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WIndstärke 4 mit leichter Dünung. Rotraut Mielke
Читать онлайн.Название WIndstärke 4 mit leichter Dünung
Год выпуска 0
isbn 9783742770806
Автор произведения Rotraut Mielke
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sie hatte ja Recht. Es waren nun schon drei Jahre, dass Gerlinde allein war. Und genauso lange hatte sie sich zu Hause vergraben.
Seit Henrys Tod war die Gymnastikgruppe der einzige Termin, den sie regelmäßig wahrgenommen hatte. Die Damen kannten sich schon seit Jahren, wenn auch nur oberflächlich. Man schwitzte und turnte zusammen, ging danach meistens etwas trinken, und dann zerstreute sich die Gruppe wieder. Schon seit Längerem war Gerlinde direkt nach der Turnstunde verschwunden und hatte auf den gemeinsamen Umtrunk verzichtet. Es war noch nicht lange her, dass Petra sie regelrecht genötigt hatte, wieder einmal in die kleine Kneipe mitzukommen. Sie hatte ihr einen Apfelwein aufgeschwatzt und sie systematisch schwindlig geredet.
„Du musst wieder unter Menschen. Das Leben geht weiter, ob du willst oder nicht.“ Geschickt hatte Petra schon bald das Gespräch auf das Thema Urlaub gelenkt, und dann gab es kein Halten mehr. „Was hältst du davon: Wir gehen zusammen auf Kreuzfahrt.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Und bereits am nächsten Tag war sie mit einem Packen Prospekte unter dem Arm bei Gerlinde aufgetaucht. Der war nichts anderes übrig geblieben als Kaffee zu kochen und die Lobeshymnen über Kreuzfahrten im Allgemeinen und im Speziellen über sich ergehen zu lassen.
„Ich kümmere mich um alles“, hatte die Freundin versichert, und bald darauf war tatsächlich die Reisebestätigung da gewesen.
Für eine Weile hatte sich Gerlinde von der Euphorie anstecken lassen, endlich wieder einmal auf Reisen zu gehen. Aber nun in der Abflughalle des Frankfurter Flughafens wünschte sie sich nichts sehnlicher als die Ruhe ihres kleinen Häuschens. Allerdings war es jetzt für einen Rückzieher zu spät. Langsam aber sicher arbeiteten sie sich in der Schlange weiter vor zum Counter.
Die Bodenstewardess warf einen Blick auf die Waage und zog eine Augenbraue hoch. „Dreiundzwanzig Kilos, da haben wir wohl etwas zu viel eingepackt“, bemerkte sie und tippte auf ihrem Computer herum. „Das wären dann einhundertzwanzig Euro. Wie möchten Sie zahlen?“
Petra riss die Augen auf. „Für das bisschen mehr?“ fragte sie fassungslos.
„Wenn jeder Passagier mit ein bisschen mehr Gepäck reisen würde, können Sie sich vorstellen, was das unsere Airline an zusätzlichem Kerosin kostet?“ Die Dame war völlig humorlos und total immun gegen Petras Protest.
Die Wartenden hinter ihnen wurden allmählich unruhig, Gerlinde hörte das Gemurmel in ihrem Nacken lauter werden.
„Tja, was soll ich denn jetzt machen?“, jammerte Petra.
„Während Sie überlegen, können vielleicht die Herrschaften hinter Ihnen einchecken.“ Mit tadellos lackierten Fingernägeln trommelte die Stewardess auf dem Computertisch herum.
Gerlindes Koffer war bereits in den Tiefen des Flughafens verschwunden. Nun hievten die beiden Frauen gemeinsam Petras Mörderkoffer wieder von der Waage herunter und stellten sich ein paar Schritte neben die Warteschlange.
„Wurde aber auch Zeit“, raunzte jemand, aber das prallte an Petra völlig ab. Sie zerrte am Reißverschluss des Koffers, und sofort quollen etliche Kleidungsstücke heraus. Gerlinde wäre am liebsten im Erdboden versunken, die Szene war ihr unendlich peinlich. Teils schadenfroh, teils neugierig begafften die Umstehenden ungeniert, wie Petra in ihren Sachen herumwühlte.
„Da, zieh das mal an.“ Sie hielt Gerlinde zwei Pullover und eine wattierte Jacke hin. Die wagte nicht zu widersprechen. Es war nur gut, dass sie schlanker war als Petra, so dass sie problemlos hinein passte. Sofort brach ihr der Schweiß aus. Die Luft in der Halle war stickig, und nun war sie auch noch angepummelt wie für eine Polarexpedition. Auch Petra streifte ein paar Lagen über. Der Koffer ging jetzt deutlich leichter zu. Während sie darauf warteten, wieder an den Schalter vortreten zu dürfen, zerrte Gerlinde am Rollkragen eines Pullovers. Eigentlich wollten sie ja in die Sonne fliegen, warum hatte Petra bloß so viele warme Sachen mitgenommen?
