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WIndstärke 4 mit leichter Dünung. Rotraut Mielke
Читать онлайн.Название WIndstärke 4 mit leichter Dünung
Год выпуска 0
isbn 9783742770806
Автор произведения Rotraut Mielke
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Während Gerlinde noch überlegte, wie sie ihr möglichst unauffällig folgen konnte, kam Bewegung in die Menge. „Es geht los“, raunte man. Und tatsächlich: Wie durch das gebündelte ,Simsalabim‘ der hungrigen Meute herbeigewünscht öffneten sich die Flügeltüren des Lokals. Ein Herr in weißer Uniform und eine Dame in ebensolchem Kostüm flankierten den Eingang und murmelten unablässig ein „Guten Abend“, das sich jedoch weniger nach höflicher Begrüßung als nach einer Beschwörungsformel anhörte. Es war der vergebliche Versuch, die beginnende Stampede einzudämmen. Der Menschenstrom drängte sich in den schmalen Eingang des Restaurants, was nicht ohne Rempeln und Stoßen abging.
Da, ein neues Hindernis in Form eines - dieses Mal in schönstem Marineblau gekleideten – jungen Mannes, der etwas hilflos neben einem Plastikbehälter stand.
„Bitte desinfizieren Sie Ihre Hände!“, bat er.
Die meisten Vorbeischiebenden würdigten ihn keines Blickes. Seine resignierte Miene zeigte, dass er sich der Aussichtslosigkeit seines Postens absolut bewusst war. Auf dem Weg zum Essen stellte er nur einen weiteren Stolperstein dar, den es zu umrunden galt. Die Wenigen, die brav ihre Hände unter eine Sprühdüse hielten, die er mit einem kurzen Fingerdruck auf eine Taste auslöste, zogen sich sofort den Unmut der Nachrücker zu.
Gerlinde zögerte, was allein schon genügte, um sich einen Stoß in den Rücken einzuhandeln. Das war ja tatsächlich wie im Schlussverkauf! Nun wurde es ihr aber doch zu bunt. Demonstrativ strahlte sie den Blaubetuchten an und hielt eine Hand unter das Ventil. Eine farblose, kühle Flüssigkeit sprühte über ihre Finger. Sie nickte dankend und rieb sich beide Hände damit ein. Ein dezenter Geruch machte sich breit, und die Feuchtigkeit zog sofort in die Haut ein. Was die Leute nur hatten, das war doch wirklich nicht schlimm und nur Sekundensache gewesen. Aber als sie wieder hoch schaute, musste sie feststellen, dass Petra gänzlich aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
Der Gang öffnete sich zu einem Raum, nein, einem riesigen Saal, der sich über zwei Etagen ausbreitete. Eine geschwungene Freitreppe verband die beiden Ebenen, neben der ein leibhaftiger Konzertflügel stand. Entzückt schaute Gerlinde dem Pianisten in Smoking und Fliege zu, der inbrünstig die Tasten bearbeitete. Ein beschwingtes Potpourri von Walzern erklang und gab der Atmosphäre etwas Festliches. Aber auch so war Gerlinde völlig geblendet von dem Bild, der sich ihr bot. Makellos weiße Tischdecken leuchteten im der angenehmen indirekten Beleuchtung. Zwischen blank poliertem Besteck thronten kunstvoll gefaltete Servietten. Und im weichen Licht der vielen Lampen spiegelten sich die Gläser, die in verwirrender Vielfalt vor jedem Gedeck standen. Weinrotes Polster lud zum Sitzen ein, es gab bequeme Sessel und Bänke mit hohen Lehnen. Sie wusste nicht, wohin sie zuerst schauen sollte. Solch ein Restaurant hatte sie noch nie betreten, und erst nach einer Weile kam ihr wieder in den Sinn, dass sie sich ja zudem auf einem Schiff befand. Sie stellte sich an den Rand des Mahlstroms, um einen Moment lang alles in Ruhe betrachten zu können.
Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie für so eine Umgebung überhaupt nicht richtig angezogen war. Aufgeregt schaute sie an sich herunter, wie sah sie nur aus! Mit ihrer schlichten schwarzen Hose, einem dezent gemusterten Top und einer leichten Jacke sah sie alles andere als festlich aus. Sie hatte vorher nicht auf die Kleidung der Leute um sich herum geachtet, aber jetzt warf sie einen prüfenden Blick auf die Massen, die immer noch in Wellen hereinströmten. Da war alles vertreten, sogar Jeans entdeckte sie. Ganz klar hatten sich die Damen mit ihrer Garderobe mehr Mühe gegeben, während der eine oder andere Herr mit Jeans und kariertem, kurzärmligen Hemd doch eher zu einem Stadtbummel gepasst hätte als zu diesem eleganten Dinner. Die Weiblichkeit hatte ganz entschieden aufgerüstet. Glitzer, Pailletten, Dekolletés mit teurem Schmuck, es gab so einiges zu sehen, das durchaus auch in die Oper gepasst hätte. Mit ihrer Kleidung lag sie aber im guten Mittelfeld.
