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      Annette Philipp-Scherer

      Der Seelendieb

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Der Seelendieb

       …ewige Liebe

       …Freude und Leid

       …Die Vergangenheit

       Impressum neobooks

      Der Seelendieb

      Als Daphne Murano an diesem Morgen im Jahr 2281 erwachte, durchströmte sie, wie in den letzten sechs Monaten auch, eine Welle des Glücks. Sie und Marc hatten gestern geheiratet, zwar galt der Vertrag nur für fünf Jahre, doch sie war sich sicher, sie würden ihn noch viele Male verlängern. Der Radiowecker war angegangen, und verschlafen hörte sie in den Nachrichten, dass aufgrund der zurückgegangenen Weltbevölkerung Paare wieder zwei Kinder statt nur ein Kind haben durften. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie liebte Kinder und träumte davon, dass sie Marc irgendwann einen Sohn schenken würde. Daphne öffnete die Augen, und ein Blick zur Seite verriet ihr, dass Marc noch fest schlief. Jeder Tag war für sie wie ein Geschenk, denn eigentlich war sie einundachtzig Jahre alt. Eigentlich - aber ihr Körper war achtundzwanzig und hieß Pia Richter. Nur ungern erinnerte sie sich an die Nacht des Seelentausches zurück. Sie selbst hatte lieber in dem Altenheim, in dem Pias Schwester war, sterben wollen. Doch die Geistwesen hatten ihr den Tod verweigert. Pia Richters Seele hatte nicht begriffen, was sie in diesem Dasein zu lernen hatte. Pia war kalt und egoistisch, nie hatte sie aus Menschlichkeit oder Nächstenliebe gehandelt. Später, als sie Marc die Wahrheit gebeichtet hatte, gab er ihr die Polizeiakte von Pia Richter zu lesen. Man hatte ihr zwar nie etwas nachweisen können, doch sie hatte einige Einträge. Welch Ironie des Schicksals, dachte Daphne, der Geist einer bösen Kreatur lebte im Körper eines wunderschönen Menschen. Auch hatten die Geistwesen Daphne versichert, dass Pia Richter nicht mehr lange zu leben hatte, ihr Tod würde so oder so kommen. Durch den Tausch änderte sie das Schicksal und entging nur knapp dem Tod, der für Pia Richter vorgesehen war. Es war wichtig, dass Daphnes Seele in diesem jungen Körper lebte, hatte sie doch noch einige wichtige Aufgaben zu erfüllen. Die Geistwesen brauchten Daphne und ihr Wissen, das sie als Heilerin und Schamanin in Tibet erworben hatte. Gedankenverloren wanderten ihre Hände zu dem kleinen Dolch, den sie an einer silbernen Kette immer um den Hals trug. Er war nicht groß und hätte keinem eine ernsthafte Verletzung zufügen können. Über den silbernen Schaft und die Klinge, die aussah wie dunkles, geschmolzenes grünes Glas, zogen sich winzige Schriftzeichen. Nein, dieser Dolch war dafür gemacht, die silberne Schnur eines Astralkörpers zu durchtrennen. Ihre Hand schloss sich fest um ihn, leise redete sie mit ihm. »Mein armer kleiner Freund«, sagte sie, »ich wollte dich nie benutzen. Doch zweimal im Leben haben mich die Umstände dazu gezwungen.«

      Ihre Gedanken glitten weiter ab, zurück nach Tibet. Sechs Jahre hatte sie dort im Kloster Sakja gelebt und gelernt, erst als Heilerin und später hatte sie die Seelen Sterbender begleitet.

