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Doppelspitze. Gerhard Weis
Читать онлайн.Название Doppelspitze
Год выпуска 0
isbn 9783847691327
Автор произведения Gerhard Weis
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ich sah famos aus. Mit meinem zwischen Ring- und Zeigefinger eingebetteten Novizen besaß ich das mit Abstand interessanteste Angebinde der Welt. Mein Familien- und zugleich Spitzname, letzteren hatte ich mir in der Pubertät bei den Mädchen durch handwerkliches Geschick hart erarbeitet, erfuhr linker Hand den Ritterschlag. King Arthur sei Dank, schoss es mir durch den Kopf. Ich erinnerte mich meines Kollapses beim Proktologen und der damit verbundenen Prophezeiung. Aber zum Donnerklitchen, hatte ich mir DEN wirklich gewünscht? Wann war meine Phantasie so mit mir durchgegangen? Ich konnte mich nicht erinnern, jemals einen derart abgefahrenen Gedanken gehegt zu haben. Eine Wünschelrute? Ne, ich wüsste nicht wann. Andererseits habe ich mir schon dies und das ersonnen, auch jede Menge Verrücktes, grübelte ich. Ein Feingeist wie ich kann sich unmöglich an jedes seiner Luftschlösser erinnern.
Deo gratias hatte das Gros der Kneipianer im allgemeinen Trubel nichts von dem Schöpfungsakt mitbekommen. Trotz der späten Stunde war der Laden proppenvoll und die Stimmung auf dem Siedepunkt.
… Ein Bett im Kornfeld, das ist immer frei,
denn es ist Sommer und was ist schon dabei …
Der König von Mallorca höchstpersönlich sorgte dafür, dass die provisorische Tanzfläche für die Allgäuer Foxtrottel zu klein wurde. Darüber hinaus boten mir das schummrige Licht und die rauchgeschwängerte Luft willkommene Deckung. Nur die drei rolligen Bräute, der letzte zu einer bewussten Wahrnehmung fähige Schotte (der Rest der Bravehearts hatte sich längst ausgeknockt) und vier aller Ehren werte Saardéros bekamen das Königskind in dieser Nacht zu Gesicht.
»I wer' narrisch, narrisch, narrisch!!!« Melanie geriet regelrecht in Verzückung; wie Gigi beim Anblick eines randvoll beladenen Schwenkers. Angesichts dieser Finger Morgana hatte sich die Zungenlähmung bei den Schicksen wieder verflüchtigt. Stattdessen nahmen Melanies Augäpfel die Dimension ihrer Brüste an. Einer wie Russ Meyer (Originalzitat: »Hätte ich mich nicht so für Titten interessiert, wäre aus mir vielleicht ein großer Filmemacher geworden!«) hätte die Tusse vom Fleck weg engagiert.
»I … i … i … aa!«, stammelte Emma, die nach Hoss' Zunge nun etwas noch Erstrebenswerteres entdeckt zu haben schien.
Victoria, von den beiden anderen Schlampen bezeichnenderweise Vicky genannt, ging sogar auf die Knie, um mit zitternder Stimme um das Premierenmatch zu flehen. Vicky war sehr erregt. Selbst ihre Schnäcke war jetzt feucht. Angeekelt wischte ich mir die Speicheltröpfchen, die ich bei ihrer widerwärtigen Bettelei abbekam, aus dem Gesicht und erteilte Kloses neuem Sturmpartner erstmals Order: »Weiche, spricht die deutsche Eiche!« Der Stift gehorchte aufs Wort. Als er schlapp machte, seufzten die Schnepfen vor Enttäuschung auf.
