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wie Hulle. Peter Baldinger
Читать онлайн.Название wie Hulle
Год выпуска 0
isbn 9783738040531
Автор произведения Peter Baldinger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Spielst du Gitarre?“ fragte ich einen besonders Langhaarigen. Er hatte einen braunen Hirtenmantel an. Seine Matte lag locker auf dem Schafsfellkragen und bedeckte noch fast den ganzen Rücken. Seine Füße hatte er ganz dicht nebeneinander gestellt. Er machte keine überflüssigen Bewegungen - sparte Energie.
„Ja“, sagte er knapp.
„Kannst du mir Unterricht geben?“ fragte ich ihn.
„Nee“, erwiderte er, weiter bewegungslos, „aber der.“ Nur seine Kippe deutete auf einen Typen der neben ihm stand. Der war etwas kleiner, hatte auch eine stattliche Matte und einen abgebrochenen Schneidezahn. Er hieß Matze.
Zwei Tage später war ich bei ihm zu Hause in Laatzen. Ich zeigte ihm meine Gitarre und er sagte sie sei Schrott. Wir fingen mit dem Unterricht an. Er zeigte mir, wie man Akkorde spielte. Ich klampfte einen ‚Donovan‘ Song und sollte dazu auch singen. Konnte ich aber nicht und hasste es deshalb.
Einen Monat später ging ich mit Matze in die einschlägigen Instrumentenläden. Matze sah sich alle E-Gitarren an. Er hielt sie hoch und prüfte, ob der Hals gerade war, dann spielte er sie durch. Er quatschte mit den Leuten, die ihn alle kannten, da er regelmäßig Gitarren austestete. Ich stand wie ein Depp daneben. Am Schluss kauften wir eine feuerrote ‚Epiphone‘. Wegen Matze kriegte ich Prozente. Auch gut.
Ich überredete den Alten, mich nach Wunstorf zu fahren. Dort spielte in der Aula einer Schule Matze mit seiner Band. Der Nachhilfeschüler vom Alten war auch da. Als er den Alten sah, verdrückte er sich.
Es war ein Hippiekonzert. Matzes Freundin, eine superdufte, langhaarige, knödelbusige Frau in einem Hippiekleid verteilte Räucherstäbchen im Publikum. Kerzen und Wunderkerzen brannten. Der zweite Gitarrist war Matzes Freund von der Schule. Auch beim Gitarre spielen stand er wie eine Steinsäule da. Nur seine Hände bearbeiteten das Griffbrett. Astrein. Es waren nicht mehr als dreißig Leute da, also stellte ich meinen grauen Plastik-Mono-Kassettenrekorder (Neckermann – Hausmarke, zu Weihnachten bekommen), auf den Tisch, stöpselte das Mikrofon ein und nahm das Konzert auf.
Die Band spielte atmosphärische Stücke, die eine halbe Stunde und länger dauerten - mit viel Wah-Wah-Gitarre. Gewaltig! Ich schwamm weg.
Nach ein paar Stunden, das Konzert schien endlos, wurde der Alte ungeduldig, weil er nicht viel trinken konnte und wir düsten zurück.
Zu Hause schaltete ich den Kassettenrecorder ein und hörte mir die Aufnahme an. Nicht so doll, weil übersteuert.
Ich saß am Schreibtisch, der in Wirklichkeit ein alter Küchentisch abgedeckt mit einer hellgelben Leinendecke war und sah durch die Gardine aus dem Fenster. Das Haus gegenüber sah genauso aus wie unser Haus, nur gespiegelt. Braune Fassade. Stierte ich ewig an.
Im Aquarium schwammen die Rotbrustbuntbarsche, die mir jemand angedreht hatte. Sie hatten alle anderen Fische und die Pflanzen aufgefressen. Nun wühlten sie in den Steinen.
Eigentlich sollte ich Hausaufgaben machen, aber dazu hatte ich echt keinen Bock. Also radierte ich weiter alle Köpfe aus den Fotos meines Geschichtsbuchs aus. Das war unglaublich mühselig, weil ich das Papier nicht kaputt machen wollte. Es hatte mich schon zwei Wochen Arbeit gekostet. Hauptsächlich in den Geschichtsstunden und eben nachmittags zu Hause. Auf die entstandenen weißen Flächen malte ich den Leuten entweder Penisse oder Glühbirnen. Die Entscheidung war weitgehend zufällig, obwohl klar war, dass Napoleon einen winzigen Penis mit knubbeliger Eichel bekam und Bismarck einen, der lasch nach unten hing. Wenn die Körper eine Glühbirne kriegten, so akzentuierte ich mit einem goldgelben Buntstift den Glühfaden und den Schein.
Endlich war das Buch fertig! Ich blätterte alles noch mal durch. Sah astrein aus.