„Zweiter Versuch?“ Die Bodenstewardess winkte sie endlich wieder heran und beäugte die Anzeige der Waage. „Na, etwas weniger ist es ja geworden. Ich will mal nicht so sein.“
Aufatmend beobachtete Gerlinde, wie Petras Koffer mit einem Anhänger beklebt wurde und dann rumpelnd im Bauch der Gepäckförderanlage verschwand.
Ein Blick auf die Bordkarten genügte. „Dreierreihe“, schimpfte Petra. „Das hätte ich mir denken können. Diese Kuh war mir gleich unsympathisch.“ Sie blieb stehen und schaute sich um. „Ich brauch jetzt erst mal einen Kaffee.“
Kurz darauf saßen sie sich an einem kleinen Tischchen gegenüber und schlürften ihre Getränke. Auf einem Stuhl daneben türmten sich die Kleidungsstücke, die beide in Windeseile ausgezogen hatten. Petra fand ihre gute Laune wieder und tätschelte Gerlinde aufmunternd die Hand. „Das wird schon mit deiner Flugangst. Sobald wir im Flieger sitzen, ist die wie weggeblasen. Du wirst sehen.“ Ihr rundes Gesicht strahlte unternehmungslustig. „Hach, endlich geht’s los!“
Gerlindes Hände zitterten. Sie hatte sich für Tee entschieden, auch ohne Kaffee klopfte ihr Herz schon hektische Trommelwirbel. Wieder einmal fiel ihr auf, dass sie sich optisch sehr unterschieden. Petra war nicht sehr groß und vollschlank, sie dagegen hätte für ihre Größe durchaus ein bisschen mehr wiegen können. Sie strich ihre halblangen Haare aus dem Gesicht und trank einen weiteren Schluck. Mit Tee hatte die Flüssigkeit wenig zu tun, sie schmeckte wie warmes Spülwasser.
Die Zeit schien zu kriechen, noch über eine Stunde, bis ihr Flug aufgerufen wurde. Verzweifelt wünschte sie sich, dass sie diesen Teil der Reise schon hinter sich gebracht hätte. Allmählich wurde es voll in der Abflughalle, und die vielen herumlaufenden Menschen machten sie noch nervöser.
Petra zog ein Heft aus ihrer Tasche heraus und zückte einen Kuli. „Willst du auch? Ich hab noch eins dabei.“
Sudoku. Gerlinde nickte ergeben. Vielleicht würde sie das etwas ablenken.
Im Flugzeug angekommen belegte Petra sofort den Fensterplatz. Gerlinde hoffte, dass der Gangplatz frei bleiben würde. Aber da kam schon ein Mann heran, grüßte höflich und platzierte sein Handgepäck in dem Ablagefach über ihrer Sitzreihe. Während er sich setzte, musterte ihn Gerlinde. Er mochte in ihrem Alter sein, vielleicht schon in Rente oder kurz davor. Nicht unsympathisch, leicht gebräuntes Gesicht, gepflegte Hände, Jeans, Hemd und Pullover.
„Und?“, fragte er, „Meinen Sie, Sie halten es ein paar Stunden neben mir aus?“ Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Sie wurde rot. „Entschuldigung, ich wollte Sie nicht anstarren.“
Nun lachte er, es war ein angenehmes Lachen. „Hier sitzt man so nahe bei einander, dass man sich ja zwangsläufig ansehen muss.“
Erleichtert lachte sie mit.
Nach dem Start, den Gerlinde mit angehaltenem Atem und Schweißperlen auf der Stirn überstand, nahm er ihre kleine Unterhaltung wieder auf. „Gehen Sie auch auf die Kreuzfahrt?“ fragte er.
„Woher wissen Sie…“ stotterte Gerlinde verblüfft.
„Ich schätze, die meisten hier im Flieger werde ich auf dem Schiff wiedersehen“, erklärte er. „Sie auch?“
Sie nickte. „Ja, meine Freundin und ich sind für zwei Wochen auf der ‚Mare Azul‘. Das ist meine allererste Kreuzfahrt“, fügte sie besorgt hinzu.
„Es wird Ihnen bestimmt gefallen“, versicherte er. Er überlegte kurz. „Da könnten wir uns doch gleich bekannt machen. Wo wir doch Reisegefährten sind.“
Petra war auf ihre kleine Unterhaltung aufmerksam geworden. „Danke, aber wir legen keinen Wert auf Männerbekanntschaften“, funkte sie dazwischen und warf dem Mann einen unfreundlichen Blick zu.
Sein Lächeln gefror. „Verzeihung“, murmelte er.
Gerlinde rutschte tiefer in ihren Sitz und wagte nicht, die Freundin anzusehen. Er wollte doch nur nett sein, sie fand ihn überhaupt