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habe nichts gemacht!“

      In Wamans Hand pendelte eine gut halbmeterlange Motorradkette, die etwa so dick wie ein Männerdaumen war. Die Kanten der schweren Kette blitzten verräterisch. – Sie waren mit Sicherheit messerscharf geschliffen.

      „Warte mal! Warte mal! – Jetzt warte doch mal!“ Kevin war immer weiter zurückgewichen und stand nun mit bittend erhobenen Händen mitten auf der Fahrspur. Seine Stimme war schrill vor Angst. Plötzlich warf er sich herum und versuchte mit unbeholfenen Sprüngen in Richtung Treppenhaus zu fliehen.

      Einer der Bellacos machte eine schnelle Bewegung und keine Sekunde später war Kevins Flucht zu Ende. Die Leinen der Bola hatten sich fest um seine Beine gewickelt und er war hart auf den Betonboden gestürzt. Schon war Waman über ihm und ließ die schwere Kette mit aller Macht auf ihn herabsausen.

      Die ersten Angriffe versuchte Kevin noch abzuwehren, aber schon nach wenigen Treffern ließ er die zerschlagenen Hände sinken und wartete mit fest zusammengekniffenen Augen auf den letzten, den tödlichen Schlag.

      So leicht wollte es Waman ihm aber nicht machen. Er ließ sich von einem seiner Leute ein Lasso zuwerfen, das er mit schnellen, geübten Griffen fest um Kevins Knöchel schlang. Das andere Ende befestigte er in aller Ruhe am Rahmen seiner Honda, während Kevin panisch versuchte, die Schlinge wieder zu lösen, aber es war hoffnungslos. Kaum ein Finger war noch zu gebrauchen. Er musste entsetzliche Schmerzen haben. Fast hätte er Anna Leid getan, aber da tauchte wieder das Bild vor ihr auf, wie er nach Intis Hand gegriffen hatte.

      Waman war fertig und bestieg seine Maschine. Er wandte sich Anna zu, die die Szene mit einem kalten Lächeln beobachtete. „Es solamente uno sueño“, sagte er nur.

      Das hier? Nur ein Traum? Oh nein! Das wusste Anna besser.

      Ohne sie weiter zu beachten nickte Waman seinen Leuten zu. „Ya está!“, ließ er sie wissen und gab auch schon Gas.

      Ja, das war´s! – Zumindest für Kevin. Anna nickte. Den Fehler hätte er niemals machen dürfen, Otoroncos Sohn anzugreifen, und sie konnte nichts mehr für ihn tun, außer ihm einen schnellen Tod zu wünschen.

      Fünf schwere Motoren brüllten auf. Wamans Maschine schoss als erste los. Das Seil spannte sich schlagartig und Kevin wurde mitgerissen. Mit hoher Geschwindigkeit schoss die Maschine davon und die Rampe zum Parkdeck sechs empor. Die anderen Fahrer folgten mit einigem Abstand, vor sich den verzweifelten Kevin, der sich mit letzter Kraft von einer Seite auf die andere warf, um vielleicht doch noch die Schlinge abzuschütteln.

      Wenige Sekunden später war der Spuk vorbei. Ein greller Blitz drang die Rampe von P6 herunter und schlagartig war es wieder totenstill. Zwei Leuchtstoffröhren begannen zu flackern und explodierten in ihren Fassungen. Anna ging schnell einen Schritt zur Seite, um nicht von den Splittern erwischt zu werden.

      Es war vorbei! Langsam ging Anna auf den Wagen zu. Inti sah ihr erwartungsvoll zu, als sie sich über den Rücksitz beugte und das Klappmesser von der hinteren Ablage nahm. „Fahren wir jetzt zur Oma?“

      Anna sah auf die Uhr. Es waren nur zwanzig Minuten vergangen, seit Kevin sie in den Wagen gedrängt hatte. „Ja Schatz! Bestimmt hat sie das Essen schon fertig.“ Sie strich ihrem Sohn kurz über die Haare.

      „Was gibt es denn heute?“

      „Weiß ich nicht – aber bestimmt was Gutes. Oma kocht doch immer was Gutes, stimmt´s? – Du, sag mal ...“

      „Ja?“

      „Hast du die Männer gerufen?“

      „Ich habe von Papa geträumt“, gab Inti zurück. „Es solamente uno sueño.“

      Inti sprach kein Spanisch. Anna nickte. „Ja, Schatz, es war nur ein Traum!“ Sie setzte sich hinter das Lenkrad. Die leicht verbogene Fahrertür schloss erst beim zweiten Mal, als sie sie mit viel Kraft ins Schloss knallte. Sie startete den Wagen und fuhr los. Den Herrenschuh, der auf der Rampe im Dreck lag, beachtete Anna nicht. Der gehörte auch zu einem Traum. Zu einem bösartigen Traum, der jetzt für immer vorbei war.

