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über die Namen der Klingelschilder: Yardiz, Krovacik, Rahimi, Belcanto, Monscher. Sie hörte den leiernden Rhythmus türkischer Popmusik aus einem der geöffneten Fenster, laut genug gestellt, um den Motorenlärm von der Straße zu übertönen. In einer Erdgeschosswohnung hingen hinter dreckigen Scheiben nikotinbraun verfärbte Gardinen. In einer anderen konnte sie gestapelte Kartons und eine nackte Glühbirne ausmachen. Ein Fernseher lief. Im Hauseingang roch es schwach nach Urin. Klar, hübsch und sauber sieht anders aus, dachte sie. Aber es wohnten Menschen hier. Wenn auch nur, weil sie keine Alternative hatten.

      Das galt wohl auch für Mathias Bauers Ehefrau, die mit ihrer Tochter Laura eine Wohnung im zweiten Stock bewohnte. Anja Herlof arbeitete Teilzeit in einem Friseursalon, viel Geld war da nicht zu verdienen. Hatte Mathias Bauer sie finanziell unterstützt? Wer sich wohl von wem getrennt hatte? Und im Streit oder auf freundschaftlichem Wege? Sie würde es bald erfahren.

      Milena drückte auf den Klingelknopf neben dem Namen Herlof und wartete. Niemand antwortete. Das Schweigen konnte von „Keiner zu Hause“ bis „Klingel kaputt“ alles bedeuten. Milena drehte sich um und blickte die Straße hinunter. Ein paar Leute gingen den Bürgersteig entlang, aber keiner schien in dieses Haus zu wollen. Sie drückte noch einmal die Klingel.

      Ein Knacken ertönte und eine blecherne Stimme fragte: „Ja?“

      „Frau Herlof?

      „Ja?“

      „Hier ist Milena König.“

      „Wer ist da?“ Die Worte kamen schleppend.

      Hoffentlich ist sie nicht betrunken, dachte Milena.

      „Milena König, ich bin Kriminalkommissarin und möchte mit Ihnen sprechen.“

      „Wer?“

      Milena seufzte. „Polizei“, rief sie in die Sprechanlage. „Es geht um Ihren Mann.“ Eine Weile war nur ein lautes Atmen zu hören, dann ging der Summer und Milena drückte die Tür auf.

      Eine schlanke Frau in verwaschenen Leggins und langer, bunter Bluse empfing sie an der Wohnungstür. Ihr Blick war klar, es gab kein Anzeichen von Trunkenheit. Ihr blondes Haar stand in scheinbar wilden, bei näherem Hinsehen jedoch sorgfältig frisierten Locken um ihren Kopf.

      Anja Herlof schüttelte ihre Hände. „Nagellack“, erklärte sie und ging wieder in die Wohnung. Auch ihre Stimme war klar, keine Spur mehr von der Mattigkeit wenige Minuten zuvor. Milena schloss die Tür und folgte ihr ins Wohnzimmer zu einem riesigen Ecksofa, das fast das ganze Zimmer einnahm und dessen Polster die ersten Auflösungserscheinungen zeigte. Sie ließ ihren Blick schweifen. Blickdichte Gardinen hingen vor den beiden Fenstern. An einer Seite stand eine Schrankwand, dem Sofa gegenüber ein Fernseher auf einer Kommode. Die Möbel mochten aussehen wie vom Sperrmüll, aber das Zimmer war sauber und aufgeräumt. In der kleinen Lücke zwischen Schrankwand und Wand standen zusammengeklappt ein Bügelbrett, ein Wäscheständer und ein Gerät, das Milena nicht einordnen konnte.

      „Was zu trinken?“, fragte Anja Herlof und hielt eine Wasserflasche hoch. Sie hatte sich auf das Eckteil des Sofas geworfen.

      Milena schüttelte den Kopf und setzte sich in einen Sessel. „Nein, danke.“

      Anja Herlof goss sich ein Glas voll, stellte die Flasche neben den Tisch auf den Boden und zog die Füße hoch. Sie begutachtete stirnrunzelnd ihre Fingernägel. „Muss wohl noch mal von vorn anfangen“, seufzte sie und griff nach dem Nagellackentferner. „Was ist mit Mathias?“

      „Ist Ihre Tochter auch da?“

      Anja Herlof schüttelte den Kopf. „Mit ihrem Onkel auf der Kerb. Bad Nauheim.“ Sie nahm einen dicken Wattebausch aus einer Tüte und schraubte die kleine Flasche auf. Sie goss ein wenig Flüssigkeit auf die Watte und begann, den Lack abzureiben. „Warum?“

      Milena faltete ihre Hände. Sie war also mit der Witwe allein. Gut so! Wie würde sie reagieren? Bittere Tränen vergießen? Oder gefasst die Nachricht aufnehmen? Vielleicht sogar froh sein? Milena hatte gleich nach dem Abitur mit der Ausbildung bei der Kriminalpolizei begonnen und war somit schon über zehn Jahre „im Geschäft“. Aber Todesnachrichten zu überbringen, gehörten bei ihr nicht zur Routine.