Es war höchste Zeit, sich endlich nach Petra umzusehen. Sie versuchte vergeblich, sich daran zu erinnern, was die Freundin anhatte. Es war ja alles so hektisch gewesen vorhin, dass sie nicht darauf geachtet hatte. Suchend schaute sie sich um.
Da näherte sich ein Kellner, jedenfalls nahm sie an, dass es einer war. Er trug keine Uniform sondern eine schwarze Kombination mit blütenweißem Hemd und einer adrett gebundenen Fliege. Sein asiatisch-rundes Gesicht strahlte freundliche Gelassenheit aus. „Ein Platz für Sie, Madam?“
Gerlinde schüttelte den Kopf. „Ich suche meine Freundin. Wir haben uns vor dem Eingang verloren. Es waren so viele Leute…“
Er nickte verstehend und schaute sich nun ebenfalls um, obwohl er natürlich keine Ahnung haben konnte, wie ihre Freundin aussah. Gerlinde musste lächeln. So viel Hilfsbereitschaft und so viel Naivität, erfrischend und gleichzeitig rührend in seiner Sinnlosigkeit! „Ich gehe einfach einmal durch. Irgendwo werde ich sie schon entdecken“, erklärte sie ihm ihren Plan.
Er nickte, machte aber keine Anstalten, ihr von der Seite zu weichen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, vor ihm an den Reihen der Tische vorbeizugehen. Der Kellner folgte ihr wie ein Schatten, und sie spürte, wie sie Blicke auf sich zog. Es war ihr unangenehm, aber was sollte sie machen? Es konnte ja nicht so schwer sein, Petra aufzuspüren, auch wenn der Raum ziemlich groß war, und es bestimmt mehr als hundert Tische gab.
„Gerlinde!“
Erleichtert drehte sie sich in die Richtung, aus der der Ruf kam. Dass sie ihn über die dezent murmelnde, in der Summe aber trotzdem laute Geräuschkulisse gehört hatte, kam ihr fast wie ein Wunder vor. Da stand Petra und winkte ihr zu. Sie hatte einen Zweiertisch belegt und für sich den Platz auf der Bank gewählt, von dem aus man einen guten Blick in den Raum hatte.
Erleichtert wandte sich Gerlinde an ihren Schatten. „Da ist sie.“ Sie bedankte sich mit einem Lächeln und steuerte auf Petra zu. Aber noch ehe sie nach der Lehne des Stuhls greifen konnte, um ihn unter dem Tisch hervorzuziehen, hielt sie ein schwarzbetuchter Arm zurück.
„Madam?“ Ihr hartnäckiger Schatten rückte das Möbel zurecht und wartete, bis sie darauf Platz genommen hatte. Dann griff er mit einer schwungvollen Bewegung nach der Serviette vor ihr auf dem Tisch. Im Bruchteil einer Sekunde war die kunstvolle Blüte, die jemand in mühevoller Handarbeit gefaltet haben musste, zerstört. Mit leichter Hand wurde die Serviette auf Gerlindes Schoss gelegt.
Starr vor Staunen hatte sie zugeschaut. Wie schade, sie hätte gerne herausgefunden, wie diese Blüte gemacht war, sie langsam auseinandergefaltet und die Technik genau studiert. Eine Speisekarte wurde ihr gereicht, und jemand schenkte Wasser aus einer Karaffe in eines der drei Gläser vor ihr.
Petra weidete sich an ihrem verdutzten Gesichtsausdruck. „Nicht schlecht, gell? Das hat Stil. Daran kann man sich gewöhnen.“
Gerlinde konnte nur den Kopf schütteln. „Das ist ja unglaublich.“
„Hab ich dir zu viel versprochen?“ Petra triumphierte. „Schau erst mal in die Speisekarte. Du kannst alles haben, was du willst. Und wenn du nicht satt bist, kriegste Nachschlag.“
Gespannt schlug sie die Karte auf und stellte fest, dass es zwei verschiedene Menüs mit jeweils fünf Gängen gab. Man konnte auch alles mit einander kombinieren. Die erste Speisenfolge las sich toll, aber die zweite stand ihr in nichts nach und bestand aus leichteren und zum Teil vegetarischen Gerichten. Schon das Lesen der Karte war ein Genuss, auf den sie sich jetzt ganz konzentrierte.
„Wein, Madam?“
Sie hatte den Kellner überhaupt nicht bemerkt, der sich ihr von der Seite genähert hatte. Automatisch nickte sie.
„Weißwein?“, fragte er nach.
„Ja, bitte.“
Petra hatte bereits entschieden, was sie essen wollte. Sie legte die Speisekarte beiseite. „Ich hab einen guten Tisch ergattert, von hier aus kann man alles sehen.“
Das