In diesem Moment betrat eine Gruppe tadellos ausschauender Trachtenträger das Bierstüble. Keine depperten Sepplhosenfritzen, sondern Bewunderung hervorrufende Damen und Herren, von ziemlich jung bis ganz schön alt. Solche Exoten hatte das Publikum nie zuvor gesehen. Während die Männer mit allerlei Stickerei verzierte Westen, Kniehosen und einen breitrandigen Hut trugen, schmückte die hoch erhobenen Häupter der Frauen eine bescheidene »Coiffe« oder eine stattliche »Bigoudenhaube«. Eine der Schönheiten glich mit ihrem apfelrunden Gesicht Jeanne Guéguen, die hochbetagt im selben Jahr zur Miss Bretagne gewählt wurde, als ich mit Madame und unserer Tochter Brünhild erstmals dort aufschlug. Die joviale alte Dame weigerte sich damals vehement, ihre »Coiffe bigoudène« auf der Fahrt nach Paris auszuziehen. Wegen der enormen Haube passte sie aufrecht in kein Automobil. Also unternahm sie die Reise mit verrenktem Kopf. Ein blendendes Beispiel dafür, was Bretonen, Schotten und Saardéros vereinte: eiserne Entschlossenheit und unbändiger Stolz. Als der schwarz-weiß gekleidete Leader der Truppe – die »Gwenn-ha-du« (so nennen die Bretonen ihre Flagge) in der ausgestreckten Pranke seines hochaufgeschossenen Fahnenträgers neben sich wissend – mit einer bretonischen Sackpfeife voller Inbrunst eine wunderschöne Melodie blies, verstummte Jürgen Drews und die Leute hörten andächtig zu.
… O Breizh, ma bro, me 'gar ma bro. Tra ma vo mor 'vel mur 'n he zro, ra vezo digabestr ma bro …
»Oh Bretagne, mein Land, ich liebe mein Land …« Begeistert fiel ich in den Chor der Trachtenbummler ein. Dabei nahm mein Kiekindiewelt sofort wieder Haltung an. Das Wappen und der Lobgesang der Bretonen waren mir wohlbekannt. Auch meine Freunde wussten die Symbole einzuordnen. Schließlich waren sie häufig genug bei ihrem Kumpel Giselher zu Gast. Gemeinsam standen wir stramm, die rechte Hand zum Gruß an der Stirn, den kleinen Finger nach außen. Schade, dass Ronny nicht dabei sein konnte. Mit dem Erscheinen der Equipe deuxcolore wurde mein letzter Zweifel beseitigt. Das konnte kein Zufall mehr sein. Die Weissagung während meines Ohnmachtsanfalls beim Proktologen war zur Gewissheit geworden. Donnerklitchen hatte geliefert!
Nach dem Schmettern der bretonischen Nationalhymne verlies die Abordnung von König Artus das Bierstüble so würdevoll, wie sie es zuvor betreten hatte. Aber nicht bevor deren Schalmeienbläser noch Folgendes bemerkte:
»Gortosit an nos ewid lavared eo bet kàer an deiz.« (Man sollte die Nacht abwarten, bevor man sagt, dass es ein wunderschöner Tag war.)
Nicht nur ich, der Bretagne längst mit allen Sinnen erlegen, war von der feierlichen Atmosphäre ergriffen. Mit Hilfe des Schneekönigs wurde der Aufdringlichkeit am feuchten Triebe erkrankter Frauenzimmer eindrucksvoll Einhalt geboten. Die Gesandtschaft aus dem äußersten Westen Frankreichs vertrieb den Smog hemmungsloser Lüsternheit – wenn auch nur vorübergehend. Nach diesem Zeugnis lupenreiner Etikette gab es nur eine logische Konsequenz:
»L'addition s'il vous plaît!«, hieß die bei mir, »the bill please!«, bei Alastair Fitzgerald MacDonald. Der behauptete zum Abschied in einem kaum mehr verständlichen Kauderwelsch, ein Nachfahre Alexanders des Großen zu sein. Sein Vater Gerald habe mit der Wahl seiner beiden Vornamen ihre familiäre Verbundenheit mit dem ehemaligen König von Mazedonien und seine Bewunderung für eine bayerische Kabarettistin zum Ausdruck bringen wollen.
Ein majestätischer Tag ging zu Ende. Der König von Mallorca, King Arthur, ein Nachkomme Alexanders des Großen und der neue Prinz von Homburg hatten ganz schön Remmidemmi gemacht. Wochen später erfuhren wir, dass wegen des Manifestwerdens männlicher Sittsamkeit drei Wertacher Zipfelpritschen tagelang geflennt hätten. Eine Boygroup aus dem Saarland habe sie am ausgestreckten Finger verhungern lassen.
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