligkeit seiner Gebärden, kurz bevor er – so das öffentliche Bulletin – einem Lungen- und Leberleiden erlegen war, die Art, wie man ihn stützen und aus dem Zimmer geleiten musste, hatte mir beim ‘Anblick alter Fotos noch Monate später das Gefühl vermittelt, er sei ein guter alter Bekannter gewesen …
Ich fragte mich, was diese Assoziation – von Lederfett und russischen Politikern – so plötzlich wachgerufen haben könnte – vermutlich die nachtschlafende Stunde –‚ und strich mir leicht verwirrt mit den Fingerspitzen über die Stirn.
Dann zog ich den Gürtel meines Morgenrocks enger und machte mich auf den Weg in die Hotelhalle.
Asch stand am Treppenabsatz, als er mich erblickte. Seine vorgebeugte, krumme Valentingestalt unter dem weiten Mantel erinnerte auf bizarre Weise an eine Vogelscheuche – so ausgehöhlt und klapprig, dass sie nicht einmal mehr die Stare ganz ernst nehmen würden.
Aber sein Blick zeigte noch immer jenes besessene, ja fast schon hasserfüllte Brennen, das einem signalisierte, man nehme sich besser vor ihm in Acht. Ich fand seine Lider noch ein wenig geröteter als sonst. Die Augen eines Wahnsinnigen.
Er verzog nicht einmal das Gesicht, sondern deutete nur stumm zum ersten Stockwerk. „Kommen Sie, Frank, da hinauf …“
Die erste Tür im Gang war ein Besprechungszimmer. Fünf, sechs hölzerne Stühle, im Halbkreis aufgestellt, an der Wand dahinter ein kahler Tisch.
„Ich werde morgen nach dem Frühstück eine historische Ansprache halten“, eröffnete er mir, kaum dass wir uns gesetzt hatten. „Sie sollen der erste sein, der davon erfährt. Erinnern Sie sich noch an unsere Nacht auf dem Bahnhof Friedrichstraße? Damals vertraute ich Ihnen an, die Welt dürste nach Verständigung. Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit statt Kaltem Krieg. Glasnost, Transparenz und so weiter …?“
„Ja, ich erinnere mich.“
„Nun ist es so weit, Frank.“
„Es ist so weit? Was meinen Sie?“
„Ich brauche Ihre Hilfe, Frank.“
„Gern – wenn ich meinem guten alten Freund Asch einen Gefallen tun kann?“
„Tun Sie’s lieber im Namen der internationalen Verständigung.“
„Meinethalben auch im Namen Albert Schweitzers oder Mutter Theresas. Aber was, zum Teufel, soll ich tun? Worum geht es eigentlich? Sie wissen, dass ich von all dem Verständigungsgesäusel nie viel gehalten habe, Karl? Irgendein kluger Kopf hat mal vorgeschlagen, mehr Kriminalromane zu lesen, weil uns das dazu brächte, unsere schwarzen Phantasien zu kontrollieren. Die Politiker ändern sich nicht. Nach wie vor lesen sie zu wenig Horrorgeschichten – und setzen lieber selber welche in Szene.“
„Ja, Sie sind der alte Zyniker geblieben, Frank.“ Er nickte bekümmert. „Ein kalter Krieger ohne Schwert. Es hat Ihnen noch immer mehr Vergnügen bereitet, die paar positiven Impulse in den Dreck zu ziehen, die große Taten beflügeln, als auch nur einen davon zu unterstützen oder zu bestärken. Aber diesmal bitte ich Sie als Freund.
Sie sind Experte für Verhörfragen. Sie verstehen es wie kein anderer, Geheimdienstberichte zu analysieren. Und vor allen Dingen: Sie sind Mediziner.“
„Ehrlich gesagt – vielleicht ist es ja nur die vorgerückte Stunde“, erwiderte ich und massierte blinzelnd meine Schläfen mit den Fingerspitzen, „aber Ihre Ausführungen überfordern mich etwas.“
„Ja, natürlich. Ich habe Ihnen noch gar nicht gesagt, weswegen wir hier sind.“
„Man munkelt viel darüber, aber keiner weiß Genaues. Bertrand behauptete, es sei das dickste Ding seit Kaisers Zeiten?“
„Dieser Bertrand, ja, ja …“, meinte er versonnen. „Neigt immer zu Übertreibungen. Aber ein wenig ist schon dran an dem, was er sagt, Frank.
Haben Sie jemals darüber nachgedacht, was mit dem Wissen alter ausgemusterter Geheimdienstler passiert?
Einige sind verbrannt, andere verlassen den Dienst, weil sie die Altersgrenze erreicht haben. Wegen Schwerhörigkeit, Herzschwäche oder weil die Augen nicht mehr mitmachen. Und die Nerven natürlich. Sie gehen in Pension und sind zum Schweigen verurteilt, aber jeder Journalist würde sich nach ihren Informationen die Finger lecken.“
„Na und?“, fragte ich.
„Das alte Wissen, Frank … es ist nicht wert- oder bedeutungslos. Einst wurde damit Politik gemacht.“
„Schnee von gestern“, sagte ich.
„Nicht immer, Frank. Manchmal, ja. Aber es gibt genug, das erst auszuloten wäre. Diese Leute sind schließlich Geheimnisträger. Man hat ihnen Auflagen erteilt, die sie zum Schweigen verpflichten – aber was, wenn jemand käme und ihr altes Wissen als Kapital betrachtete?“
„Ehrlich gesagt, Karl, ich verstehe noch immer nicht, worauf Sie eigentlich hinaus wollen?“
„All die alten, nutzlos dahinvegetierenden Knaben könnten ihre Kenntnisse, ihre früheren Kontakte und Beziehungen in die Waagschale werfen.“
„Und wozu, Karl?“
„Um ein wenig Glasnost in die Ost-West-Politik zu bringen.“
„Glasnost, aha.“
„Und um Druck auszuüben. Um durch gezielte Informationen Politik zu machen. Im guten, im besten Sinne, Frank.
Die gegenwärtige Situation ist besonders günstig dafür. Nie standen die Zeichen der Zeit so deutlich auf Verständigung und Abrüstung wie jetzt. Niemals vorher seit dem Zweiten Weltkrieg gab es so viel Bereitschaft, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
Was, wenn wir dabei ein wenig nachhelfen, Frank? Wenn wir die Erzkonservativen, die Renegaten und Desillusionierten, die Bremser und ewig Gestrigen im rechten und linken Lager ein wenig auf Trab brächten?
Würde uns das keinen Platz in der Geschichte sichern, Frank? Das wäre doch eine lobende Erwähnung wert?“
Ich kramte in der Tasche meines Morgenrocks nach einem von ‚Mayers sauren Krümeltürken’, zündete ihn an und blies den Rauch gedankenverloren zum Fenster … Also darauf war Asch aus: Von seiner eigenen Bedeutungslosigkeit erfüllt, trieb es ihn jetzt kurz vor Toresschluss dazu, sich ein wenig bemerkbar zu machen, Spuren zu hinterlassen. Wenn ich richtig sah, hatte er weder Frau noch Kinder. Sein Werk würde alles sein, was blieb. Asch als historische Gestalt, als heimlicher Lenker der Politik …
„Die lange Enthaltsamkeit vom Dienst scheint Ihnen gar nicht gut bekommen zu sein, Karl“, sagte ich so vorsichtig