      Sie dachte an Jamisang, ein verlorenes Kind, als sie ihn dort kennenlernte. Ein schlaksiger junger Mann, als sie ihm seine Seele und sein Leben nahm. Daphne schloss für einen Moment die Augen; die Erinnerung an jenen schicksalhaften Tag war in ihre Seele eingebrannt, als sei alles erst gestern gewesen. Ihr Lama und Leiter des Klosters, Tse Wang, lag im Sterben. Jamisang hatte im Haus der Dämonen, unter dem Holzfußboden, eine geheime Schriftrolle und den Dolch entdeckt. Die Schriftrolle, so hatten sie alle vermutet, stammte aus dem Bardo thödol, dem tibetischen Buch der Toten, und wurde seit Jahrhunderten verstecktgehalten. Zu gefährlich waren die Macht des Schriftstückes und die des Dolches. Zwei Sachen mussten für den Seelentausch beachtet werden. Das Ritual konnte nur von einer Person reinen Herzens vollzogen werden, danach musste der Dolch so lang bei diesem Menschen bleiben, bis dieser starb. Noch heute war sie sich nicht ganz sicher, wie Jamisang sie zu dieser Tat hatte treiben können, denn sie hatte sich bis zu dem Moment, in dem sie die Seelenwanderung vollzog, heftig dagegen gewehrt. Ihr kleiner Freund Jamisang hatte seinen Körper ihrem sterbenden Lama mit Freuden geschenkt. Er selbst hatte durch dieses Opfer den Tod gewählt. Über ihr Gesicht legte sich ein dunkler Schatten. Durch den Seelentausch, den sie an den beiden Freunden vollzogen hatte, war etwas mit ihr geschehen. Für einen kurzen Moment hatte sie das Göttliche der ganzen Welt sehen können. Sie hatte das ewige Licht erblickt. Ab jenem Tag hatten sich ihre Augen verändert, sie schienen zu strahlen. In ihrem Inneren stieg ein weiteres Bild empor, und sie sah Jimpa, ihre große Liebe. Auch ihn hatte das Schicksal ihr genommen. Wieder sah sie ihn durch die Kugel eines chinesischen Agenten zu Boden gehen. In ihren Armen sterbend, hörte sie seine letzten Worte. »Ich werde dich immer lieben und ich werde dich im meiner nächsten Reinkarnation finden. Du brauchst mich nicht zu suchen, ich finde dich.« Ihr Blick wanderte zurück zu dem noch schlafenden Marc, er hatte keine Erinnerung an sein letztes Leben. Er wusste nicht, dass er die Reinkarnation Jimpas war. Daphne konnte nur hoffen, dass er es auch nie erfahren würde. Sie wagte nicht, sich vorzustellen, was geschehen würde, wenn die Flut der Erinnerungen über ihn hereinbrechen würde. Aber Jimpas Seele hatte Wort gehalten, er hatte sie gefunden. Einem plötzlichen zärtlichen Impuls folgend, lehnte sie sich über ihn, um ihn zu küssen. Ihr langes blondes Haar fiel dabei auf seine Brust und kitzelte ihn. Verschlafen zog er sie in seine Arme und hielt sie fest umschlungen, dabei murmelte er auf tibetisch, »Ich liebe dich.« Daphne lächelte, dies waren die kurzen Augenblicke, die sie mit Jimpas alter Seele ganz für sich allein hatte. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, befreite sie sich aus seiner Umarmung. Als sie sich erhob, war Marc wach. »Wo willst du so früh denn schon hin?«, fragte er noch etwas verschlafen. Sie lächelte ihn an und meinte, »Bleib du ruhig noch etwas liegen, ich möchte mich noch eine Weile an mein Inselbiotop-Projekt setzen. Jetzt, da ich das Land gekauft habe, kann ich es kaum erwarten, das Biotop mit einer Glaskuppel überdachen zu lassen. In Gedanken bepflanze ich es schon.« Marc schüttelte ungläubig den Kopf. »Du denkst schon über die Bepflanzung nach?«, fragte er ungläubig. »Du solltest erst einmal ein Haus hineinbauen lassen«, stellte er dann ernst fest. Daphne lachte hell auf. »Ja, ich bin ungeduldig, in meinem Kopf ist schon alles fertig!« Marc hatte sich auf seinen Ellenbogen gestützt und sah sie prüfend an, jeden Tag war er aufs Neue bestürzt, wie wunderschön sie doch war. Seine Augen glitten zärtlich über ihren Körper, er sah ihre blonden Haare, die ihr wirr, in leichten Wellen, um die Schultern fielen, ihre kleinen festen Brüste, ihre schmale Taille und die langen, wohlgeformten Beine. Doch am schönsten fand er ihre vergissmeinnichtblauen Augen, so intensiv blau, dass der Eindruck entstand, sie leuchteten von innen heraus. Er war sich sicher, er hätte sie auch so sehr geliebt, wenn sie nicht so verdammt hübsch gewesen wäre. Es war ihr Wesen, ihre Art, die sie so unwiderstehlich für ihn machte. Bei ihr hatte er das Gefühl, als sei er nach langer Suche endlich zu Hause angekommen. Er streckte die Hände nach ihr aus und meinte zärtlich, »Komm, meine Liebste, leiste mir noch einige Minuten Gesellschaft.« Sie kannte diesen Blick, langsam ging sie kopfschüttelnd rückwärts und versuchte tadelnd zu klingen. »Wirst du denn nie müde, mich zu lieben?«

      »Ich werde nie aufhören, dich zu lieben«, sagte er lockend, »und ich werde nie aufhören, deinen Körper zu begehren.« Bevor sie sich umdrehen und fliehen konnte, war er schon aus dem Bett gestürzt und hatte sie in seine Arme gerissen. Sie versuchte, böse zu klingen, »Lass mich los, verdammt«, doch weiter kam sie nicht, jeden weiteren Einwand erstickte er mit einem Kuss. Es war jedesmal dasselbe, wenn er ihr so nah war. Sie hatte das Gefühl, als stünde ihr Körper in Flammen. Willig überließ sie sich seinen zärtlichen Händen. Mit einem leichten Seufzer schlang sie ihre Arme um ihn und gab sich ihm hin. Jedes Denken hörte auf. Wenn er sie liebkoste,

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