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Der rote Feuerstein. Kim Scheider
Читать онлайн.Название Der rote Feuerstein
Год выпуска 0
isbn 9783738029079
Автор произведения Kim Scheider
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Das war nun nicht das, was Paul sich von der Lektüre dieses viel versprechenden Heftchens erhofft hatte!
Auch „Atlantis’ Untergang” landete, etwas unvorsichtiger, als es sonst Pauls Art war, auf dem Bücherturm. Er beschloss, dass es für’s Erste genug wäre und stellte fest, dass das Papiergeraschel offenbar eine einschläfernde Wirkung auf seine Eltern gehabt haben musste. Seine Mutter lag friedlich schlummernd auf dem Sofa und sein Vater schnarchte ausgiebigst im Sessel.
Tja, Seeluft macht eben müde, dachte er und musste selber herzhaft gähnen. Du meine Güte, schon halb zwölf?
Erschrocken blickte Paul auf die Uhr. Die letzten Stunden waren einfach nur verflogen, während er in den Wälzern gestöbert hatte.
Vorsichtig legte er das Buch, das seiner Mutter aus der Hand gefallen war, - natürlich ein Buch über Helgoland -, auf den Tisch und pustete die Kerzen aus. Auf Zehenspitzen schlich er sich aus dem Zimmer und legte sich in sein Bett. Er starrte die Decke über sich an und ließ noch einmal den Tag Revue passieren.
Kaum bin ich mal alleine unterwegs ...
Dann war er auch schon eingeschlafen.
Die Sonne schien, die Möwen und Basstölpel schrien aufgeregt durcheinander und Paul saß auf einer Bank am Lummenfelsen, der Hauptbrutstätte für die vielen Vögel, die Helgoland während der Brutzeit bevölkerten. Er war gerade an der “Langen Anna” vorbei gekommen, dem letzten freistehenden Felsturm und Wahrzeichen der Insel, war Frau Piel, der geklonten Frau, ungefähr zum hundertsten Mal an diesem Tag begegnet und gönnte sich nun erstmal eine kleine Pause.
Konnte es etwas Schöneres geben als hier oben zu sitzen, auf dem knapp 60 Meter hohen roten Felsen? Egal, in welche Richtung man sah, nur die endlose Weite der Nordsee vor Augen und die herrliche Stille der autofreien Insel genießend? Nur die Westküste bei Sturm war schöner. Diese Liebe hatte er eindeutig schon von seinen Eltern mit in die Wiege gelegt bekommen.
In meinem nächsten Leben werde ich ein Baßtölpel, beschloss Paul, als er den eleganten Flug der hübschen Vögel mit dem gelb gefiederten Kopf beobachtete.
Langsam stand er auf, streckte sich kräftig und beschloss zur Wohnung zurück zu gehen, bevor die ganzen Tagesgäste und Schnäppchenjäger die Insel um die Mittagszeit wieder überrennen würden. Da hielt man es als Dauergast ähnlich wie die Insulaner. Wenn die Schiffe mit den Tagestouristen kamen, verzog sich jeder, der die Möglichkeit dazu hatte, nach Hause oder auf die Düne. Nach ein paar Stunden hatte man die Insel wieder für sich.
Es war das erste Mal, dass sie das Eiland um diese Jahreszeit besuchten, aber der Winter, mit seinen Stürmen und meterhohen Wellen war ihnen immer am liebsten gewesen. Selbst seiner Mutter, die das Schiff nach der Überfahrt vom Festland immer mehr tot als lebendig verließ.
„Das nehme ich gerne in Kauf”, pflegte sie dann immer zu sagen und verschwand wieder auf der Toilette.
Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen und er unwillkürlich etwas grinsen musste, machte er sich auf den Heimweg.
Nach ein paar Metern flatterte ihm ein rosa schillernder Falter um die Ohren.
Ein verdammt hartnäckiger Falter.
Der gar kein Falter war, sondern eine kleine geflügelte Fee mit langen, blonden Haaren, einem puppenhaften, schönen Gesicht und dem merkwürdigen Namen Prinzessin Vicki XII.!
Wie angewurzelt blieb Paul stehen, als er dies feststellte.
„Hilf mir! Bitte hilf mir!”, piepste das zarte Stimmchen. „Hilf mir, ich schaffe es nicht alleine. Der Rochusmensch...”