      DER VIADUKT

      Seltsam, in eine Stadt zu kommen, in der man noch niemals war, die einem aber trotzdem merkwürdig bekannt vorkommt. Kennen Sie das Gefühl?

      Von hier stammt die väterliche Linie meiner Familie. Ich bin jedoch in einer Kleinstadt, na ja - einem Dorf, einem großen Dorf allerdings, aufgewachsen, das ganz am anderen Ende von Deutschland liegt. Wir hatten in Melling selbst sehr oft Besuch von den Verwandten, und an Einladungen hat es nicht gefehlt. Aber irgendwie hat es sich nie ergeben, sie mal zu besuchen. Sooft die Familie eine Fahrt nach hier plante, ging irgendwas schief. Einmal starb ein enger Geschäftsfreund meines Vaters, einmal wurde Mutter krank, dann wieder brach ich mir am Tag der Abreise einen Arm. - Es war wie verhext! So, als solle keiner von uns diesen Ort jemals erreichen.

      Es war überhaupt nicht schwierig gewesen, in das Viertel zu finden, in dem meine Tante wohnte. Wie oft hatte sie den Weg beschrieben, wenn ich dabei war. Nun fuhr ich also endlich durch die Stadt, die ich schon so lange mal hätte besuchen sollen.

      Langsam ließ ich meinen kleinen Wagen über eine Kreuzung rollen. Amtmann-David-Straße las ich auf einem Schild. - Das war doch Tante Lucys Adresse! Flink drehte ich am Lenkrad und bog ein, ohne mich um das hektische Gehupe hinter mir zu kümmern. Das Auto knackte ein bisschen, als das Vorderrad gegen den Bordstein stieß, aber dann war ich auch schon vor der Hausnummer elf. Ja, hier war es! Dieses Haus hätte ich unter Tausenden erkannt. Auf den Fotos, die bei Familienfesten immer herumgezeigt wurden, war es ein paar Mal mit abgebildet gewesen. Das sollte für die Zeit meines Praktikums also mein Zuhause sein. Gewaltig sah es aus. Ein wenig düster vielleicht. Aber was will man von einer Großstadt-Mietskaserne in der City schon erwarten?

      Nachdem ich vor dem Haus Nummer 76 einen Parkplatz gefunden hatte, nahm ich meine kleine Reisetasche aus dem Kofferraum und machte mich auf den Weg. Die großen Gepäckstücke konnte ja nachher Jochen aus dem Wagen holen. Jochen ist sehr kräftig, wissen Sie, und wenn ich ihn nett um etwas bitte, kann er mir einfach nichts abschlagen.

      "Ha, da ist ja unser Landei!" Schwungvoll hatte Jochen die Tür geöffnet und zog mich jetzt am Henkel meiner Reisetasche in die Wohnung. Jochen ist mein Vetter. Er war früher, als Kind, oftmals in den Ferien bei uns auf dem Dorf gewesen. Wenn ich ihn ärgern wollte, hatte ich ihn immer meinen `fetten Vetter' genannt; dabei war er gar nicht so dick. - Aber damals hat es ihn fast umgebracht. Aus Rache hat er sich dann die Bezeichnung `Landei' für mich ausgedacht, die mich jedesmal in wilden Zorn versetzte. Heute stand ich natürlich weit über solchen Kindereien.

      "He, Mutti, Landei ist da!“, brüllte Jochen in den dunklen Flur hinein.

      Jetzt war es doch allerdings wohl an der Zeit, mit dem blöden Landei-Geschwafel aufzuhören. Ich finde, dass auch junge Menschen durchaus vernünftig miteinander reden können; aber da fehlt meinem fetten Vetter wohl noch einiges an Reife. Er ist allerdings auch erst siebzehn. Ein ganzes Jahr jünger als ich.

      Jochens Mutter saß in der Küche. "Hallo Gisela!" Lächelnd erhob sie sich.

      Na, bravo! Erst Landei, und dann auch noch Gisela. - Wenn ich auf der Welt einen Namen hasse, dann Gisela. Mit einem coolen Lächeln reichte ich Jochens Mutter die Hand und tat so, als müsse ich mich vorstellen. "Landei!“, nannte ich meinen Namen. "Gisela Landei! Meine Freunde nennen mich allerdings Gisi."

      "Was hast du denn?" Forschend sah Jochens Mutter mich an. "Hast du unterwegs was Schlimmes erlebt?"

      "Unterwegs nicht", antwortete ich vieldeutig, und versuchte, möglichst frech auszusehen.

      "He, Landei, du hast ja schon richtig Busen!" Jochens gute Laune war nicht zu übersehen und erst recht nicht zu überhören. Ich merkte, wie mir das Blut in die Wangen schoss.

      "Immer noch wie Katz und Hund!" Die Stimme meiner Tante klang eher belustigt als streng. Das machte es auch nicht besser.

      "Mach dir nichts draus." Jochen beugte sich vertraulich zu mir. "Brauchst

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