Der Alte kam von der Arbeit nach Hause und hatte schon einen im Kahn. Er stolperte schnurstracks in mein Zimmer und wollte die Hausaufgaben kontrollieren. Wie immer mäkelte er an dem bisschen, was ich gemacht hatte, rum und fensterte mir welche.
Dabei musste ich auch laufend Schwachsinn machen:
Erstens Blätter von Bäumen trocknen; die Blätter in Alben kleben; pressen und herausbekommen, wie die Bäume hießen, von denen sie stammten. Das hatte ich dann auch noch in gestochenen Druckbuchstaben drunterzuschreiben. Gähn!
Zweitens in Mathe gut sein, weil der Alte in Mathe immer gut war und er wollte, dass ich das auch werde.
Drittens Latein lernen, weil der Alte versprochen hatte, mir dabei zu helfen und er in Französisch eine Niete war. Super Hilfe - die Backpfeifen!
Im Sommer blieb ich sitzen. Der Alte gab meine schulische Karriere auf und sagte, ich müsse eine Lehre anfangen. Leere Drohung!
Familienurlaube fand ich grundsätzlich ätzend:
Vor zwei Jahren hatten wir einen Wohnwagen im Schwarzwald auf einer Weide gemietet. Es hatte pausenlos aus Kannen geschüttet. Wir haben in der Blechdose gehockt, Mau-Mau gespielt, Fliegen gefangen und sie in das Netz einer fetten Kreuzspinne geworfen.
Meine erste Erinnerung an einen Urlaub ist von der Insel Texel in Holland. Hatte eine Krabbenplage gegeben. Millionen der Viecher hatten die Insel zugedeckt.
Diesmal machten wir auf Urlaub auf dem Bauernhof. Schlichter Horror, mit den Gäulen und so. Ein Gaul hatte mich abgeworfen und mir voll in die Fresse getreten. Tagelang hatte ich einen Abdruck vom Huf gehabt. Ein anderer war einfach mit mir oben drauf davongeprescht und hatte in der Täterä angefangen zu grasen.
Carsten und ich spielten den ganzen Tag ‚kleines grünes Telefonmännchen‘. Das ging so: Man wählte irgendeine Nummer. Wenn jemand abhob, sagte man mit hoher Piepsstimme:
„Hier ist das kleine grüne Telefonmännchen. Ich komme aus Mexiko und lebe nun im Telefon. Ich bin sooo hungrig! Haben Sie nicht Bratkartoffeln für ein armes, kleines, grünes Telefonmännchen?“
Der Rest war Improvisation. Wir hatten viel Spaß.
Später auf dem Schützenfest aßen wir Bratwurst und lungerten an einem beliebten Karussell rum. Die spielten ‚Gary Glitter‘ und so nen Zeug. Das nervte zwar, aber es lungerten viele nette Millies rum.
Als die tausend Glühbirnen des Karussells zackig mit Grün, Gelb und Rot die Dunkelheit besudelten, quasselten wir zwei von ihnen an. Die waren volle Pulle geschminkt. Carsten mampfte hysterisch eine Karotte nach der anderen. Wir schäkerten und luden sie immer wieder ins Karussell ein. Es kostete uns das ganze Taschengeld. Am Schluss knutschten wir mit ihnen beim Herumrasen. Echt stark.
Am nächsten Tag tobten wir wieder hin. Es war der letzte Tag des Schützenfests. Die beiden Millies tauchten aber nicht auf. Dabei hatten sie es hoch und heilig versprochen. Der Kerl, der die Fahrtchips während der Fahrt einsammelte und sich dazu affig von Wagen zu Wagen hangelte, sprang bei voller Fahrt ab und landete direkt bei uns. Er schrie gegen ‚Waterloo‘ an: „Die beiden Tussen sind vonner Jeisterbahn. Sind wechjezojen, nach Jöttingen. Isch fahr heut‘ Nacht och rüber. Kommt mit! Könnt beim Uffbau helfen, dann sehter se wieder und verdient Pelunse eh. Is doch was!“
Lehnten wir ab.
Nachts stritten Muttern und der Alte. Muttern warf hysterisch ihren dreistöckigen Holznähkasten nach dem Alten und er wiederum schmiss leere Bierflaschen durch die Gegend (meine Zimmertür). Dabei ging es wohl um Beischlafprobleme: der Alte war geil, aber Muttern war an dem besoffenen, dickbäuchigen Sack nicht interessiert. Also ging der Alte noch mehr Saufen und schäkerte mit Tussen rum, die ihn aber sowieso abblitzen ließen.
Klappte es zwischen Muttern und ihm doch mal, das passierte ungefähr zweimal im Jahr, meist in einer Nacht von Freitag auf Samstag (erkannte man sofort an dem fröhlichen Pfeifen des Alten) so gingen sie zusammen in die Stadt und Muttern kriegte ein neues Kleid oder Schmuck geschenkt.
1974
Ostern. Nach drei Jahren