Und kaum hatte sie dies ausgesprochen, verdunkelte sich auch schon der Himmel über ihnen und drohte, sie mit in die endlose Schwärze zu reißen. Die Fee versteckte sich in der Jackentasche des fassungslosen Jungen und piepste ängstlich vor sich hin. Paul konnte sie durch den Stoff der Jacke spüren, fühlte, wie der kleine Körper vor Angst bebte.
„Verdammt, was soll ich denn jetzt machen?”, schrie Paul, der nicht minder ängstlich war.
Weglaufen brachte nichts, so viel war klar. Er versuchte es trotzdem, aber seine Beine waren wie auf dem Boden festgetackert. Er bekam seine Füße nicht einen Millimeter angehoben, geschweige denn, dass er hätte laufen können. Mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit stürzte das Untier auf sie nieder und riss sie mit sich.
Eine kaum zu ertragende Kälte umgab sie und Paul merkte, wie ihm die Lebensgeister allmählich schwanden. So schnell hatte es dann doch nicht gehen sollen, das mit dem nächsten Leben!
Doch plötzlich fluteten massenhaft Bilder durch Pauls Kopf. Bilder von Orten und Personen, die er aus den vielen Büchern und Geschichten kannte, die er so begierig verschlungen hatte. Da waren Bartimäus, der Dschinn aus den Büchern von Jonathan Strout, Boromir aus „Herr der Ringe” von Tolkien, der Hirbel von Peter Härtling, Jim Knopf, Wickie, die sieben Zwerge,... Die Bilderflut nahm kein Ende. Vermutlich jede Figur, aus jedem Buch, das er mal gelesen hatte, rauschte an ihm vorbei und auch einige, die er gar nicht kannte, die ihm aber trotzdem irgendwie vertraut vorkamen.
Und wieder diese piepsende Stimme.
„Hilfe! Hilfe! Paul, wach auf. Ich brauche deine Hilfe!”
Schweißgebadet wachte Paul auf und saß sofort senkrecht im Bett. Ihm gegenüber saß, umgeben von einem sanften Schimmer und mit lässig übereinander geschlagenen Beinen, Vicki die Fee und grinste ihn frech an.
„Na, schlecht geschlafen?”
Noch ganz benommen von den Eindrücken und Bildern aus seinem Traum, dauerte es eine Weile, bis Paul begriff, dass er in Sicherheit war. Allmählich beruhigte sich sein Atem wieder und er schaute vorsichtig zum Bett seiner Eltern hinüber, doch die schienen noch im Wohnzimmer zu schlafen.
„Wie kommst du denn hier rein?”, fuhr er die kleine Fee wohl etwas zu barsch an.
„Oh, was für eine freundliche Begrüßung!” Pikiert drehte sie sich zur Seite. „Wie wär’s erstmal mit „Hallo Vicki, meine Güte, bin ich froh, dass es dir gut geht! Wie hast du es bloß geschafft, diesem Monster zu entkommen“?”
Beschämt schlug Paul die Augen nieder. „Entschuldige bitte! Natürlich freue ich mich, dich gesund wieder zu sehen und ich möchte selbstverständlich auch wissen, wie du es geschafft hast, gegen dieses - Ding. Aber trotzdem, wie bist du hier rein gekommen?”
„In der Jackentasche von deinem Dad.”
Sie sagte dies, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, sich in fremden Taschen durch die Gegend tragen zu lassen.
„Bei meinem Vater in der -
Du meine Güte, wenn er dich entdeckt hätte!”
„Keine Sorge, ich verstehe es durchaus, mich zu tarnen, wenn es sein muss. Ohne diese Fähigkeit wäre ich gar nicht hier. Dieser verflixte Rochusmensch!”
„Was wollte der von uns? Und wie bist du ihm entkommen? Und wo ist der jetzt? Kann der auch hier rein kommen? Was ist das eigentlich für ein Ding? Gibt’s noch mehr davon...?”
Atemlos hielt Paul inne.
Das kleine geflügelte Wesen verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen streng an. „Sonst noch irgendwelche Fragen?”
„Oh, ja, tausende, wenn nicht noch mehr. Aber am wichtigsten ist...” Verlegen hielt Paul inne. Dass ihm der Gedanke ausgerechnet jetzt kam, - aber egal!
„Warum heißt du Vicki?”
„Ich meine”, fuhr er eilig fort, als sie ihn nur verständnislos ansah. „Was ist das für ein komischer Name für eine Fee? Die heißen doch sonst immer „gute Fee” und „böse Fee” oder so. Aber Vicki? Wer kommt denn auf so was?”
Dass er bei Vicki eher an den kleinen Wickinger