      „Frau Herlof, Ihrem Mann ist im Wald oben beim Winterstein ein Unglück geschehen“, begann sie vorsichtig.

      Anja schnaubte. „Im Wald? Sind Sie sicher? Mathias geht zu McDoof oder an die nächste Tanke, aber nicht in den Wald.“ Sie nahm erneut den Nagellackentferner, stoppte in der Bewegung und blickte auf. „Noch nicht mal zum Pilzesammeln, obwohl er sie gerne gegessen hat. In Massen, nicht in Maßen.“ Ihr Grinsen entblößte eine Reihe von strahlend weißen Zähnen.

      „Ihr Mann ist tot“, sagte Milena mit schärferer Stimme als beabsichtigt.

      Die kleine Flasche fiel der Frau aus den Händen und der Inhalt ergoss sich auf den schäbigen Teppich unter dem Couchtisch. Anja Herlof schien es nicht zu bemerken, sie saß kerzengerade und mit offenem Mund da und starrte auf ihre unlackierten Nägel.

      Milena sprang hoch und hob das Fläschchen auf. Sie erklärte kurz, was die Polizei vermutete.

      „Er ist gestürzt?“, hauchte Anja Herlof.

      Es klingt nicht traurig, dachte Milena. Es klingt verwirrt und gleichzeitig erleichtert, als ob sie noch nicht an eine Zukunft ohne Mathias Bauer glauben kann. Milena wusste aus ihrer Recherche: Es existierte kein Testament. Somit würde Anja Herlof zusammen mit ihrer Tochter alles erben, was es zu erben gab.

      „Höchstwahrscheinlich. Aber wir können nicht ausschließen, dass jemand nachgeholfen hat.“

      ***

      „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Sohn Mathias tot aufgefunden worden ist.“

      Ute Bauer schaute Jan mit aufgerissenen Augen an, räusperte sich kurz, danach glich ihr Gesicht wieder einer unbeweglichen Maske. Martin Bauer hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt, als Jan zu ihm blickte, nahm er sie weg, zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich über die feuchten Augen. Das Ehepaar saß auf dem kleinen Sofa, Jan war stehen geblieben.

      Laura war nicht mehr im Raum. Ulrich Bauer hatte dem Mädchen seine Hand hingehalten. „Komm, wir gehen in die Küche und essen ein paar von den leckeren Waffeln, die wir auf der Kerb gekauft haben.“ Er hatte sich um einen leichten Tonfall bemüht. Mit einem letzten neugierigen Blick auf Jan hatte sich Laura widerstandslos von ihrem Onkel aus dem Raum führen lassen. „Ich werde mich später mit Ihnen unterhalten“, hatte Jan ihm hinterhergerufen.

      Ute Bauer ergriff die linke Hand ihres Mannes und strich über die dünnen Knöchel. Sie hatte Tränen in den Augen. „Man geht immer davon aus, dass man zuerst geht“, sagte sie. „Mathias war fettleibig. Der Arzt sagte, wenn er nichts dagegen unternimmt, dann wird es bald aus sein. Mit seinem Herzen, seinem Kreislauf. Hat sein Tod damit zu tun?“

      „Er ist offensichtlich beim Wandern gestürzt und hat sich das Genick gebrochen.“

      Beide Bauers blickten ihn fassungslos an.

      Ute Bauer fand als Erste ihre Sprache wieder.

      „Wandern?“, presste sie hervor. „Das glaub ich nicht. Er hat sich nicht mehr für Sport interessiert. Es wurde ja auch immer schwieriger, so fett, wie er war.“

      „Er war auf dem Weg vom oder zum Winterstein. Wir wissen noch nicht, ob er aus Versehen oder mit Absicht gestürzt ist.“

      „Mit Absicht?“ Ihre Stimme überschlug sich fast. „Sie meinen Selbstmord?“

      „Kann sein.“ Merkwürdig, dachte Jan. Sie scheint damit gerechnet zu haben, dass ihr Sohn einen Kollaps erleidet und stirbt. Dass er seinem Leben selbst ein Ende setzt, will sie nicht glauben. Als ob ein tödlicher Unfall für sie akzeptabel, Selbstmord aber unverzeihlich wäre. „Aber wir denken bei Absicht eher an Totschlag oder an Mord.“

      „Mord?“, hauchte sie. Sie ließ die Hand ihres Mannes los und stand auf. „Die Schlampe hat damit zu tun.“

      „Welche

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